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Ein Mann, ein Wald: Warum Vielfalt so wichtig ist

Von Manfred Wolf   05.Juni 2021

Der Wald kennt viele Sprichwörter. "Bäume ausreißen können", zum Beispiel. Oder: "Wie man in den Wald hineinruft ..." Und alle, so scheint es schier, haben beim Obergrafeneder in St. Georgen – am Walde natürlich – ihren Ursprung.

Seit mindestens 1670 ist der Obergrafeneder-Hof ein Erbhof und nun im Besitz von Paul Palmetshofer, dessen Vorfahren einst Linden um den Hof gepflanzt haben, um der Adresse, Linden 48, gerecht zu werden. Seit jeher lebt seine Familie auch vom Wald. Nun eben der Paul, der wie ein Energiebündel durch den Wald führt, als könnte er es wirklich, Bäume ausreißen.

Wenngleich "sein Wald" natürlich tiefer wurzelt. Denn eine rund 200 Jahre alte Tanne, die sich wie ein Dom kerzengerade in den Himmel streckt, wächst naturgemäß nicht von heute auf morgen. Da braucht es schon mehr. Generationenlange Geduld zum Beispiel, aber vor allem auch ein Gespür für den Wald. Und auch das hat der Paul vererbt bekommen.

Video: Paul Palmetshofer im Gespräch mit OÖN-Redakteur Manfred Wolf

1988, da war der jetzige "Obergrafeneder" gerade 14 Jahre alt, hat sein Vater Gerhard eine Wiese aufgeforstet. Freilich hätte er, wie üblich, sortenrein auf die Fichte setzen können. Dicht an dicht die Flachwurzler nebeneinander. Doch er entschied sich für ein anderes Modell. Knapp drei Meter Abstand zwischen den Reihen, damit er – nein, spätere Generationen – einmal den Wald gut bewirtschaften kann, ohne die anderen Reihen und Jungpflanzen zu ruinieren.

Aber vor allem hat er auf Mischwald gesetzt. Auf eine Reihe Fichte folgt eine Reihe Fichte, in der jeder fünfte Baum eine Douglasie ist. Danach wieder eine Reihe Fichte gefolgt von Fichten, durchmischt mit Riesentannen.

Neuer Wald trägt erste Früchte

So hat der alte "Obergrafeneder" Reihe für Reihe einen neuen Wald geschaffen, der nun, wie der junge "Obergrafeneder" stolz zeigt, erste "Früchte" trägt, und sich, wie an den zarten Pflanzen am Waldboden zu sehen ist, mittlerweile von alleine verjüngt.

Freilich, nicht nur dieser Weitblick hat den Wald vor Gröberem bewahrt. Zum einen blieb er auch vom Borkenkäfer verschont – 860 Meter Seehöhe sind dem Insekt, dem bereits riesige Waldflächen im Land zum Opfer gefallen sind, zu hoch. Zum anderen ist es aber das richtige Baummanagement. Denn sowohl oben, bei den Wipfeln, als auch unten bei den Wurzeln stehen die Bäume im Konkurrenzkampf. Ein ewiges Ringen um Licht und Wasser.

Und die Flachwurzler, wie die Fichte, hatten es zuletzt schwer. "Die extrem trockenen Jahre 17, 18 und 19, die siehst du bei den Jahresringen", sagt Paul. Sie haben der vielseitig einsetzbaren und rasch wachsenden Baumart massiv zugesetzt und sie anfällig für den Borkenkäfer gemacht. Tiefwurzler hingegen, die an ein anderes Nährwertspektrum gelangen, entspannen die Lage.

Die Fichtenmonokulturen in weiten Landstrichen verteufelt der Paul aber nicht. Man habe es halt nicht besser gewusst und müsse jetzt umdenken. Dabei springt auch Herbert Achleitner für ihn in die Bresche. Achleitner ist CFO der OÖN und Waldliebhaber. Ihrer beider Väter haben einst schon mit ausländischen Sorten wie der Douglasie experimentiert. "Die Fichte ist nach wie vor der Brotbaum unserer Forstwirtschaft. Fehlender Niederschlag und höhere Durchschnittstemperaturen bereiten ihr jedoch Probleme."

Ein Mann, ein Wald
Zu eng darf es oben aber nicht werden, denn das Licht muss bis zum Boden kommen.

Aber wie es halt so ist, schlauer ist man immer hinterher. Und darum wurde er einst auch belächelt, der alte Obergrafeneder, als er den Wald 1988 aufgeforstet hat. "Das ist ein Spinner", hieß es da schon manchmal. 

