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"Ich will zurück nach Syrien"

Von Josef Lehner   10.November 2019

Ich habe als Kind so gerne die Geschichten aus ‚Tausendundeiner Nacht’ gelesen", erinnert sich Ingrid Hafeneder. "Jetzt bin ich da! Das habe ich mir gesagt, als ich das erste Mal in Syrien gewesen bin. Ich werde diesen Augenblick nie vergessen."

Damit meint sie den Moment, als sie das alte Palmyra erblickt hat. "Du fährst mit dem Bus die 240 Kilometer von Damaskus durch die Wüste. Die Landschaft ist ocker in allen Tönen. Irgendwann siehst du vorne einen schwarzen Fleck, der immer größer wird. Es sind die Palmengärten von Palmyra. Nach einer Straßenbiegung steht plötzlich, wie aus Aladins Wunderlampe, die alte römische Stadt."

2011: Erste wilde Schießerei

Das Dreigestirn Syrien – Jordanien – Libanon war für die heute 61-Jährige über viele Jahre das wichtigste Ziel als Reiseleiterin. Zu Ostern 2011 begann schließlich mit dem Arabischen Frühling die Vertreibung aus dem Paradies. "Ich wollte mit einer Gruppe nach Homs. Dort war eine Grabung des archäologischen Instituts der Universität Tübingen. Ein Palast, eine kleine Sensation. Wir kamen nicht mehr hin, weil wie wild geschossen worden ist. Seither veranstaltet niemand mehr Reisen nach Syrien. Ich kann gar nicht glauben, dass das schon wieder so lange her ist."

"Ich will zurück nach Syrien"
Ingrid Hafeneder vor zehn Jahren vor dem großen Tempel in Baalbek (Libanon).

Für Ingrid Hafeneder bedeutete die Gründung des "IS", also des Islamischen Staates, im Raum Irak-Syrien erstens eine kulturelle Katastrophe, weil die wild gewordene Soldateska viele antike Stätten zerstörte. Zweitens änderte sie ihren Lebensablauf grundlegend: "Ich war ja jedes Jahr von Oktober bis April mit meinen Gruppen dort unterwegs."

Eine engagierte Reiseführerin findet wegen der stürmisch wachsenden Touristenscharen immer ausreichend Arbeit. Sie habe seit dem Start im Jahr 1993 immer nur Bildungsreisende geführt. "Ich will niemandem erklären, wie er sich am Strand eincremen muss", sagt sie. "Ich brauche neugierige Leute, die wissen wollen, wo sie genau sind und warum alles ganz anders ist als zuhause. Wenn es dir gelingt, die Reisenden hineinzuziehen in diese anderen Kulturen, wenn sie eine Beziehung aufbauen können, dann hast du es geschafft." Es sei zwar alles bloß eine Dienstleistung wie viele andere auch: "Ich muss einfach für die Menschen da sein. Ich will aber auch, dass sich jeder in einer Gruppe auf so einer Reise ein paar Mal von Herzen freut." Neugier sei seit der Jugend auch ihre persönliche Antriebsfeder.

Erstes Ziel: Damaskus

Ingrid wuchs wohl behütet in Suben auf. Ihr Vater war Aufseher im Gefangenenhaus. Sie absolvierte die Hotelfachschule in Hofgastein und litt sehr darunter, "ein ungebildeter Mensch" zu sein. In Bad Ischl holte sie die Matura nach, in Salzburg studierte sie Germanistik und Publizistik. Beruflich startete sie in Wien als parlamentarische Mitarbeiterin, wurde aber 1993 von einer Freundin zum Reiseleitergeschäft verführt.

"Ich will zurück nach Syrien"
Ingrid Hafeneder, Reiseleiterin (ein aktuelles Bild von ihrer jüngsten Tour durch Marokko)

Erstes Ziel, natürlich: Damaskus. Bald kam China dazu, auch Russland. Seit der Nahe Osten versperrt ist, baut sie die anderen Ziele aus. Sie habe das Baltikum für sich entdeckt, weil sich darum niemand richtig professionell gekümmert habe. Spanien sei eines ihrer Spezialgebiete. So vieles müsse sie vernachlässigen. "Ich sehne mich immer wieder nach Südfrankreich, aber ich kann nicht alles machen." Es störe sie nicht, dass sie für ihr strenges Regiment bekannt sei: "Bei mir ist um sieben Uhr Frühstück und um acht Uhr Abfahrt, weil es gibt so viele interessante Sachen zu sehen. Ich versuche, die Menschen damit zu begeistern."

