"Wir lagen auf der Wiese und baumelten mit der Seele"
Der deutsche Journalist und Schriftsteller Kurt Tucholsky wäre dieser Tage 130 Jahre alt geworden. Im schwedischen Örtchen Mariefred mit Schloss Gripsholm hat er zahlreiche Spuren hinterlassen. Ein Besuch.
Mariefred ist ein typisch schwedisches Örtchen: Unmittelbar am Mälarensee gelegen, gibt es hier putzige Holzhäuschen, saftig-grüne Wiesen, verwinkelte Gässchen, wundervoll altmodische Cafés – und ein großes Schloss. Diese prachtvolle, im Jahr 1537 erbaute Anlage ist um ein Vielfaches bekannter als der Ort selbst. Schließlich hat ihr der deutsche Journalist und Schriftsteller Kurt Tucholsky, der dieser Tage 130 Jahre alt geworden wäre, 1931 ein Denkmal gesetzt – mit der Sommererzählung "Schloß Gripsholm".
Im Buch, für dessen Recherche Tucholsky mit seiner Freundin Lisa Matthias von April bis Oktober 1929 unweit des Königsschlosses wohnte und arbeitete, mietet sich das Liebespaar Kurt und Lydia ("Prinzessin") in einem Nebengebäude des Schlosses ein – und verlebt einen wunderbaren schwedischen Sommer. "Wir lagen auf der Wiese und baumelten mit der Seele", heißt es da etwa. Oder: "Das Schloß, aus roten Ziegeln erbaut, stand leuchtend da, seine roten Kuppeln knallten in den blauen Himmel." Das ist übrigens auch heute noch so, nur die Kuppeln sind halt nicht rot.
Umfangreiche Porträtsammlung
Für umgerechnet 16 Euro (8 Euro für Kinder) kann man das burgähnliche Schloss auch besichtigen – im Inneren befindet sich eine umfangreiche Porträtsammlung schwedischer Blaublüter. Viel Zeit sollte man sich jedoch für den Besuch des wunderbar angelegten Parks nehmen, der zu jeder Tages- und Nachtzeit möglich ist. Wer dann die Augen schließt und seinen Gedanken freien Lauf lässt, spürt bald die sommerliche Leichtigkeit und den speziellen Zauber, die Tucholskys Erzählung durchziehen.
Abrupt beendet wird die literarische Zeitreise meist durch das nahe Pfeifen einer Dampflokomotive. In der Nachbarschaft von Schloss Gripsholm fährt die älteste Museumseisenbahn Schwedens ab, die "Östra Södermanlands Järnväg" (ÖSlJ) – und zwar unmittelbar vor dem liebevoll restaurierten kleinen Bahnhof.
Der Dampfzug verkehrt im Sommer mit einer Geschwindigkeit von maximal 25 km/h mehrmals täglich auf den Schmalspurgleisen (600 Millimeter) zwischen Mariefred, Taxinge-Näsby und Läggesta. Und damit kann der Besucher auch heute noch so in Mariefred ankommen, wie es Tucholsky vor gut 90 Jahren beschrieben hat: "So ein winziger Bahnhof war das; eigentlich war es nur ein kleines Haus, das aber furchtbar ernst tat und vor lauter Bahnhof vergessen hatte, dass es Haus war."
Kurt Tucholsky, der zu den bedeutendsten Publizisten der Weimarer Republik zählt, hatte Deutschland 1929 dauerhaft in Richtung Schweden verlassen. Er hatte die mit Hitler heraufziehenden Gefahren bereits früh erkannt. Die Nazis verbrannten seine Bücher und erkannten ihm die deutsche Staatsbürgerschaft ab.
Tucholsky starb am Abend des 21. Dezember 1935 in Schweden, seine Asche wurde im Jahr darauf unter einer Eiche nahe Schloss Gripsholm beigesetzt. Auf der Grabplatte steht die Inschrift "Alles Vergängliche Ist Nur Ein Gleichnis" aus Goethes "Faust".
Schwedische „Fika“
Eine „Fika“ ist in Schweden ein tägliches Muss, daher überrascht es wenig, dass der Begriff sowohl als Substantiv als auch als Verb genutzt wird. Gemeint ist damit eine Kaffeepause samt Keksen, Plundergebäck („Wienerbröd“) oder einer Zimtschnecke („Kanelbulle“) – im Idealfall mit Menschen, die man mag. In Mariefred bieten sich drei Lokale für eine Fika an: Das Café Blå Katten auf dem Hauptplatz, das Jernvägs Café gleich neben dem kleinen Bahnhof sowie Annas Hembageri im Zentrum.
Perfekte Rundfahrt: Ein Erlebnis in mehrfacher Hinsicht ist eine Fahrt mit der Museumsbahn von Mariefred nach Taxinge, eine Einkehr im Taxinge Slottscafé und die Rückfahrt mit dem im Jahr 1903 gebauten Dampfschiff „Mariefred“.
Buchtipps
- Die Sommererzählung zählt zu Tucholskys bekanntesten Werken. Das Buch ist wie ein Urlaub in Schweden: einfach bezaubernd. Liebende schenken einander dieses Buch oft – das ist kein Zufall.
Kurt Tucholsky, Schloß Gripsholm, rororo, 256 Seiten, 8,30 Euro - Dass Schweden viel, viel mehr ist als Bullerbü, Wallander und Astrid Lindgren, zeigt dieser Reiseführer. Klar strukturiert und sehr gut aufbereitet führt dieser Begleiter gekonnt durchs Land.
P. Juling, Schweden – der Süden, Dumont, 308 Seiten, 20,40 Euro - Schweden ist ideal für Individualreisende – und dabei ist dieses Buch der perfekte Begleiter. Es vereint Bildband, Atlas und Reiseführer. Zudem werden zwei Routen und eine Wanderung vorgestellt.
Unterwegs in Schweden, Kunth Verlag, 344 Seiten, 30,80 Euro - Dieser Häppchen- Reiseführer präsentiert 274 sehenswerte Plätze in Südschweden. Eine gute Idee, nur übertreiben die Autoren mit ihrem penetranten Hang zur Selbstdarstellung auf Fotos.
T. & C. Roos, Glücklich in Südschweden, Süddeutsche, 172 S., 19,50 Euro
- Wer wissen will, wie die Schweden ticken, sollte dieses Buch lesen. Es geht auf den 251 kurzweilig zu lesenden Seiten um Köttbullar, Dunkelheit und Schwermut sowie die Nationalhymne.
Gebrauchsanweisung für Schweden, A. Strubel, Piper, 18,50 Euro
Wie lange muss sich die Seele noch baumeln lassen?
Warum bleiben die langweiligsten Artikel tagelang auf der ersten Seite, während interessante Themen oft nach wenigen Stunden verschwinden. Es wäre interessant zu erfahren, nach welchen Kriterien das entschieden wird.
Ich habe den Eindruck, unerwünschte Kommentare sollen die Leser nicht erreichen.
Bei Reisen gibt es weniger Nachschub, daher längere Verweilzeit.
Soweit nicht unlogisch...
Was ist richtig: "wir ... baumelten mit der Seele",
oder "wir ... ließen die Seele baumeln"?