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"Storm"ische Weihnacht

Von Manfred Lädtke   24.November 2018

Ein steifer Nordwestwind zerzaust die Bäume und fegt durch Husums kopfsteingepflasterte Gassen. Regenböen drücken gegen die hübschen Fassaden alter Giebelhäuser. Irgendwo da draußen vor der "grauen Stadt am Meer", wo sich im Nebelgebräu über der baumlosen Marsch Weite und Stille treffen, ließ Theodor Storm (1817-1888) in seiner populären Erzählung den gespenstischen "Schimmelreiter" über den Nordsee-Deich spuken.

Heute würde Storm über eine "bunte Stadt" schreiben, sind Touristiker überzeugt. Allerdings gibt es Literaturfreunde und Nostalgiker, die das melancholische winterliche Küstenwetter geradezu anzieht und die im Dezember in die beschauliche Stadt mit dem herben nordischen Charme kommen. Und alle eint sie der Wunsch, Weihnachten so zu feiern, wie Theodor Storm vor mehr als 165 Jahren.

Windverwehte Vögel taumeln unter dramatischen Wolkenbänken und begleiten den Weg zum Storm-Haus. Das Kaufmannshaus Nummer 31 in der "Wasserreihe" hatten die Storms bis 1880 insgesamt 14 Jahre lang bewohnt. Heimeliges plüschiges Originalmobiliar und alte Familienbilder an den Wänden bestimmen die biedermeierlich-behagliche Wohnatmosphäre in dem heutigen Literaturmuseum. Es ist, als sei der Hausherr nur mal kurz weg. Zur Adventszeit leuchtet ein stattlicher Weihnachtsbaum im Wohnzimmer, das Besuchern alljährlich als "Gute Stube" für festliche Lesungen dient.

Des Vaters größte Passion sei es gewesen, den stets bis zur Decke reichenden Tannenbaum auf "seine Weise" im Kreis der Familie zu schmücken. Er habe den ganzen Zauber der Weihnacht aus Kindertagen in die Weihnacht seiner Kinder zu übertragen gewusst, erinnerte sich Storms jüngste Tochter und spätere Biografin Gertrud. Und natürlich wurde der Baum genau so behängt, wie er einst dem Buben geschmückt wurde. Freilich mit kreativen Varianten. So wie Theodor Storm ändert auch die Storm-Gesellschaft Jahr für Jahr die Dekoration mit Glaskugeln, Zuckerzeug, goldenen Walnüssen, Fichtenzapfen, Flittergoldfähnchen oder Vögeln, die im Tannengrün vor ihrem Nest mit Eiern sitzen: kleine weihnachtliche Symbole, die "wie Kinderträume in den dunklen Zweigen hängen", formulierte der Romantiker.

"Storm"ische Weihnacht
Weiße Weihnacht in der „grauen Stadt am Meer“

Indes sind die feierlichen Leseabende im Storm-Haus mehr als nur norddeutsch-sinnige Mußestündchen mit Hausmusik und Punsch zur Adventszeit. Bei Kerzenschein nehmen Besucher teil an einer Zeitreise durch Lebensabschnitte des Mannes, dem ausgerechnet der preußische Lokalpatriot Theodor Fontane abfällig "Husumerei" und "Provinzsimpelei" vorwarf. Fontanes Spott zielte jedoch weniger auf den Schriftsteller, als vielmehr auf den Menschen Theodor Storm ab, dessen von Wehmut und Erdverbundenheit getragene "Heimatliebe" in der Emigration besonders dann auftrat, wenn es "weihnachtete".

Das Gedicht "Weihnachtsabend" über ein einsames bettelndes Kind schrieb Storm 1852 fernab von Familie und Nordsee, als er Heiligabend allein durch Berlins Straßen spazierte und hinter erleuchteten Fenstern Familien bei ihren Vorbereitungen auf das Fest sah. Weil sich der junge Friese der Dänischen Krone widersetzt und für ein unabhängiges Schleswig engagiert hatte, fand er als Advokat in Husum keine Arbeit mehr und war in die Hauptstadt Preußens gereist. "Mit viel Herzenswärme" schrieb der Kreisrichter auch in seinem zweiten Exil im thüringischen Heiligenstadt die traurig-schöne Erzählung "Unter dem Tannenbaum", in der er seinem Knecht Ruprecht die Botschaft mit auf den Weg gibt: "Von drauß’ vom Walde komm ich her, ich muss euch sagen, es weihnachtet sehr …"

Wenn der Vorleser im Storm-Haus sein Repertoire mit weihnachtlichen Passagen aus "Carsten Curator", "Immensee", aus Gedichten, Briefen und Manuskripten beiseitegelegt hat, knarren im Haus bei Erkundungen von Stube zu Stube die Dielen. Rund 50 Gäste interessieren sich an diesem Abend für die Schimmelreiter-Ausstellung, das "Viola-Tricolor"-Zimmer als Schauplatz der gleichnamigen Novelle oder das Poetenstübchen, in dem ab 1864 nach Storms Rückkehr aus dem Exil "Pole Poppenspäler" (Paul, der Puppenspieler) und 20 weitere Arbeiten entstanden.

