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Heiß umfehdet, wild umstritten

Von Gerhard H. Oberzill   09.April 2022

Als wir am Schloss Marchegg eintreffen, empfängt uns begeisterter Applaus. Soweit halt Weißstörche klatschen können: Von ihren Horsten herab klappern sie mit ihren Schnäbeln ein wahres Stakkato. Wir fühlen uns geehrt. Bis uns Naturvermittlerin Birgit auf den Boden zurückholt: Der Willkommensgruß der Klapperstörche gelte sicher nicht uns, sondern den eben gelandeten Artgenossen.

Der erste Storch kam heuer am 5. März in der Marchegger Au an, das wurde im Naturreservat genau registriert. Zuerst landete ein Männchen, inspizierte das Nest vom Vorjahr, besserte es aus, und bald fand sich eine Störchin ein. Für April ist mit Nachwuchs zu rechnen. Sind die Rauchfänge des Schlosses besetzt, besiedeln weitere Adebare die Horste auf den alten Eichen und Quirl-Eschen des dahinterliegenden Feuchtgebietes. Mit etwa 50 Paaren beherbergt Marchegg die größte baumbrütende Weißstorchenkolonie Mitteleuropas.

Heiß umfehdet, wild umstritten
Die Storchenwiese in den Marchauen

Nachbars fette Frösche

Die Vögel vertilgen alles, was da kreucht und fleucht und gerade noch in ihre Schnäbel passt. Futteropportunismus nennen die Biologen das. Damit die Störche ihre Mahlzeiten im Gras leichter finden, engagierte die Naturparkverwaltung urtümliche Konik-Pferde als Bio-Rasenmäher. Trotz der gedeckten Tafel fliegen manche Störche fremd, schlafen zwar in Österreich, lunchen aber im benachbarten slowakischen Augebiet jenseits der March. Dort soll es nämlich besonders fette Frösche geben. Und kräftige Kost brauchen die Adebare, um durchzuhalten auf ihrem 10.000-Kilometer-Langstreckenflug nach Ost- und Südafrika, zu dem sie Mitte August aufbrechen.

Heuer erfährt man in Marchegg aber noch viel mehr, findet doch im renovierten Schloss, das mehr als drei Jahrhunderte lang der ungarischen Fürstenfamilie Pálffy ab Erdöd gehörte, die niederösterreichische Landesausstellung 2022 statt. Unter dem Titel "Marchfeld Geheimnisse" präsentiert die Schau ein vielfältiges Stück Österreich zwischen den Hauptstädten Wien und Bratislava. Kornkammer und Gemüsegarten – demnächst beginnt wieder die Spargelsaison – ist das Marchfeld ebenso wie Dünen- und Aulandschaft, dazu Erdölfördergebiet. Und oft genug war es eine heiß umfehdete, wild umstrittene Grenzregion, die erst mit der Ostöffnung wieder mehr ins Zentrum rückte.

Bollwerk gegen die Ungarn

"Conditor urbis Marchegg" steht auf dem Sockel des Denkmals, das freilich keinen "Urbis Conditor" darstellt, wie weiland Friedrich Torberg den Stadtzuckerbäcker Demel auf dem Wiener Kohlmarkt scherzhaft nannte, sondern Premysl Otakar II., der die Siedlung als Bollwerk gegen die Ungarn gründete; von der mittelalterlichen Stadtmauer ist heute noch ein guter Teil erhalten, den man entlangspazieren kann. Doch wie wir spätestens seit Grillparzers Trauerspiel wissen, fand Böhmenkönig Ottokar hier nicht nur Glück, sondern 1278 in der nahen Schlacht zwischen Dürnkrut und Jedenspeigen auch sein tragisches Ende. Rudolf von Habsburg aber legte mit seinem Sieg den Grundstein für den Aufstieg des Hauses Österreich. Ist es Zufall, dass der Stern der Dynastie 640 Jahre später auch hier verglühte? Vom Marchfeldschloss Eckartsau aus trat Kaiser Karl I. den Weg ins Exil an. Vor 100 Jahren, am 1. April 1922, starb er auf Madeira.

