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Geschichte am laufenden Band

Von Roswitha Fitzinger, 13. November 2021, 00:04 Uhr
Geschichte am laufenden Band
Im Mündungsgebiet von Regen und Donau ließ der römische Kaiser Marc Aurel im Jahr 179 eine befestigte Soldatensiedlung errichten – „Castra Regina“, übersetzt für Burg bzw. Festung am Regen. Bild: Regensburg Tourismus

Mittelalterliche Türme, Brücken, Kirchen und Häuser. Der Vergangenheit entkommt man nur schwer in Regensburg, der ersten Hauptstadt Bayerns und dem Sitz des Immerwährenden Reichstags. Doch gerade darin offenbart sie ihr malerisches Naturell

Die Fahrt nach Regensburg ist keine Weltreise. Nach zwei Stunden entsteigt man dem Zug aus Linz, der einen am Rande der Altstadt ausspuckt. Und auch wer sich an einer geografischen Erklärung der Stadt versucht, ist schnell fertig. Am nördlichsten Punkt der Donau, exakt beim Knick, liegt eine der ältesten Städte Deutschlands. Mehr Zeit braucht es da schon, der 2000-jährigen Stadtgeschichte Herr zu werden.

Schon einmal etwas "auf die lange Bank geschoben", "Geld zum Fenster hinausgeworfen" oder etwas "auf dem grünen Tisch entschieden"? Redewendungen aus einer Zeit, in der in Regensburg der Immerwährende Reichstag tagte. Aus dem gesamten Heiligen Römischen Reich fanden sich zwischen 1663 und 1806 die Abgesandten im Reichssaal des Alten Rathauses ein. An den dortigen langen Bänken lagerten Akten, über die man nicht entscheiden wollte, und in einem Nebenverhandlungsraum steht noch immer besagter grüner Tisch. Außerdem wird erzählt, dass der Kaiser, wenn er in Regensburg war, aus dem Fenster des Reichstagserkers Geld geworfen haben soll, um dem Volk zu gefallen.

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Dom und Steinerne Brücke – zwei Bauwerke mit Strahlkraft Bild: Regensburg Tourismus

Geschichte – hier ist sie sichtbar, sie (ver)folgt einen auf Schritt und Tritt, so wie das Kopfsteinpflaster und die Kirchen. Der Dom mag das größte und eines der bedeutendsten Bauwerke der Stadt sein, aber in Regensburg soll es so viele Kirchen geben, dass man jeden Tag in eine andere gehen könne, heißt es. Allein 46 Gotteshäuser sind es im Stadtkern. Hinzu kommen die vielen Hauskapellen. Sie sind ebenso ein Relikt des Mittelalters wie die Geschlechtertürme. Kaufleute, reich geworden mit dem Handel von Luxusgütern, machten Regensburg damals bedeutsam. Sie ließen Türme bauen – jedoch nicht, um darin zu wohnen, sondern um zu zeigen: Wir können es uns leisten. Doch bei allem Geld begehrten sie auch Gottes Segen. Um den Weg ins Paradies zu beschleunigen, wurden im Erdgeschoss der Türme häufig Hauskapellen errichtet. Auch wenn heute meist nicht mehr zugänglich, sind viele doch von außen als solche erkennbar – wie die Geschlechtertürme. Von den einst bis zu 60 Türmen stehen heute noch 20.

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Regensburg modern: das „Haus der Bayerischen Geschichte“ mit dem „Goldenen Waller“

Teufelswerk und "Fake News"

Ein Ausdruck an Standfestigkeit ist auch die Steinerne Brücke. Wer durch Regensburgs verwinkelte Gässchen streift, landet unweigerlich bei dem im Jahr 1135 erbauten und viele Jahrhunderte einzigem festen Donauübergang zwischen Ulm und Wien. Heute darf sie sich das Prädikat "Deutschlands älteste erhaltene Brücke" anheften. In nur elf Jahren soll sie erbaut worden sein. Für damalige Verhältnisse ein Rekordtempo, weshalb so mancher bezweifelte, dass das mit rechten Dingen zugegangen war. Man erzählt sich von einem Wettstreit zwischen dem Brücken- und Dombaumeister, wer wohl sein Bauwerk als Erster fertigstellen würde. Und weil Letzterer gehörig ins Hintertreffen geriet, schloss er einen Pakt mit dem Teufel. Der verlangte nach gewonnenem Wettstreit die ersten drei Seelen, die sie überqueren sollten. Um nicht Bischof, Herzog und sich selbst opfern zu müssen, schickte der Brückenbaumeister einen Hund, eine Henne und einen Hahn vor. Der Teufel, mächtig sauer, wollte die Brücke zerstören, was jedoch misslang. Was blieb, war ein Buckel in ihrer Mitte. "Das Problem bei dieser Geschichte ist nur, dass der Bau des Doms mehr als 100 Jahre später begann. Es handelt sich dabei leider um Fake News", gesteht Stefan Würdinger von Regensburg Tourismus und lacht.