Stimmungsvolle Weihnacht war ohne knusprigen Kuchen für den Idylliker Storm aber nicht denkbar. Gereicht werden die mit Sirup, Mehl, Kardamom und Zimt gebackenen Köstlichkeiten jede Weihnacht bei einer weiteren literarischen Reminiszenz zur Teezeit im Hotel "Altes Gymnasium". Hier in der ehemaligen Gelehrtenschule hatte Theodors schriftstellerische Sozialisation begonnen. Nach der Lesestunde folgt die Zuhörerschar einem Literaturscout auf Spuren des poetischen Realisten quer durch Husum.

"Storm"ische Weihnacht
Figuren aus Storms „Pole Poppenspäler“ halten im Museum die bewegende Novelle in Erinnerung

Zum Beispiel in die Süderstraße 12, wo er als Landvogt residierte oder wo nebenan in einem Gasthaus "Pole Poppenspäler" Marionetten-Theater machte. Dieser Novelle vom steten Konflikt vagabundierender Künstler und verständnisloser Bürger hat das Husumer Schloss ein Denkmal gesetzt. Das Poppenspäler-Museum zeigt geschnitzte Figuren aus der dreimal verfilmten Novelle. Selbst anfassen und die Puppen tanzen lassen, ist ausdrücklich erwünscht.

Altes Spielzeug auf drei Etagen

Anziehpuppen und Bilderbogen aus Pappmaché, Blechspielzeug, Märchenbücher und andere Raritäten, über die sich Kinder vor bis zu 100 Jahren gefreut haben, bewahrt das "Weihnachtshaus" im Westerende auf. Mit drei Etagen und 300 Quadratmetern Ausstellungsfläche ist das Stadthaus aus der Gründerzeit das größte weihnachtliche "Geschenkpaket" Norddeutschlands. Zwischen den ersten Adventsuhren und -kalendern, Spielzeug aus der DDR sowie aus Kriegsjahren finden sich auch frühe Naturspielzeuge für arme Kinder. Ein Schlitten aus einer alten Gemüsekiste, Flöten aus Weiden oder ein Steckenpferd aus Ästen zeugen von Fantasie und Geschick, aus denen früher ohne Geld eine kleine, bescheidene Spielzeugwelt entstand.

"Storm"ische Weihnacht
Das Weihnachtshaus bewahrt Spielzeugraritäten auf

Draußen hat es aufgehört zu regnen. Ein paar Schneeflocken tanzen im wässrigen Abendlicht. Als die Turmuhr Mitternacht schlägt, sind die Gassen zwischen Marktplatz und Hafen fast menschenleer. Vielleicht findet sich ja dort drüben im Wirtshaus, wo ein Lichterbaum die Fenster erhellt, noch ein warmer Platz. Nur für ein halbes Stünd-chen, um ein bisschen in Storms gedichtetem Leben zu blättern, der das schlummernde Husum so beschrieben hat: "Over de stille Straten, geit klar de Klokkenslag; god Nacht! / Din Hart will slapen, und morgen ist ok en Dag."

"Storm"ische Weihnacht

Storm & Husum

 

Theodor Storm: Der Jurist und Autor wurde 1817 in Husum geboren. Als Schleswig unter dänische Oberhoheit kam, verließ er die Küste und arbeitete in Potsdam und Heiligenstadt als Justizbeamter. 1864 kehrte er in seine Heimat zurück. 1888 starb er in Hademarschen bei Husum.
Infos zu Veranstaltungen „Weihnachten bei Theodor Storm“: husum-tourismus.de
Lesungen/Führungen im Storm-Haus, 7. bis 28. Dezember: storm-gesellschaft.de

Theodor Storm
Theodor Storm

Weihnachtshaus mit rund 1000 historischen Exponaten zur Weihnachtszeit: täglich von 11 bis 17 Uhr, Eintritt frei. www.weihnachtshaus.info

Pole-Poppenspäler-Museum: Das Museum im Husumer Schloss zeigt Figuren und Marionetten aus Storms Novellen und Märchen sowie Spielpuppen aus verschiedenen Ländern; pole-poppenspaeler.de
Telefon: 0039(0)4841/63242.

Gastronomie: Sehr gemütlich, fast wie zu Storms Zeiten: Jacquelines Café im Schlossgang 10. Ebenfalls sehr liebevoll eingerichtet, ist das Künstlercafé Husum, Neustadt 18. Ausgezeichnete Fischküche bietet der Ratskeller am Marktplatz. Tolle maritime Atmosphäre erwartet Gäste im Hafen-Restaurant „Tante Jenny“. Empfehlung: Rumpsteak mit Pfeffersoße, Bratkartoffeln und Bohnen.

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