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"Hören Sie die Stille?"

Von Christoph Zöpfl, 25. Mai 2019, 00:04 Uhr
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Bildergalerie Eine Reise nach Kasachstan
Bild: Christoph Zöpfl/OÖN

Eine Reise nach Kasachstan ist eine Weltreise durch ein Multiversum, das von Almaty aus in wenigen Tagen erkundet werden kann.

Endlich. Es ist kurz vor Mitternacht, ich falle erschöpft ins Hotelbett. Gefühlt steckt eine mindestens zweiwöchige Expedition durch hohe Gebirge, tiefe Schluchten, weite Steppen und bizarre Wüsten in meinen Knochen. Tatsächlich bin ich erst am Sonntag hier in Almaty gelandet. Und heute ist Mittwoch. Kaum zu glauben, was ich in den vergangenen Tagen alles erkundet, gesehen und erlebt habe. Ich bin todmüde, kann aber nicht einschlafen. Da sind so viele Bilder im Kopf…

"Während des Aufstiegs genießen die Gäste einen herrlichen Blick auf die Eislaufbahn Medeo in ihrer vollen Perspektive nach oben."

Bei der Ankunft am Flughafen von Almaty werden wir von grimmig dreinschauenden Kriegern, gegen die Österreichs Basketball-Profi Jakob Pöltl ein Zwutschkerl ist, in Empfang genommen. Die finsteren Gestalten werden von ortskundigen Menschen flankiert, die uns in den nächsten Tagen durch die Gegend führen sollen. Der Ablauf der Reise wurde uns vorab recht detailgenau in einer Broschüre mitgeteilt. Das Deutsch ist etwas holprig, aber zwischen den Zeilen ist deutlich herauszulesen, dass Gastfreundschaft in Kasachstan ganz, ganz groß geschrieben wird.

Beim ersten Ausflug geht es hoch hinaus ins alpine Skigebiet Shymbulak, das nur eine halbstündige Busreise von der Stadt entfernt ist und per österreichischer Aufstiegshilfe (Doppelmayr-Seilbahn) auch von Halbschuh-Touristen erobert werden kann. Die Bergstation liegt auf 3165 Meter Seehöhe. Mitte Mai wird noch Ski und Snowboard gefahren. Beim Raufgondeln schweben wir über die Medeo-Eislaufbahn, auf der serienweise Eisschnelllauf-Weltrekorde geknackt werden, weil die Luft dünn und das Eis besonders schnell ist. Almaty hätte hier 2022 gerne olympisch gespielt, aber das Internationale Olympische Komitee wollte bei der Vergabe seiner sportlichen Millionen-Show wie so oft nicht den rationalen, sondern den kommerziellen Argumenten folgen. Dementsprechend sind in drei Jahren die Winterspiele nicht in Almaty, sondern im benachbarten China – im weltberühmten Wintersportort Peking.

Oben, am Shymbulak, finden dafür täglich Selfie-Weltmeisterschaften der Instagram-Apostel statt. Sie kommen vorwiegend aus Russland, China oder Indien, aber auch immer mehr Europäer haben Kasachstan als sehenswertes Ziel entdeckt. Die Bergwelt über Almaty ist ganz schön fotogen. Die zweite Seilbahn in Almaty führt hinauf zum Kok-Tobe-Park am südöstlichen Stadtrand. Dort oben kann man sich ebenfalls ein fantastisches Panoramabild von einer Stadt machen, die auch kulturell sehr viel zu bieten hat. Dazu kommt ein kleiner Vergnügungspark inklusive Riesenrad, Autodrom und ziemlich brachialen Schießständen mit Maschinengewehrattrappen. Im "Back-Stage-Bereich" des Parks schaut man in eine fast unberührte, prachtvolle Natur. "Almaty, die Stadt der tausend Farben", lautet ein Slogan. Er ist fast eine Untertreibung.

"Warum sollen wir so früh gehen? Es soll die maximale Abdeckung mehrerer Orte… bieten."