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Enge Gassen wie die Tändlergasse beherrschen das Bild der Altstadt. Bild: rofi

Dennoch gehört die Legende zur Brücke so wie das "Bruckmandl", das auf ihrem Scheitel gen Süden blickt. Den Baufortschritt des Doms soll es einst beobachtet haben. Seine tatsächliche Bedeutung ist jedoch bis heute nicht eindeutig geklärt. Auch warum sich einen Steinwurf entfernt David und Goliath als monumentales Gemälde auf der Fassade eines mächtigen Patrizierhauses gegenüberstehen, ist nicht wirklich klar. Als Wohn- und Geschäftshaus einflussreicher Patrizierfamilien, ließ sein Besitzer 1573 die Malerei anbringen. Das "Goliathhaus" war nach Kriegsende für fünf Jahre auch das Zuhause von Oskar Schindler, der mehr als 1200 Juden vor dem NS-Regime gerettet hatte.

Oskar Schindler und Johannes Kepler trennen lediglich 300 Meter, zumindest in Regensburg. Die "Freie Reichsstadt" war für den Astrologen und Protestanten in den unsicheren Zeiten der Gegenreformation ein sicherer Rückzugsort. Hier verbrachte der Mathematiker seine letzten zehn Lebensjahre. Das Wohn- und Sterbehaus in der Keplergasse 5 ist heute ein Museum.

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Im „Goliathhaus“ wohnte auch der Kriegsflüchtling Oskar Schindler. Bild: rofi

Das Zeitliche segnete in Regensburg übrigens auch Bayerns wohl bekanntester Politiker: Der gleichermaßen wortstarke wie umstrittene Ministerpräsident Franz Josef Strauß kam 1988 von der Wiesn und wollte zur Hirschjagd, als er beim Aussteigen aus dem Helikopter zusammenbrach und infolge eines Herzinfarkts verstarb. Auf seiner Beerdigung sprach kein Geringerer als Kardinal Joseph Ratzinger, ein Mann mit starkem Regensburg-Bezug. Der spätere Papst Benedikt XVI. lehrte an der hiesigen Universität und sein älterer Bruder leitete lange Zeit die weltberühmten Regensburger Domspatzen.

Was man so isst

Andere Berühmtheiten kamen nur auf Besuch, sind jedoch in Erinnerung geblieben – wie Kaiserin Sisi. Von der österreichisch-ungarischen Monarchin wird erzählt, dass sie sich die Badewanne auf das Dach des Hotels "Goldenes Kreuz" am Haidplatz tragen ließ, um den Ausblick über die Stadt zu genießen. Auch in der Gegenwart ist der Adel zugegen. Die ob ihres ungewöhnlichen Modestils als Punk-Prinzessin bekannte Gloria von Thurn und Taxis logiert mehrmals jährlich mitten in Regensburg am Fürstenhof der Familie. Der Innenhof sowie der Park von Schloss St. Emmeram werden

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Ein Bratwurstkipferl aus der Wurstkuchl, wahlweise auch mit Knacker. Bild: rofi

im Sommer zur Bühne für Stars aus der Welt der Musik. Operndiva Anna Netrebko soll die "Thurn und Taxis Sommerfestspiele" im kommenden Jahr beehren (22. Juli).

Dass die gebürtige Russin dann in der "Wurstkuchl" auf ein Bratwurstkipferl vorbeischauen wird, liegt durchaus im Bereich des Möglichen. Beide genießen Kultstatus – bei Einheimischen wie Besuchern. "Ältestes Fastfood der Welt" nennt es Tourismus-Guide Stefan Würdinger. Ursprünglich eine Kantine für die Bauarbeiter der Steinernen Brücke, kommen in dem kleinen Häusl direkt an der Donau seit 200 Jahren Bratwürstl auf den Grill. "Dazua ghert a gscheids Sauerkraut, a Kipfal und da siaße Senf", sagt Würdinger. Das "Schwarzer Kipferl" ist nicht bloß ein Roggengebäck mit ganzen Kümmelkörnern, es wird seit 1895 von der gleichnamigen Bäckerei nach einem geheimen Rezept hergestellt. Geschichte zum Anbeißen, die obendrein hervorragend schmeckt.

Zum Bratwurstkipferl gehört natürlich "a Halbe". Die Regensburger haben noch andere Ausdrücke für die große Portion Gerstensaft, etwa "Preußn-Halbe" (verächtlicher Ausdruck für 0,4-Liter-Halbe) oder "Rentner-Halbe" (alles unter einem halben Liter). Das Bier kommt von der Brauerei Kneitinger, vom Bischofshof oder von der Spitalbrauerei, eine der drei Stadtbrauereien, wo es sich in urigem Braugasthausambiente und bei deftigen Schweinshaxn auch hervorragend speisen lässt – entsprechender Hunger vorausgesetzt.