Wenige Tage erst ist die Fahrradbrücke Vysomarch jung, die bei Marchegg elegant den Fluss überspannt und die Marchfelder Ausflugsmöglichkeiten um das "Hinterbergland" erweitert. Genau das bedeutet Záhorie, der slowakische Name der Region östlich der March, mit dem das Gebiet hinter (von uns aus gesehen: vor) den Kleinen Karpaten gemeint ist. Zusammen mit der "Fahrradbrücke der Freiheit" bei Schloss Hof im Süden und der Fähre von Angern nach Záhorskà Ves im Norden ergeben sich damit für Pedaleure von hüben und drüben attraktive Rundrouten, teils auf dem Iron Curtain Trail, die etwa zum Tebener Kogel, dem Pálffy-Schloss Stupava oder in den Wallfahrtsort Marianka führen. Unüberwindliche Steigungen sind im brettlebenen Marchfeld keine zu befürchten, allenfalls könnten nicht elektrifizierte Biker vom Winde verweht werden.

Heiß umfehdet, wild umstritten
Schloss Hof, repräsentativer Landsitz des Prinzen Eugen

Schloss Hof sollte bei solch einem Ausflug keine Durchgangsstation, sondern als größtes der Marchfeldschlösser Etappenziel sein. Im Mittelalter als Veste Hof gegründet, ging das Bauwerk durch etliche Hände, bis Prinz Eugen von Savoyen es erwarb und durch Johann Lucas von Hildebrandt zu einem Jagdschloss umgestalten ließ. Die Pest war überwunden, die Osmanen besiegt, man gab sich ungehemmt barocker Lebensfreude hin, die Feten des "edlen Ritters" waren berühmt. Der zahme Löwe, mit dem Eugen seine Besucher begrüßte, wird allerdings manchem Gast nicht ganz geheuer gewesen sein; Schloss Hofs heutiger Streichelzoo nimmt sich da wesentlich harmloser aus. Einmalig aber ist der Barockgarten, der sich auf sieben Terrassen ausdehnt, die sanft zur March hin abfallen. Und während hier noch strenge Symmetrie herrscht, zeigen die Beete der nahen "Dependance" Niederweiden bereits die verspielte Unregelmäßigkeit des Rokoko.

Von Schloss Hof führt ein anderer Radweg quer durchs Marchfeld bis Wien. Er folgt dabei dem Rußbach, der mit Donauwasser vom Marchfeldkanal gespeist wird, der vor drei Jahrzehnten zur Bewässerung der Region in Betrieb ging. Immer wieder weisen Gedenktafeln am oder nahe dem Radweg mit einem Napoleon-Zweispitz-Logo auf Ereignisse anno 1809 hin. Erstaunt liest man etwa, dass es der Grande Armée nicht gelungen war, den schmalen Rußbach zu überqueren. Letztlich aber siegte der Korse über die Österreicher unter Erzherzog Carl bei Wagram, wo in der bis dahin größten Schlacht der Napoleonischen Kriege 300.000 Soldaten aufeinandertrafen. Bis heute ruhen in Gräbern an der Strecke die Überreste von Franzosen, die "pour la gloire de la Patrie" gefallen sind – ein Ruhm, auf den die Männer wohl gerne verzichtet hätten. Wann wird man je versteh’n …

Napoleons erste Niederlage

Lieber als an diese Niederlage erinnern wir uns freilich an den österreichischen Sieg, den Erzherzog Carl sechs Wochen vor Wagram – letztlich vergeblich – bei Aspern am Westrand des Marchfelds errungen hatte. Immerhin war es Napoleons erste militärische Niederlage, Carl wurde zum "Überwinder des Unüberwindlichen" (Heinrich von Kleist) hochstilisiert, der siegreiche Feldherr erhielt ein Reiterdenkmal auf dem Wiener Heldenplatz. Und am Ort der verlustreichen Schlacht wacht ein ebenfalls von Fernkorn geschaffener sterbender Sandsteinlöwe, der dieser Tage wieder aus seinem Winterkäfig, einem schützenden Bretterverschlag, darf.

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25. April 2024