Das Los der Mutigen und Experimentierfreudigen eben. Heute lacht niemand mehr. Ganz im Gegenteil. Aus dem ganzen Land kommen Forstwirte, Schüler und Studenten, um sich ein Modell eines Waldes der Zukunft anzusehen, sich Ezzes beim Paul zu holen, die dieser auch freimütig gibt.

Zum Beispiel, was die "Waldhygiene" betrifft. Auch der Krautschicht wird eine bedeutende Rolle zuteil. "Ein Fehler ist es", sagt Paul, "dass die Brombeersträucher totgespritzt werden, nur damit die jungen Bäume Platz haben. Das ist fatal! Selbst wenn es noch so trocken ist, unter deren Blättern hält sich die Feuchtigkeit." Gleichzeitig muss genügend Licht auf den Boden fallen, darum setzt er auf frühe und starke Durchforstung. Auch für den Wald gilt: "In einem finsteren Kellerloch kann nichts wachsen. Ist der Boden grün, wissen wir, er ist feucht und er bekommt genügend Licht."

"Wo der Specht wohnt, ist der Wald gesund"

Die Äste, die er dank einer Hebevorrichtung auf bis zu fünfzehn Meter Höhe entfernt, bleiben daher liegen, sie schützen den Boden vor dem Austrocknen. "Die Grünmasse aus dem Wald zu bringen ist Unsinn", sagt Paul, der nicht nur Land- und Forstwirt ist, sondern auch als Berater und Holzvermarkter beim Waldverband Oberösterreich (BWV) arbeitet. Und als solcher berät er Waldbesitzer, welcher Baum wo passt. Denn nicht jede Vegetation ist gleich. In jedem Fall aber, sagt er, komme es auf die Vielfalt an.

Mehr als zwei Dutzend Ertragsbaumsorten wachsen in seinen 32 Hektar großen Wäldern. Neben den genannten auch Thuja, Buche, Ahorn, Eiche, Kiefer, Lärche, Kirsche, Hemlock, Grandis, Nobilis … Hier dient eine Buche als Schattenspender für einen Ahorn, dort eine Buche als Nistplatz für Spechte und andere Tiere. Denn zu einer gesunden Flora zählt auch eine intakte Fauna, nicht umsonst heißt es: "Wo der Specht wohnt, ist auch der Wald gesund." Und dass Paul neben Grün- und Buntspecht auch den Schwarzspecht klopfen hört, ist ein gutes Zeichen, denn der liebt alte Buchen, Totholz und den Mischwald. Und gezwitschert wird hier ohnedies von allerlei Gefieder – ohne Unterlass. "Wenn ich in den Wald gehe, höre ich jeden Tag ein anderes Geräusch, sehe jeden Tag, wie etwas Neues austreibt. Das ist das Besondere am Wald, dass er so lebendig ist."

Schwere Maschinen, behutsame Arbeit

Gut zu sehen ist diese lebende Vielfalt im viele Jahrzehnte alten Fichte-Tannen-Buchen-Wald. Hier ragt eine Vielfalt in die Höhe, die jedem Baumflüsterer den Atem raubt. Dementsprechend behutsam wird durchforstet. Manuell. Und Paul ist ein Meister mit der Motorsäge. "Jeder Baum fällt fast auf den Zentimeter genau dorthin, wo er soll. So kommt kaum ein anderer Baum – und auch nicht die Naturverjüngung – zu Schaden. Der Nachwuchs im Umgang mit der Kettensäge ist jedoch rar. "Das ist viel Übung, aber jeder Waldbauer sollte das beherrschen, damit nicht alles mit den schweren Maschinen herausgeholt werden muss", sagt Paul. Diese beschädigen bei engen Baumreihen nicht nur die Bäume, sondern verdichten auch den Boden. Natürlich ist auch bei ihm der Harvester unterwegs, der Fahrer hat sich aber an die von Paul vorgegebene Fahrtrichtung und Auszeige zu halten.

Auch hier machte sich der Weitblick seiner Vorfahren bezahlt, denn schon in den frühen 1970er-Jahren wurden Forststraßen angelegt, um effizienter arbeiten zu können. Selbstredend, dass auch darüber damals geschmunzelt wurde … "wie kann man nur auf die zig Baumreihen verzichten" …

Ein Mann, ein Wald
Brennholz, zu Tristen gestapelt

Zur Ausstattung in Pauls Traktor gehören Säge und Baumschere. So kann er jederzeit Äste und junge Triebe, die aus den Stämmen wachsen, wegschneiden. Denn die Äste schmälern den Wert des Baumes.

