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Immer der Schlange nach

Von Bernhard Lichtenberger, 06. Juli 2019, 00:04 Uhr
Immer der Schlange nach
Auf dem Höhenweg des Maglic Bild: beli

24 Jahre nach dem Krieg: eine Wanderreise durch Bosnien und Herzegowina, wo vieles faszinierend und das Zusammenleben sehr kompliziert ist.

"Und, wie sieht’s mit Minen aus?" Dass diese Frage kommt, noch bevor der erste Schritt in die betörende Landschaft gesetzt wird, erstaunt kaum. Fast ein Vierteljahrhundert nach Ende des von 1992 bis 1995 wütenden Bürgerkrieges liegen dessen Relikte massenhaft im Verborgenen. Geschätzte 80.000 Minen stellen nach wie vor eine potenzielle Gefahr dar, vor allem in den ländlichen Gebieten.

"Kein Problem", sagt Benjamin Jusic´. Der stramme Bergführer, hinter dem sich eine Gruppe Wanderfreudiger durch eine imposante Natur- und Gebirgswelt schlängelt, wischt mit seiner gelassenen Art bange Gedanken weg. Wo er sich bewege, sei nichts zu befürchten, auch nicht von Braunbären und Wölfen. Im dichten Mischwald, der auf dem Weg zum Gipfel des Bjelasnica zu durchqueren ist, suchten diese wohl das Weite, umzingelt von heulenden Motoren. Was erst wie ein wildgewordenes, holzhungriges Fichtenmoped anmutet, stellt sich an einigen Wegkreuzungen als röhrender Gatschhupfer aus der Mattighofener Zweiradfabrik heraus.

Jimmy, der Retter, war da

Der Berg ist ohnehin kein unberührter. Neben der Wetterstation auf 2067 Metern Höhe rottet das in den Kriegswirren stark in Mitleidenschaft gezogene Starthaus zur Herrenabfahrt der Olympischen Winterspiele vor sich hin, die 1984 in und um Sarajevo ausgetragen wurden. Aus dem kuriosen Betonklotz wuchtete sich damals Anton "Jimmy" Steiner auf die Piste, um mit seiner Bronzenen die Ski-Nation Österreich vor der totalen Blamage zu retten.

Der in der Ferne sichtbaren Hauptstadt und den für den Wintersport in die Hänge geschlagenen Schneisen den Rücken kehrend, trottet die Geh-Schar dem Hochlandnest Umoljani entgegen. "80 Prozent der Dörfer haben sie während des Krieges niedergebrannt. Die Geflüchteten sollten nicht zurückkehren", erzählt Benjamin Jusic´.

Die Pension Umoljani, eine rustikale Mischung aus Wirtshaus und schlichter Unterkunft, bietet sich als Stützpunkt für feine Touren an. Der freundlich und familiär geführte Betrieb verwöhnt auch kulinarisch, vom g’schmackig-herzhaften Gemüse-Eintopf für Vegetarier bis zu Fleischgerichten, die mit Erdäpfelspalten drapiert in der großen Metallpfanne im Holzofen gegart werden. Dem typischen Nachtisch Hurmasice, in Zuckersirup getränktes Gebäck, mag man sich nicht verweigern.

Immer der Schlange nach
Das Wahrzeichen Sarajevos, der Sebilj-Brunnen Bild: beli

Ein Mann, zwei Penisse

Etliche Kalorien bleiben auf der Strecke ins Bergdorf Lukomir liegen, dem auf 1469 Metern höchstgelegenen des Landes. Durch blühende Wiesen, vorbei an fünf alten, unter einem Buchenblätterdach an den Hang geschmiegten Mühlen, fällt der Blick in die Rakitnica-Schlucht, die sich tief ins dinarische Gestein gefressen hat. Etwas Glänzendes, das über den Pfad schlängelt, stoppt die Schlange der Marschierenden – eine Blindschleiche. Benjamin hebt das Kriechtier behutsam auf. "Sie steht kurz vor der Häutung, und jetzt versucht sie, mich mit der Schwanzspitze zu pieksen", sagt Benjamin. Der 37-Jährige, als Sohn eines bosnischen Technikers und einer deutschen Lehrerin in München geboren und aufgewachsen, kennt sich aus. Hauptberuflich ist der Kletterer, Bergführer und -retter nämlich studierter Biologe. Die Forschung hat den Herpetologen mit dem Spezialgebiet Schlangen vor zehn Jahren in die Heimat des Vaters, nach Mostar, geführt. Er deutet auf die Kloake der eben ihren Darm entleerenden Nicht-Schlange und zeigt den Staunenden die beiden Penisse des Reptils. Kennt das Sexualleben der Schleichen gar eine Ménage-à-trois?

