Deutscher Wohnungsbau: Experten warnen vor einer langen Krise

BERLIN. Der frei finanzierte Wohnbau ist für viele Bauträger nicht rentabel, 200.000 Wohnungen fehlen.
Dem Wohnungsbau in Deutschland droht nach Einschätzung von Ökonomen, Fachleuten und Baubranche ohne grundlegende Verbesserung der Bedingungen eine jahrelange Misere. Grund ist, dass der rasante Anstieg der Baukosten den frei finanzierten Wohnungsbau für viele Bauträger unrentabel macht. Um Kosten hereinzuholen, müsste die Quadratmetermiete für eine neue Wohnung derzeit bei etwa 18 Euro liegen, schätzt die Kieler Arbeitsgemeinschaft für zeitgemäßes Bauen (Arge).
Nach Berechnung der Arge lag der deutschlandweite Medianwert für den Bau eines Quadratmeters Wohnfläche – inklusive Grundstückskosten – im ersten Quartal bei 5148 Euro, aktuell geschätzt bei circa 5200 Euro, wie der für die Arge tätige Architekt Timo Gniechwitz sagt. Die Arbeitsgemeinschaft ist eine der führenden Bauforschungs-Institutionen Deutschlands. Auch abseits von München oder Frankfurt hat die Rentabilitätsschwelle eine vor wenigen Jahren kaum vorstellbare Höhe erreicht. In Nürnberg sind es nach Berechnungen örtlicher Wohnungsgesellschaften zwischen 16,50 und 18 Euro Quadratmetermiete, in Forchheim in Oberfranken 18,30 Euro und in Kempten im Allgäu 18,50 Euro.
"Das Bauen ist einfach zu teuer", kommentiert Ludwig Dorffmeister, der Bau- und Immobilienfachmann des Münchner Ifo-Instituts. "Im Mai lagen die Baupreise für konventionellen Wohnungsneubau um 36 Prozent höher als im Frühsommer 2020." Wohnungsunternehmen stellten vielfach Vorhaben zurück, "weil die dafür eigentlich notwendige Miete die späteren Bewohner finanziell überfordern würde", sagt Dorffmeister. Gleichzeitig habe der Bund seine Neubauförderung seit 2022 stark eingeschränkt. Er rechnet mit weiteren Markteinbußen.
Im Gegensatz zum staatlich geförderten Bau von Sozialwohnungen soll sich der frei finanzierte Wohnungsbau marktwirtschaftlich selbst tragen, auch wenn es eine Vielzahl von Förderprogrammen gibt. Doch mittlerweile rechnen sich viele dieser Wohnungsbauprojekte nicht mehr. Der Bundesverband der Wohnungs- und Immobilienunternehmen (GdW) erwartet für 2024 lediglich 214.000 neue Wohnungen, Ziel der Bundesregierung sind 400.000.
"Die Unternehmen tun wirklich alles, um ihr Personal zu halten", sagt Felix Pakleppa, Hauptgeschäftsführer beim Zentralverband des Deutschen Baugewerbes (ZDB). "Wir nehmen aber wahr, dass die Kurzarbeit bei den Wohnungsbauunternehmen zunimmt." Der Negativtrend bei Baugenehmigungen und Auftragseingängen sei ein "düsteres Omen".
"Ohne auskömmliche Förderbudgets und bessere Baubedingungen wie eine höhere Zinsstütze, einen geringeren Mehrwertsteuersatz oder eine niedrige Grunderwerbssteuer werden wir einen gravierenden Einbruch im Wohnungsbausektor sehen", prophezeit Pakleppa.