Ilha do Sal Die salzige Insel
Die Kapverdischen Inseln gehören geographisch zur Sahelzone. Zu ihnen gehört auch die kleine Insel Sal. Eine Reise zwischen Arm und Reich, weißem Strand und Dürre.
Manena bo tá?", fragt die quietschvergnügte Kapverdierin Ana ihre deutsche Chefin. "Tut dret", also "alles gut", antwortet Anne Seiler in kapverdischem Kreol, das auf dem Portugiesischen basiert. Vor 15 Jahren hat die Bayerin als Touristin das erste Mal die frühere portugiesische Kolonie Kapverde betreten. Seilers Besuch auf den 500 Kilometer vor der westafrikanischen Küste gelegenen Inseln sollte ihr Leben und das vieler Bewohner der Ilha do Sal – auf Deutsch "Insel des Salzes" – verändern.
"Ich bin schon in vielen Ländern gewesen, aber auf den Kapverden hat es klick gemacht", erzählt Seiler, wie sie sich um die Jahrtausendwende in einen Kapverdier verliebt hat und heute mit ihrer 14-jährigen Tochter Telma im Süden der Insel Sal im Städtchen Santa Maria lebt. Traumhafte Sandstrände, kristallklares Wasser und riesige Hotelanlagen haben das verschlafene Fischerdorf innerhalb von 20 Jahren in ein touristisches Zentrum verwandelt. Wahrzeichen der 20.000 Einwohner zählenden Stadt mit ihren pastellfarbenen Häusern, Restaurants und Läden ist das historische Waaghaus am alten Hafenkai von Santa Maria, wo früher der Reichtum der Insel – Salz – abgewogen worden ist und sich heute Souvenirläden eingemietet haben.
Seit 15 Jahren arbeitet Seiler als Reiseleiterin auf Sal und hat sich zur "kleinen Unternehmerin", wie die Münchnerin bescheiden sagt, hochgearbeitet. Heute steht auf ihrem Geländewagen die deutsche Übersetzung von Anas morgendlicher Frage "Manena bo tá": Wie geht’s dir? Ana ist Analphabetin und stammt aus dem Armenviertel Terra Boa im Norden der dünn besiedelten Insel. "Sie hat Schwierigkeiten gehabt, einen Job zu finden. Also habe ich Ana vor vier Jahren bei mir zu Hause angestellt, damit jemand für meine Tochter da ist, wenn ich arbeite. Darüber ist sie sehr glücklich und ich auch", sagt Seiler, von der mittlerweile viele Arbeitsplätze auf Sal abhängen. Zusammen mit ihrem Mitarbeiter Tcharls und weiteren Tourguides zeigt sie Urlaubern ihre Wahlheimat.
Das Blaue Auge
Der erste Stopp führt uns auf einer unbefestigten Straße an schmucken Ferienhäusern und verfallenen Baracken vorbei nach Buracona im Norden der Insel. Zwei besondere Naturschauspiele ereignen sich jeden Tag beim natürlichen Meerwasserpool, der zum Baden einlädt: In einer elf Meter tief gelegenen Unterwasserhöhle bündeln sich um die Mittagszeit die Sonnenstrahlen im Meerwasser. Durch das ovale Loch in der Felsdecke leuchtet das "Olho Azul", das Blaue Auge, intensiv türkisfarben – faszinierend. Genauso sehenswert ist es, der Gewalt des Meeres zuzuschauen: Dessen Wellen brechen an den vulkanischen Felsklippen und lassen die Gischt hoch über den Badenden im Gesteinsbecken aufspritzen.
Durch Marslandschaften fahren wir zu Anas Heimatdorf Terra Boa, übersetzt "gute Erde". Hier leben in Baracken – ohne Strom und fließendes Wasser – rund 300 Menschen, davon 130 Kinder. Die illegale Slumsiedlung liegt einige Kilometer hinter der Inselhauptstadt Espargos mitten in der Wüste und ist fixer Zwischenstopp bei Seilers Insel-Touren: "Ich sage Touristen immer, gebt den Kindern bloß nichts, die lernen nur zu betteln." Als es früher noch mehr geregnet hat, war Terra Boa ein Landstrich, wo die Bewohner Gemüse anbauen konnten. "Um diese Menschen herum hat sich ein Slum gebildet. Seit zehn Jahren schaue ich zu, wie er wächst und wächst", sagt Seiler, die in Deutschland als Journalistin gearbeitet hat. Neben Terra Boa gibt es noch drei weitere Slums auf Sal, direkt an die Hauptstadt Espargos "drangeklebt".