Für den Wert ist aber unter anderem auch der Brusthöhendurchmesser (BHD) ein wichtiger Indikator. Also der Baumdurchmesser auf Höhe der Brust, zirka 130 Zentimeter vom Boden nach oben gemessen. Denn nicht nur auf die Höhe des Baumes kommt es beim Holz primär an, sondern auch auf die Stärke. "Oben, der Wipfel, das ist Brennholz", erklärt Paul, auf einer Scheitertriste sitzend. Für den Wert des Baumes, die verwertbaren Festmeter, um die es beim Verkauf geht, sind die ersten fünfzehn Meter entscheidend.

Eben darum gilt es, diese astrein zu halten. Und freilich auch, damit wiederum genügend Licht auf den Boden fällt. Vor allem Douglasien "haben doppelt so lange Äste wie eine Fichte und werfen dementsprechend Schatten".

"Wir leben von den Zinsen, die der Wald bringt"

Die Nachhaltigkeit ist eine der tragenden Säulen der Forstwirtschaft. "Wir ernten nicht mehr, als nachwachsen kann", sagt Paul. "Wir leben von den Zinsen, die der Wald bringt." Und dass auch seine drei Kinder etwas von den Zinsen haben, ist ein Familien-Dogma. Denn selbst wenn der Festmeterpreis zuletzt gestiegen ist – auf derzeit knapp 100 Euro – ist das nicht mehr, als die Vätergeneration umgerechnet in den 1980er-Jahren erhalten hat – also ohne Inflation.

Nach zwei Stunden im Wald kommen wir zurück zum Obergrafeneder-Hof. Es gibt Most. Aber keinen solchen, wie es ihn früher gab. Süßer sei er geworden in den vergangenen Jahren, sagt Paul. Der Klimawandel wird hier schmeckbar. Es ist wärmer geworden in den vergangenen Jahrzehnten, das Obst dadurch süßer, alles blüht früher.

Danach zeigt uns Paul noch seine Zuchtschafe. Vor 25 Jahren hat sich sein Vater vom Fleckvieh verabschiedet und Schafe eingestellt. Aber keine gewöhnlichen Schafe, sondern Shropshire-Schafe. Sie helfen ihm bei der Arbeit, der Christbaumpflege. Im Gegensatz zu normalen Schafen grasen die Shropshire-Schafe die Bäume frei und verbeißen diese nicht. Denn auch Christbäume und Schmuckreisig gehören zum Geschäftsmodell des Land- und Forstwirtschaftsmeisters.

Ein Mann, ein Wald
Die Shropshire-Schafe helfen Paul Palmetshofer bei der Arbeit, sie fressen das Gras rund um die Christbäume.

Zum Abschluss kehren wir noch im Gasthaus zum "Schwarzen Adler" in St. Georgen am Walde ein. Ein Maibock, köstlich zubereitet von Wirtin Hermi, wird serviert. Der Wirt, Manfred Schaurhofer, ist zudem auch Jagdleiter des Ortes.

Da sitzen sie nun gemütlich nebeneinander, der Jäger und der Waldbauer. Und plaudern über die Probleme, die es im Wald gibt. Der Wildverbiss, wenn zu wenig gejagt wird, ist selbstredend das größte Problem. Doch in Eintracht unterstützen sie sich im Ort gegenseitig. "Wenn der Paul merkt, dass es wo ein Problem gibt, dann ruft er mich an. Und dann helfen wir Jäger zusammen", sagt Schaurhofer, der das Gasthaus 2000 gekauft und liebevoll renoviert hat.

Zur Harmonie zwischen Tier und Pflanze kann – und sollte – auch jeder Waldbesucher einen Beitrag leisten. "Hunde anleinen, auf den Wegen bleiben und nicht zur Dämmerung in den Wald gehen", sagt Achleitner, seien für die Tiere und Pflanzen wichtig. "Die Rehe werden unruhig, wenn zu viele Mountainbiker und Wanderer zur frühen oder späten Stunde im Wald sind", ergänzt Schaurhofer. "Sie verlieren Energie und so kommt es zu vermehrtem Verbiss."

"Respekt vor der Natur", so lässt es sich verknappen. Weil es halt wirklich so ist, wie es heißt. Dass es nämlich so herausschallt aus dem Wald, wie man hineinruft.

Exkursionen mit Paul Palmetshofer sind auch buchbar. Kontakt via Mail: paul.palmetshofer@aon.at

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24. April 2024