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Wo die Ferne so nah ist

Von Bernhard Lichtenberger   28.März 2021

Was trieb die Menschen an hinauszuziehen, sich dem Unbekannten auszusetzen, Neues zu ergründen? Das ist nur eine der Fragen, der sich die Ausstellung "Sehnsucht Ferne – Aufbruch in neue Welten" widmet. Die Motive sind so bunt wie die Kulturen auf dieser Erde – von der puren Lust am Abenteuer über den ins Fanatische reichenden Forscherdrang und die imperiale Landeroberung bis zum rücksichtslosen Plündern von Bodenschätzen und missionarischem Eifer.

In einer stilisierten Entdeckerstube liegt ein Amerika-Tagebuch eines der getriebensten Reisenden, des besessenen Weltvermessers Alexander von Humboldt, der das Erforschte akribisch festhielt. Er streute einer Wienerin Rosen, die nach düsteren Jugend- und Ehezeiten erst im Alter von 45 Jahren zu reisen begann: Ida Pfeiffer (1797-1858). Mit Mut und Selbstbewusstsein im Gepäck erkundete sie u. a. das Heilige Land und unternahm zwei Weltreisen, die sich schriftstellerisch in 13 Büchern niederschlugen, die in sieben Sprachen übersetzt wurden.

Wo die Ferne so nah ist
Übertreibung: Dass in Patagonien Riesen wohnten, wie auf dieser Karte von 1628 dargestellt, ist nichts als Legende.

Von asiatischen Schriften animiert und dem Buddhismus zugewandt, zog es die Französin Alexandra David-Néel (1868-1969) nach Tibet, wo sie, als bettelnde Pilgerin verkleidet, Anfang der 1920er-Jahre vermutlich als erste Europäerin die verbotene Stadt Lhasa erreichte. Auf der Schallaburg zu sehen ist die Haube, unter der sie, um nicht aufzufliegen, ihre Haare versteckte.

Exotische Tiere im Kopf

"Viele erleben die Ferne im Kopf", sagt Marcel Chahrour, der gemeinsam mit Roman Dachsberger die Schau mit inhaltlichem Leben füllte. Zu diesen Gedankenreisenden zählte auch ein Oberösterreicher, der aus Freistadt stammende Färbermeister Aloys Zötl, der sich in Eferding niedergelassen hatte, das er kaum verließ. Nach seinem Tagwerk malte er, inspiriert von Darstellungen in Naturkundebüchern und Reiseberichten, ein 400 Aquarelle umfassendes Bestiarium mit surrealistischen Zügen. Die tierischen Abbildungen zieren einen der 16 Räume.

Als obderennsischer Reisender hat sich Heinrich Clam-Martinic (1863-1932) verewigt. Der schillernde Freund des jungen Erzherzog Franz Ferdinand begleitete diesen einmal um den Globus. 15.000 Sammelstücke dieser Weltreise bilden den Grundstock des Wiener Weltmuseums. Auch Clam-Martinic kehrte nicht mit leeren Händen aus Australien, Neukaledonien und Papua-Neuguinea nach Hause, wovon ausgestellte Objekte zeugen – darunter auch Briefe an die "Beste alte Mamms!". In einem berichtet er von den australischen Viehzüchtern, die "in Gottes freier Natur ein wildes Buschmann-Leben" führten: "Da könnte man glauben, dass die Leute nicht gerade die feinsten Manieren und Gebräuche annehmen, aber im Gegenteil, die Leute haben so gentlemanlike manners wie jeder von uns und sind ganz famose, schneidige, sympathische Kerls."

Das wissenschaftliche Motiv war bisweilen vorgeschoben. 1857 schickten die Habsburger die Novara auf Schiffsexpedition in drei Jahren um die Welt – mit nur sechs Forschern an Bord, denn in erster Linie ging es darum, tüchtige Seeleute für den Aufbau der österreichischen Kriegsmarine auszubilden, neue Absatzmärkte für Handel und Industrie zu erschließen und in noch nicht besuchten Flecken Flagge zu zeigen.

Wo die Ferne so nah ist
Der Gier Europas nach Gold und Silber fielen ganze Kulturen zum Opfer: Prunkbecken, 1. Hälfte des 16. Jh.

Fanatisch sammelte der niederösterreichische Brasilienreisende Johann Natterer (1787-1843), der einen seiner Aufträge – Eingeweidewürmer ins Kaiserreich zu schicken – so ernst nahm, dass er den seinen erbrach und im Glas einlegte, das in der Schau begutachtet werden kann.

"Sehnsucht Ferne" beleuchtet auch die dunklen Seiten der großen Reisen, die in Kolonialismus, Unterdrückung und Krieg mündeten. Als vor etwa 500 Jahren Cortez im Aztekenreich einmarschierte, um die europäische Gier nach Gold zu befriedigen, brachten die Spanier die Pocken mit, die die Ureinwohner en masse dahinrafften. Oder nehmen wir den Steyrer Robert Stigler, einer von fünf Teilnehmern der Uganda-Expedition 1911/12, die sich 250 Trägern bediente, von denen jeder bei 40 Grad 36 Kilo schleppen musste – teilweise in Ketten gelegt, um sie am Davonlaufen zu hindern. Stigler, später NS-Rassenphysiologe, nahm sogar einen Afrikaner für Versuche mit nach Hause.

Wo die Ferne so nah ist
Afrikanischer Kopfschmuck aus Togo

Ein Tabu bricht der Linzer Neuseelandforscher Andreas Reischek (1845-1902). Er gewinnt das Vertrauen der Maori und den Ehrentitel "der Schnepfenstrauß, Fürst von Österreich", plündert Begräbnisstätten und kehrt mit Mumien und Menschenschädeln heim. Was nimmt man mit, was wird wie in Museen gezeigt, wie verhalten sich Selbst- und Fremdbild? Warum werden Artefakte des Volksglaubens wie Amulette und magische Gegenstände aus Afrika als primitiv betrachtet, jene aus Europa aber als traditionell? Die Fragen, die diese spannende und auch im Design ansprechende Schau zu beantworten versucht, reichen bis ins Heute. Dazu wird in einem Raum Ilija Trojanows Essay "Richtig reisen?" gelesen, in dem es etwa heißt: "Wir überfallen wie die Heuschrecken jeden Sonnenort, wir tauchen zur Titanic, wir schweben im Heißluftballon über die Savannen, wir brechen uns einen Weg durch das ewige Eis. Kein Erdenwinkel ist vor uns sicher." Für eine Rückkehr zu einem richtigen Reisen gibt der Autor drei Empfehlungen: "Reise ohne Gepäck, reise alleine, reise zu Fuß." Und reisen Sie zur Schallaburg!

  • Ausstellung: "Sehnsucht Ferne – Aufbruch in neue Welten", Schallaburg, bis 7. November 2021; Mo-Fr 9-17 Uhr, Sa, So, Feiertag 9-18 Uhr; Erwachsene 12 Euro, Kinder/Jugendliche (6-18 Jahre) 3,50, Familien 24 Euro; die großartige, mit Geschichten vollgepackte Publikation kostet 19 Euro
  • Escape Room: "Gefangen im ewigen Eis" (durch fünf Räume auf den Spuren der berühmten Payer-Weyprecht-Nordpolarexpedition auf der Admiral Tegetthoff; ab 16. April, 130 Euro pro Spiel, für 5 bis 8 Personen)

schallaburg.at

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28. März 2024