Was veranlasst viele Kapverdier, in eine Barackensiedlung zu ziehen? Slums gibt es auf den Kapverden nur auf zwei Inseln: Boavista und Sal. Sie sind die Zentren für den Massentourismus, und viele Kapverdier hoffen am Bau, als Reinigungskraft oder im Tourismus Arbeit zu finden. Cecilia konnte sich die Miete in Espargos nicht mehr leisten und hat deswegen in Terra Boa ihre Zelte aufgeschlagen. Ihr Nachbar Roberto ist vierfacher Vater und stammt aus São Nicolau, einer kapverdischen Insel, die von Landwirtschaft und Armut geprägt ist. "Ich bin Bäcker, Fischer und Tischler. Wenn eine Arbeit nicht ausreicht, dann suche ich eine zweite und dritte", sagt der 30-Jährige, der sich ehrenamtlich in dem von Seiler gegründeten Hilfsverein "Associação Apoio as Crianças de Terra Boa" (AACTB) engagiert. "Anne hilft uns sehr: Früher hat es keinen Kindergarten in Terra Boa gegeben. Er ist gratis im Gegensatz zu allen anderen Kindergärten auf Sal, und die Kinder bekommen kostenlos jeden Tag eine warme Mahlzeit. Seit Anne mit ihrem Projekt begonnen hat, gibt es kein Kind mehr in Terra Boa, das nicht in den Kindergarten oder in die Schule geht, das ist sehr wichtig. Anne ist für uns die Mutter Terra Boas", sagt Roberto.
Neben dem neugebauten Kindergarten, den die Bewohner aus Dankbarkeit "Jardim Anne" benannt haben, hat die Deutsche zahlreiche weitere Projekte realisiert: "Mindestens zehn Prozent unserer Einnahmen durch Inselrundfahrten sowie alle meine Trinkgelder gehen in unsere ,Terra-Boa-Kasse’, aus der Arztbesuche für kranke Kinder, Medikamente, der Schulbus, ein 13.000-Liter-Wassertank sowie Schulsachen und -gelder bezahlt werden."
Wüstenähnliches Klima
Gründe für die Armut sind in niedrigen Einkommen und hohen Preisen zu finden. Ein Zimmermädchen in einem Hotel verdient 150 Euro im Monat, doch die Lebenshaltungskosten haben westeuropäisches Niveau: "Viele Lebensmittel sind teurer als in Deutschland", sagt Seiler. Verantwortlich für die hohen Preise in Supermärkten ist die aufgrund des wüstenähnlichen Klimas sehr begrenzte landwirtschaftliche Produktion, die teure Importe notwendig macht. Trotz der harten Lebensbedingungen begegnen die Kapverdier Besuchern ihres Inselstaates stets freundlich und fröhlich. "Wir versuchen Slumtourismus zu vermeiden, aber das ist natürlich eine Gratwanderung", sagt Seiler.
Weiter geht die Inseltour durch unwirtliche Vulkanlandschaften zur meistbesuchten Sehenswürdigkeit auf Sal, nach Pedra de Lume, was so viel wie "feuriges Gestein" bedeutet. Früher wirtschaftliches Zentrum der Insel und dank des industriellen Salzabbaus Namensgeber von Sal, leben heute nur noch ein paar Fischer in dem Dorf, das einer Wildwest-Geisterstadt gleicht. Im nahen, 900 Meter großen Vulkankrater hat sich vor langer Zeit eine natürliche Saline unterhalb des Meeresspiegels gebildet: Durch das poröse Lavagestein konnte Meerwasser einsickern, verdunsten und als schneeweiße, glitzernde Salzschicht wieder an die Erdoberfläche treten.
Mehr Salz als im Toten Meer
Bis zu 30.000 Tonnen Salz sind von Ende des 18. bis Anfang des 20. Jahrhunderts jedes Jahr abgebaut und exportiert worden. Schließlich ist die Salzgewinnung eingestellt worden und heute nur noch auf Eigenbedarf ausgerichtet. Durch einen Tunnel gelangen wir ins Innere des Vulkankraters mit seinen zahlreichen Seen, die einen höheren Salzgehalt als das Tote Meer aufweisen. Touristen genießen in der faszinierenden Kraterumgebung ein wohlig warmes Kurbad, lassen sich im Salz eingraben und massieren. "Manena bo tá? – Tut dret!"