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Im Bergdorf Lukomir scheint die Zeit stehengeblieben zu sein. Bild: beli

Einfach und mühsam

Bevor sich dieser abstruse Gedanke vertieft, ziehen ein schwarzer Skorpion, eine schillernde Smaragdeidechse und schließlich Lukomir die Aufmerksamkeit auf sich. Das Leben hier verläuft einfach. Mühsam bestellen gebückte Frauen kleine Felder. Über Zäune hinweg unterhalten sie sich lautstark. In der Einkehr hängen selbstgestrickte Socken und Handschuhe von der Deckenstange, Selbstgebranntes steht in Plastikflaschen auf dem Fensterbrett, getrocknete Enzianwurzeln liegen in Bündeln übereinander. Die Frau des Hauses serviert eine köstliche bosnische Pita, ein spiralförmig ausgelegtes Blätterteiggericht, mit Käse, Kartoffeln oder Spinat gefüllt.

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Farbenprächtige Smaragdeidechse Bild: beli

Kulisse für Tim Burton

Auf der gegenüberliegenden Schlucht versteckt der Vito seinen 1960 Meter hoch gelegenen Gipfel in den tiefhängenden Wolken. Zu ihm stapfen wir am nächsten Tag, erst durch einen mystischen Buchenwald, dessen bemooste Baumstämme für Hollywoods Düstermeister Tim Burton als filmische Kulisse taugten. Schließlich stößt man wieder auf bunt blühende Wiesen, die in dieser Bergwelt allgegenwärtig sind. Besonders gern weidet sich das Auge an der gelb leuchtenden bosnischen Lilie, die ihre Blütenblätter wie der Türkenbund aufdreht. Weiße Windröschen, prächtiger Enzian und duftender Thymian sind häufig zu finden.

Zu fad im Dorf

Nebelschwaden wehen über Vitos Haupt, lassen unterhalb des Grates grasende Schafe wie Geisterwesen erscheinen. Die kläffenden Hunde sind nicht weit, ebenso der Schäfer, dem zum Plauschen zumute ist. Schulwart sei er bis zu seiner Pensionierung gewesen. Danach habe er sich seine Herde besorgt, "weil ich etwas zu tun brauche. Im Dorf ist es zu fad, da werde ich nur krank", erzählt der 67-Jährige unserem Begleiter.

An einer Quelle beim Abstieg ist der amphibien- und reptilienkundige Benjamin ganz in seinem Element. Im Nass des Holztroges entdeckt er einen von oben betrachtet unscheinbaren Froschlurch. Als er ihn in der Handfläche auf den Rücken dreht, erklärt sich der Name von selbst – eine Gelbbauch-Unke. Der Fänger spürt das brennende Sekret, das sie zur Abwehr absondert. Händewaschen und die Finger in den nächsten Stunden von den Augen fernzuhalten hilft. Doch wo bleiben die Schlangen, auf die wir ganz heiß sind, weil uns der Experte mit seinem umfassenden Wissen gefüttert hat?

Nach einer etwa einstündigen Fahrt auf einer Rumpelpiste im Sutjeska-Nationalpark im südöstlichen Eck des Landes, erreichen wir, begleitet von Gelsen und Bremsen, kleine alpine Lacken, natürlich geformte Amphitheater und den durch eine steinerne Pyramide markierten Ugljesin. Während unsere suchenden Blicke erfolglos durch die im Wind wogenden Gräser streifen, bückt sich der Schlangenforscher flugs, fixiert etwas mit einem biegsamen Steckerl am Boden, greift mit den Fingern der freien Hand zu – und zieht am Schwanz eine seltene Karstotter in die Höhe. Geschickt hält er die etwa 40 Zentimeter lange, mit einem Zickzackband gemusterte Giftschlange in Schach. Dass man einen Biss lieber vermeidet, weiß er aus Erfahrung. Schmerzen, in den Hintern gespritztes Gegengift und drei Tage im Krankenhaus waren die Folge.