Oft auf hoher See

Sie hat zwei wirtschaftliche Standbeine: einerseits Bildungsreisen, seit Jahren ausschließlich für Kneissl-Touristik aus Lambach – "einer der wenigen professionellen Anbieter". Zweitens ist sie als Lektorin auf Aida-Schiffen auf den Weltmeeren unterwegs. Sie hält an Bord Vorträge über die Landziele der nächsten Tage und begleitet öfters auch Gruppen auf Landausflügen, wenn deutschsprachige Reiseleiter knapp sind.

Heuer war sie mehr als zwei Monate auf See, von Kiel über den Atlantik, das Mittelmeer und den Indischen Ozean bis nach Singapur. Ihre Arbeit sei eigentlich wie Journalismus, den sie ja in Salzburg gelernt habe: Das Wichtige auswählen und in verträglicher Form vermitteln. Mangel an Interesse könne sie bei Bildungsreisen nicht beklagen: "Je fremder Kulturen sind, je weiter sie von dem entfernt sind, was sie als unseren Nullwert ansehen, desto mehr interessieren sich die Menschen." Es störe sie aber nicht, wenn Menschen im Urlaub Bildung verweigern: "Sie haben so anstrengende Jobs und wollen im Urlaub einfach relaxen."

Ohne Religion undenkbar

Eine große Rolle spielten in ihrem Geschäft Religionen: "Indien ist ohne Religion undenkbar." Vielleicht werde es ihr noch einmal gelingen, vergleichende Religionswissenschaften zu studieren. Ihr Pensum dürfe sie aber nicht überziehen: "2018 war ich 230 Tage unterwegs. Das ist eindeutig zu viel", sagt Ingrid Hafeneder. Eine Gruppe mit 20 und mehr Menschen Tag für Tag zu betreuen, sei sehr anstrengend. Es gehe ja nicht bloß um Kultur, sondern die Kunden bräuchten auch das Alltäglichste: "Wenn du eine Besichtigung beginnst, musst du vor allem eine genaue Vorstellung davon haben, wo deine Leute auf eine Toilette gehen können."

Neben diesen banalen Dingen gehen ihr immer wieder diese unvergesslichen Bilder aus Syrien durch den Kopf. Sie sei so gerne in Aleppo am Rande des Suks gesessen und habe die Atmosphäre eingeatmet – oft auch Rauch aus einer Shisha. Oder der Blick von der alten Kreuzritterburg auf den Sonnenuntergang über Palmyra und die Wüste. "Ich hatte für diesen Ausblick immer eine Flasche Wein und ein paar Plastikbecher organisiert – das war in Syrien schwer genug. Meine Reisenden und auch mich hat das jedes Mal fasziniert."

Wer hat überlebt?

Es geht aber auch seit Jahren Sorge in ihr um. "Am Anfang war ich völlig aus dem Häuschen, als ich die Berichte vom Krieg studiert habe. Aber es ist den IS-Kriegern nicht gelungen, alles zu zerstören. Vieles wird wieder aufgebaut werden können, auch wenn es nicht so wie früher sein wird." Vor allem denke sie an die vielen, vielen Bekannten: "An der Straße nach Palmyra hat es mitten in der Wüste das Bagdad-Café gegeben. Ich möchte wissen, ob die Leute dort überlebt haben." Seit dem Vorjahr hat das Nationalmuseum in Damaskus wieder geöffnet, auch die Zitadelle in Aleppo. Doch niemand weiß genau, ob und wann sich verlässliche Perspektiven in der Region entwickeln werden. Über die vielen bedenklichen Entwicklungen im Assad-Regime will sie nicht reden: "Ich will ja zurück nach Syrien."

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