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Wo Beethoven Goethe gekränkt hat

Von Sigrid Brandstätter   08.August 2020

Auf Euch hab’ ich gewartet, weil ich Euch ehre und achte, wie Ihr es verdient, aber jenen habt Ihr zu viel Ehre angethan." Diesen Satz soll Ludwig van Beethoven zu Johann Wolfgang von Goethe gesprochen haben, als die beiden im Juli 1812 miteinander durch den Kurpark in der böhmischen Kurstadt Teplice spaziert waren. Die Begebenheit ist selbst 200 Jahre später noch eine jener Anekdoten, die man sich im als "Klein-Paris" gehuldigten Ort über die berühmten Sommergäste von einst erzählt.

Die Vorgeschichte zum Eingangssatz soll sich so zugetragen haben: Ludwig van Beethoven war 42 Jahre alt, gesundheitlich bereits schwer angeschlagen. Der beachtete Pianist und Komponist aus Wien bewunderte den knapp 70-jährigen Universalgelehrten und wollte den berühmten Dichterfürsten persönlich kennenlernen. Einige Gedichte Goethes hatte Beethoven zu diesem Zeitpunkt bereits vertont. Schon ein Jahr zuvor hatte der Musiker den Geheimrat angeschrieben. In Teplice in Nordböhmen – als beide sich und ihrer Gesundheit etwas Gutes tun wollten – kam es endlich zur Begegnung. Aber ach: Als sie einige Nachmittage miteinander durch den Kurpark flaniert waren, sollen beide bald festgestellt haben: Uns trennt mehr als uns verbindet.

Wo Beethoven Goethe gekränkt hat
Beethoven überall: Als Statue in Karlsbad

Beim letzten dieser gemeinsamen Wege stieß das Duo auf einen Hofstaat rund um Habsburger-Kaiserin Ludovika. Goethe trat zur Seite, um die aristokratische Gesellschaft um die österreichische Kaiserin vorbeigehen zu lassen; Beethoven nicht. Der Komponist marschierte weiter und soll die Kaiserin dadurch beleidigt haben, dass er sie nicht in tiefer Verbeugung begrüßt hatte. Nur den Hut habe er ein wenig gerückt, heißt es in einem Brief über diese Begegnung. Die Herzöge hingegen traten auf die Seite, um dem Musiker Platz zu machen und grüßten ihrerseits recht freundlich.

Goethe reiste tags darauf ab

Am Ende des Weges blieb Beethoven stehen und sprach den Eingangssatz zu seinem Begleiter. Goethe fand das Benehmen des unter Koliken, Kopfschmerzen und Hörproblemen leidenden Komponisten unziemlich. Der Dichterfürst, dessen Nähe zu den Herrschaftshäusern in der damaligen Zeit der Aufklärung immer wieder kritisch beäugt wurde, reiste tags darauf ab – weiter in das eineinhalb Autostunden entfernte Karlsbad. Dort sind 23 Aufenthalte des im nahen Weimar lebenden früheren Ministers belegt. Zusammengerechnet soll Goethe drei seiner 83 Lebensjahre im mondänen böhmischen Kurort verbracht haben.

Auch Beethoven brach kurz nach diesem Eklat nach Karlsbad auf – einerseits, um seinen Hausarzt dort zu treffen, andererseits, um Kontakte zu spendablen Adeligen aufzubauen – seine ertragreichsten Jahre lagen bereits hinter ihm.

Die beiden Giganten haben einander nie wieder getroffen.

Teplice und Karlsbad vereint nicht nur deren berühmten Gäste aus vergangener Zeit. Geblieben ist der Grund, warum seit Jahrhunderten Heilsuchende dort für Wochen oder Monate ihre Zelte aufschlagen: Die heißen Heilquellen, die mit Mineralien angereichert ohne Unterlass fließen. Und die Architektur aus der Glanzzeit der Kurstädte, teils im Historismus, teils im beginnenden Jugendstil.

Nach der Öffnung 1989 wurden die Häuser renoviert, Investoren – etliche aus Russland – brachten neureichen Glanz zurück. Fünf Fünf-Stern-Häuser und 50 Vier-Stern-Hotels sowie unzählige weitere Hotels und Pensionen mit insgesamt 10.000 Betten belegen die Strahlkraft, die Karlsbad einst hatte und jetzt wieder hat.

Schon die Lage des Ortes ist bemerkenswert. In einem steilen, bewaldeten Tal, durch das sich der kleine Fluss Teplá windet, nimmt eine mondäne Promenade das schmale Flussufer ein. Heute müssen die Gäste über Serpentinen mit ihren Autos vom Wald herunter an die Rückseiten der Hotels kommen. Flussseitig versucht man, den Straßenverkehr hintanzuhalten – was dem historischen Reiz der Stadt guttut.

Wo Beethoven Goethe gekränkt hat
Heißes Heilwasser aus dem Spezialhäferl

Damit haben die Kurenden Platz und Muße, mit den charakteristischen Trinkbechern von einer Quelle zur nächsten zu spazieren. Die Porzellanhäferl ähneln einer Miniatur-Teekanne mit einem nur wenige Millimeter schmalen Ausguss. Dieser ist zum Schutz der Gäste: Denn das Heilwasser kommt mit 72 Grad Celsius aus der Erde und soll unmittelbar aus der Quelle getrunken werden – nicht abgekühlt und nicht abgestanden.