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Das „Bruckmandl“ auf der Steinernen Brücke ist eines von 1200 Einzeldenkmälern der UNESCO-Welterbestadt. Bild: rofi

Was man so sagt

Lang ist tagtäglich die Schlange vor der Wurstkuchl, aus der stets auch leichter Rauch entsteigt. Hier, direkt neben der Donau, ist man auch vor Hochwasser nicht gefeit. "Wir Regensburger sagen, a richtiges Hochwasser ist erst, wenn die Würst am Rost zum Schwimmen anfangen", gibt Stefan Würdinger hiesige Weisheiten zum Besten. Der Wirt, versichert er, nehme das durchaus sportlich: "Der sagt: ‚Die Donau ist mei Freundin und manchmal kommt sie mich besuchen, aber sie geht auch wieder‘". Humor auf Regensburger Art. In entsprechende Schutzmaßnahmen jedoch fließen auch hier jede Menge Euro-Millionen.

Von der Steinernen Brücke und der Wurstkuchl flussabwärts lag einst das Hafengelände. Schienen und ein Kran erinnern an die Zeiten, als Regensburg vor dem Bau des Rhein-Main-Donau-Kanals der westlichste Hafen der beschiffbaren Donau war. Vor der Pandemie wimmelte es hier von Kreuzfahrttouristen, die jährlich den bis zu 1000 Kreuzfahrtschiffen entstiegen. Blickfang ist seit zwei Jahren ein grauer Bau mit keramischer Relieffassade samt einem "Goldenen Waller" vor dem Entree. Sieh an! – Regensburg kann auch modern. Ein nicht ganz unumstrittener Ausflug in die moderne Architektur und Kunst, wie es scheint. "Manche sagen, das Museum schaut aus wie ein Parkhaus", so Würdinger. Tatsächlich widmet sich sein Inneres der Vergangenheit, konkret dem Werden Bayerns. Das 2019 eröffnete "Haus der Bayerischen Geschichte" ist ein Vermächtnis des früheren bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer, nachdem diverse Bürgermeister mit dem Ansinnen, hier in bester Lage eine Stadthalle zu errichten, gescheitert waren. Der überdimensionale Oktoberfestlöwe im lichtdurchfluteten Foyer mutet etwas deplatziert an, ist aber schnell vergessen. Denn die derzeitige Hauptausstellung "Götterdämmerung II" umhüllt den Besucher erst einmal mit Finsternis. Er wird Teilnehmer am Begräbnis des letzten bayerischen Königs, Ludwig III. – dank neuester Ton- und Bildtechnik. Darüber hinaus werden die Lebenswelten und Schicksale der letzten Monarchen vor der Revolution 1918 anschaulich und mit zahlreichen Originalobjekten dargestellt – Prädikat: sehr empfehlenswert.

Im Freien empfängt einen wieder das Hier und Jetzt, doch die Vergangenheit ist nicht weit …

Tipps für die Altstadt

Wo man schlafen sollte: David und Goliath existieren in Regensburg auch als Hotels. Wer im Hotel David übernachtet, ist umgeben von Geschichte. Der 900 Jahre alte romanische Bau mit Blick auf Donau und Steinerne Brücke wurde mit viel Aufwand und Feingefühl renoviert: Altes Mauerwerk, freigelegte Wandmalereien, original erhaltene Holzböden treffen auf moderne Einrichtung. Das „David“ ist der kleine Bruder des 4-Sterne-Boutiquehotels „Goliath“, in dem auch gefrühstückt wird. DZ ab 124 Euro mit Frühstück. (hotel-goliath.de)

Tipps für die Altstadt
Bild: Josef Zink

Wo man essen sollte:
Orphèe: französisches Ambiente inmitten der Altstadt mit mediterran-bodenständiger Küche und französischen Klassikern, täglich 18 Stunden geöffnet. Zum Orphèe gehört auch ein Hotel und es gibt eine spanische Schwester namens Bodega. (hotel-orphee.de)
Die neuen Regensburger Sternerestaurants heißen Aska (Deutschlands erstes Sushi- Sternerestaurant) und Roter Hahn (moderne Küche mit skandinavischen und asiatischen Elementen).

Was man lesen sollte: Philipp Starzingers „Regensburger Sammelsurium“. Der Regensburger hat Anekdoten, Kuriositäten und Fakten über seine Heimatstadt zusammengetragen und illustriert. Informativ und herrlich amüsant, erschienen im Bart Verlag, 14,40 Euro.

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Autor
Roswitha Fitzinger
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logitech (7 Kommentare)
am 14.11.2021 09:23

Vermutlich war Johannes Kepler eher Astronom.

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