Am zweiten Tag verlassen wir unseren (mit Wifi ausgestatteten) Shuttle-Bus und wechseln frühmorgens in breitspurige Geländeautos, mit denen wir drei Tage das Umland von Almaty im "Dreiländer-Eck" Kasachstan, Kirgisien und China erkunden werden. Es sollte eine Weltreise werden, die uns durch Gebirge, Steppen, Canyons und Wüsten führen wird. Die Speicherkarten von Handys oder Fotoapparaten werden rauchen, unsere Augen übergehen.

Zunächst geht es in den Charyn-Nationalpark, der atemberaubende Tiefblicke in zerfurchte Schluchten bietet. Sergej, unser umsichtiger und fremdsprachlich sattelfester Tour-Guide (Deutsch, Englisch) redet vom "kleinen Bruder" des US-amerikanisch Grand Canyon. Naja, so klein ist der kleine Bruder gar nicht. Und im Gegensatz zum westlichen Vorbild gibt’s hier in Zentralasien (noch) keinen Hubschrauber-Tourismus.

Auch bei den Unterkünften merkt man, dass der große Fremdenverkehr noch nicht angekommen ist. Wir übernachten in einem eher rustikalen Guest-House, in dem die Gäste abends miteinander reden müssen, weil die Handys aufgrund der fehlenden kabellosen Internetverbindung im Ruhestand bleiben. Wir sitzen am Lagerfeuer, schauen hinauf zu den Sternen, es werden Geschichten erzählt und Lieder gesungen. Es wird also offline sozial genetzwerkt. Gefällt mir.

"Drei Seen bilden eine allmähliche Kaskade."

Tag zwei unserer Weltreise. Nach dem Grand Canyon sind wir heute in den Alpen und fühlen uns dort wie zuhause. Die malerischen Kolsai- und Kaindy-Bergseen erinnern an Grundlsee, Gosau See(n) oder Almsee. Der Unterschied: In einem See stehen abgestorbene Bäume wie gigantische Zahnstocher herum. So etwas sieht man selten, eigentlich nur hier. Die Szenerie wirkt magisch. Sergej stellt die Frage "Hören Sie die Stille?" in den Raum. Und wir nicken sprachlos.

Die Seen ziehen immer mehr Touristen an. Wer sich den Fußmarsch sparen will, kann eines der Reitpferde nutzen, die von den Einheimischen angeboten werden. In mehr als 80 der rund 200 Häuser des nahegelegenen Dorfes werden inzwischen Fremdenzimmer angeboten. Ob man die Stille der Kolsai- und Kaindy-Seen noch lange hören wird?

Unterwegs zum nächsten Ziel besuchen wir eine uigurische Familie. Der Hausherr hat uns zum Tee eingeladen. Das heißt, die Tische biegen sich, weil so viel feste Nahrung draufsteht. Die Gastfreundschaft manifestiert sich in Kasachstan im kulinarischen Angebot. Die Gewichtszunahme pro Tourist und Urlaubsreise soll vier Kilo betragen, sagt Sergej. Wie bei jedem guten Witz steckt ein mehr oder weniger schweres Körnchen Wahrheit drinnen.

"Manchmal, wenn das Wetter trocken ist und der Wind aus dem Westen weht und den Sand zerstreut, hat man das Gefühl, dass die Pfeifenorgel mitten in der Wüste spielt."

Am dritten Tag der Tour zeigen zunächst einmal unsere Fahrer, wie viel sie unterwegs im Gelände wagen. Sie überwinden mit ihren Offroad-Vehikeln spielerisch-sicher viele natürliche Hindernisse, die sich abseits der Straßen in unseren Weg stellen. Das Treibstoffsparen ist in Kasachstan kein Thema. Der Liter Sprudel kostet nicht mehr als 30 Cent, ein hubraumstarkes Geländeauto gilt als Statussymbol. Auch unser Autopilot, Slava, ein 62-jähriger und längst pensionierter Ex-Oberst der Roten Armee, lässt es ganz schön tuschen. Dazu gibt’s westliche Pop- und Rockmusik aus den Lautsprechern der Hifi-Anlage.