Ilka lebt seit fast 50 Jahren in Karlsbad. In jungen Jahren hat sie in Altmünster in der Gastronomie gearbeitet und Deutsch gelernt. "Schauen Sie, ich bin 70 Jahre alt und habe weder Probleme mit der Wirbelsäule oder den Gelenken in der Hüfte und den Knien. Auch kenne ich keine Verdauungsprobleme. Mein Mann und ich machen jedes Jahr eine Trinkkur."

Drei Wochen lang nehmen die beiden bis zu einem Liter des Heilwassers mit 6,5 Gramm Mineralsalzen pro Liter zu sich. Genießen wäre dabei der falsche Ausdruck, denn das Heißgetränk schmeckt salzig. Erst am dritten Tag beginne einem das heiße Wasser zu schmecken, sagt Ilka. Nach einer Woche habe man das Gefühl, der Körper bekomme neue Energie und nach drei Wochen spüre man, dass alle Schadstoffe ausgeschwemmt seien. In jedem Fall solle man zuerst mit einem Kurarzt abstimmen, welche Quellen man ansteuern sollte, weil jede der zwölf unterschiedliche Wirkungen habe, ergänzt Ilka.

Wo Beethoven Goethe gekränkt hat
Der musikalische Zeitvertreib für die Kurgäste hat Tradition.

Zu den goldenen Kurregeln gehört auch, das Wasser im Gehen zu trinken. Deshalb gibt es mehrere, teils architektonisch gelungene, teils weniger gelungene Kolonnaden. Im Corona-Sommer 2020 sind viele Einheimische unterwegs. Die sonst so dominanten Russen und Araber dürfen heuer nicht einreisen. Das nutzen die Tschechen, um ihren sonst so überlaufenen Kurort kennenzulernen.

In diesen Säulengängen spielten früher und heute immer wieder Musiker auf – weil den noblen Kurgästen während ihrer damals noch stundenlangen Behandlungen überaus langweilig war. Nicht umsonst entstand die Nordböhmische Philharmonie in Teplice. Auch in Karlsbad spielte ein eigenes städtisches Ensemble. Beethoven hat in einem Brief freilich formuliert: "Die Musiker könnten besser sein."

Übers Ziel geschossen

Die Heilkraft der nordböhmischen Quellen ist seit Jahrhunderten bekannt. Seit dem 16. Jahrhundert wird das Wasser innerlich angewendet, also getrunken. Allerdings meinte man es lange zu gut und verordnete den Kurgästen bis zu fünf Liter Heilwasser pro Tag. Heute misst ein Trinkbecher zwei Zentiliter. Ähnlich war es bei den Bädern. Bis zu zehn Stunden saßen die Kranken in den heißen Bädern. Das öffnete die Haut im wahrsten Sinn des Wortes, weil man glaubte, das verbessere die Wirkung. Heute weiß man, 20 bis 30 Minuten im Heilwasser reichen.

Im ältesten der 36 tschechischen Kurorte, in Teplice, wurde vor zwei Jahren das größte Thermalbecken Mitteleuropas errichtet – mit Sprudeln, Massagedüsen und Wasserfällen. Bis zu 100 Personen gleichzeitig lässt die Kurverwaltung in das 35 Grad warme Wasser. Ursprünglich tritt das Nass dort mit 42 Grad aus der Erde.

Die heilende Wirkung hat August der Starke von Sachsen bei einem Jagdausflug entdeckt. Ein Wildschwein habe sich mit seinem gebrochenen Bein in der Quelle gesuhlt und sei dann geheilt davongesprungen. Deshalb ziert heute ein Schweinskopf die Urquelle.

Aktuell werden zwei Quellen genutzt – zu Beethovens Zeit waren es zwölf. Dafür hört man beim Fußweg durch den Kurpark und die Altstadt stets einen Brunnen plätschern. Rund zwei Dutzend Becken und Sprudel beruhigen die Gäste.

In Teplice soll Beethoven an der 6., 7. und 8. Symphonie gearbeitet haben. Die berühmte Neunte – die erst mehr als zehn Jahre später erstmals aufgeführt werden sollte – sei hier zumindest "geboren" worden. Jenes Eckzimmer, das Beethoven 1812 bewohnte, ist besonders bei Musikern beliebt. Ob der Geist des Meisters noch beflügelt, ist weniger sicher, als die Wirkung des heilenden Wassers.

Kuren in Tschechien

 

Entstehung: Ein Bruch im Erzgebirge ließ das Regenwasser über Jahrtausende bis auf 2000 Meter ins Erdinnere eindringen. Das dort erhitzte und mit Mineralien angereicherte Wasser sprudelt in etlichen Quellen in Nord- und Westböhmen an die Oberfläche. Allein in Karlsbad werden 79 kontrolliert, 13 werden genutzt. In Teplice dienen zwei von 14 Quellen Kurzwecken.

Ausflüge: Karlsbader bezeichnen ihre Region als Wiege des Golfspiels. In der Glasmanufaktur Moser gibt es interessante Einblicke in die aufwändige Welt des Glasblasens.

Information: Wissenswertes bietet die Seite czechtourism.com/de-DE. In Wien hat die Tschechische Zentrale für Tourismus Österreich & Schweiz Tipps (01/8920299). Bis 30. September gibt es Vergünstigungen unter anderem für Aufenthalte in Karlsbad: www.karlovyvary.cz/de/voucher

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23. April 2024