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Bergführer Benjamin mit einer giftigen Karstotter Bild: beli

Rundum verwöhnt

Der kompetente Guide kennt sich nicht nur bei dem aus, was kreucht und fleucht. Er beherrscht zudem die Kunst des Verwöhnens. Mit mundenden Jausen, einer Kaffee- und Tee-Auswahl, die er mit heißem Wasser zum Aufgießen in Thermoskannen bergwärts schleppt, und süßem Mürbgebäck lässt er zur Mittagsrast jede Strapaze vergessen. Und es kann schon passieren, dass er am Ende einer Tour aus dem Wald mit Bierdosen auftaucht, die Busfahrer Mohammed in einer Quelle zwecks Kühlung deponiert hat.

Seilgesicherte steile Abschnitte sind auf der rund neunstündigen Königsetappe auf den Maglic zu überwinden, mit 2386 Metern der höchste Punkt von Bosnien und Herzegowina. Sein Name bedeutet Nebelberg. Nur kurz droht er dem gerecht zu werden. Über dem Grat trägt die Thermik einen Falken, der in der Luft zu stehen scheint. Den Gipfel markiert eine Stange mit einer blechernen Fahne in den Farben Serbiens. Willkommen in Absurdistan! Zwar wurde das Land Ende 1995 durch den Dayton-Vertrag befriedet, eine unsichtbare Grenze spaltet es nach wie vor – in die Föderation Bosnien und Herzegowina und in die von Serben dominierte Republika Srpska. Die Kriegsnarben, die das ethnisch-religiöse Gegeneinander von orthodoxen Serben, muslimischen Bosniaken und katholischen Kroaten hinterlassen hat, sind vielerorts durch originalgetreuen Wiederaufbau verheilt – etwa die berühmte Alte Brücke im schmucken Mostar, von der sich Männer für einen Obolus mehr als 20 Meter in die Tiefe stürzen, oder das während der Herrschaft der österreichisch-ungarischen Monarchie im pseudomaurischen Stil errichtete alte Rathaus in Sarajevo.

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Die im Krieg zerstörte Alte Brücke in Mostar wurde originalgetreu wieder aufgebaut. Bild: beli

Den entdeckenden Besucher erfasst das Gefühl, als sei ein Zustand der Normalität eingekehrt. Tatsächlich tritt in Unterhaltungen zutage, dass es unter der Oberfläche nach wie vor bedrohlich brodelt. "Es ist nicht eine Frage ob, sondern wann es wieder losgeht", sagt einer. Er möge sich irren, der faszinierenden Schönheit des Landes zuliebe.

Info: "Bosniens Bergwelt" mit Weltweitwandern, Reisedauer 9 Tage (davon 7 Wandertage), für bergerfahrene Wanderer; nächste Termine: 17.–25. August, 14.–22. September, ab 1470 Euro pro Person im DZ inkl. Flug, Übernachtungen, Verpflegung etc. www.weltweitwandern.com

Unterwegs in Bosnien & Herzegowina

 

Olympia 1984: Die neue Seilbahn führt von Sarajevo auf den Trebevic, wo man durch die Reste der Bobbahn spazieren kann. Hier stand die serbische Artillerie während der 1425 Tage währenden Belagerung der Stadt.

Souvenirs: In Sarajevos Gasse der Kupferschmiede finden Touristen nicht nur die beliebten Kaffeekannen, Schüsseln und Teller, sondern auch Kugelschreiber und Kriegsspielzeug aus Gewehrpatronen.

Hopfen & Malz: Als Schmuckstück präsentiert sich die 1864 gegründete Brauerei von Sarajevo, die nach dem Krieg erfolgreich rekonstruiert wurde. Tip: ein Mischbier in der hauseigenen Schenke.

Ausflug: Während die Räume des Derwischhauses in Blagaj nahe Mostar flott durchschaut sind, beeindruckt dessen Lage an einer überhängenden Felswand und an der Buna-Quelle, Europas größtem Wasserreservoir.

Weinbau: Flächenmäßig bescheiden nimmt sich der Weinbau in der Herzegowina aus. Verkostungen bietet u. a. Vino Brkic in Citluk an, der die autochthonen Sorten Zilavka (weiß) und Blatina (rot) verarbeitet. Topprodukt ist der biodynamische Mjesecar (Mondgänger).

Spur: So schaut es aus, wenn sich ein Braunbär in einer alpinen Wiese entleert. Ob das von uns im Nationalpark Sutjeska erspähte, im Wald verschwindende Bärenhinterteil dazugehörte, ist nicht belegt.

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Autor
Bernhard Lichtenberger
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