Wir erreichen den Altyn-Emel- Nationalpark mit seinen Weißen Bergen von Aktau. Das Farbenspiel der Gebirgsformation ist einzigartig. Wir wandern durch ein ausgetrocknetes Flussbett, zurück wähle ich einen Pfad auf einem Hochplateau. Dort befindet man sich auf einem fremden Planeten oder zumindest in der Kulisse eines Science-Fiction-Films.

Nach einem Picknick schickt uns Sergej in die Wüste. Die Dünenlandschaft wächst so unvermittelt aus der Steppe, dass man sich die Augen reibt. Der Aufstieg ist schweißtreibend aber lohnenswert. Ihrem Ruf, eine singende Düne zu sein, wird der große Sandhaufen heute nicht ganz gerecht. Immerhin, der Wind pfeift uns ganz schön um die Ohren. Von der Wüste geht es zurück in die Oase namens Almaty, in der wir spätabends todmüde ins Bett fallen. Und nicht gleich einschlafen können. Es sind so viele Bilder im Kopf.

"Vorgeschlagene Packliste: bequeme Hose … Offenheit, positive Einstellung. Es erscheint unerwünscht, in öffentlichen Räumen mit einer Alkoholvergiftung zu erscheinen …"

Zum Drüberstreuen am Ende der Reise unternehmen wir noch einen Abstecher in die Hauptstadt, die inzwischen statt Astana den Vornamen des langjährigen Kasachstan-Machthabers Nursultan Nasarbajew trägt. Die Millionenstadt wirkt wie das Gegenteil von Minimundus – überall gibt es gigantische Bauwerke, die an Vorbilder der westlichen Welt erinnern. Wenn man wie wir aus der natürlichen Erlebniswelt des südlichen Kasachstan anreist, ist man vom hier praktizierten Überfluss eher verstört als beeindruckt.

Sergej, unser Reiseführer, erinnert uns an die im Beipacktext der Reise eingeforderte Offenheit und positive Einstellung. Kasachstan sei stolz auf seine Hauptstadt. Das letzte Abendmahl nehmen wir im pipifeinen Sunduk-Restaurant, wo uns natürlich abermals viel mehr kredenzt wird, als im Programm angegeben (1 Salat, 1 Hauptgericht, 1 Dessert, 2 Gläser Wein, Tee, Wasser). Wir machen die Nacht zum Tag, weil wir ohnehin schon um halb zwei Uhr früh zum Flughafen aufbrechen müssen. Beim Check-in erscheinen wir – der ausgegebenen Empfehlung gemäß – ohne Alkoholvergiftung. Etwas besoffen von den Eindrücken der vergangenen Tage sind wir aber schon.

Video:

Kasachstan, die unbekannte Größe

  • Stadt: Das Basislager unserer Reise war die frühere Hauptstadt Almaty. Sie ist mit 1,8 Millionen Einwohnern die größte Stadt des Landes. 2018 zählte man rund eine Million Besucher, damit zieht die Region 44 Prozent des kasachischen Tourismus auf sich.
  • Land: Kasachstan ist das neuntgrößte Land der Erde, hat aber nur 18,4 Millionen Einwohner. Mehr als 130 ethnische Gruppen wohnen hier friedlich neben- und miteinander. Der sanfte Tourismus wird gerade wachgeküsst. Im Umfeld Almatys gibt es fünf Nationalparks mit vier UNESCO-Welterbestätten. Bei der Erschließung der beeindruckenden Bergwelt ist auch österreichisches Know-how gefragt. Der Salzburger Gernot Leitner ist mit seiner Consulting-Agentur aktiv.
  • Überfluss: In Nursultan – vormals Astana (1998-2019), vormals Aqmola (1992-1998), vormals Zelinograd (1961-1992), vormals Akmolinsk (1830-1961) – wurden und werden Milliarden in futuristische Bauwerke investiert. Kasachstan ist dank seiner Bodenschätze das reichste Land Zentralasiens. 
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Autor
Christoph Zöpfl
Leiter Sportredaktion
Christoph Zöpfl
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