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Elsässer Geschichten

Von Josef Lehner   07.Mai 2022

So wie den Kaffee gilt es die Stadt Zug um Zug zu genießen: Die große Touristenattraktion ist das mittelalterliche Zentrum, die Große Insel (Grand Ile) zwischen den zwei Armen des Flusses Ill, mit dem Münster im Zentrum, dem netten Fachwerkhausviertel "La Petite France", den Palästen aus der Bourbonen-Zeit und den brodelnden Geschäftsstraßen.

Ja, die Straßen, die sind lustig. An einer Ecke steht auf dem Schild "Rue du Coin Brule" und darunter "s’Verbrennte Eck". Das hängt damit zusammen, dass die Straßennamen auch in der alten Sprache ausgeschildert werden müssen. In Mühlhausen gebe es seit Urzeiten eine "Wilde-Mann-Strass’" erzählt die Reiseführerin, weil dort einmal ein Afrikaner gelebt habe. Von den NS-Besatzern sei sie 1940 in "Adolf-Hitler-Straße" umbenannt worden.

Einst Ghetto der Syphilis-Kranken, heute Touristen-Hotspot in Straßburg: Bootsfahrt im Viertel „Kleinfrankreich“ (Petite France).

Stadt der Fahrräder und der Straßenbahn

Gesprochen wird heute im Elsass überwiegend Französisch. Der Landstrich am Oberrhein war zwar ab dem 4. Jahrhundert germanisch geprägt und eine blühende Region des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation. Die jungen Leute lernen heute aber, nach turbulenten 150 Jahren voller Krieg und Leid, kaum noch Hochdeutsch und auch nicht mehr Elsässisch, den für uns halbwegs verständlichen alemannischen Dialekt. Tipp bei hartnäckigen Verständigungsproblemen: Wenden Sie sich an mittelalterliche bis ältere Einheimische. Die meisten sprechen perfekt Deutsch.

Die Menschen sind fröhlich und selbstbewusst. "Wieso haben die Lothringer so große Ohren? Weil die Mütter ihre Kinder an den Ohren hochhalten und sagen: Schaut, wie schön es im Elsass ist!" Kein Wunder, denn die Hauptstadt hat den Zug in eine lebenswerte Zukunft erwischt. Mehr noch: mit Engagement und Weitblick angeschoben. Die Sozialdemokraten haben damit begonnen, den Autoverkehr zurückzudrängen und den Radfahrern und Fußgängern Vorrang zu geben. Die aktuelle, grüne Bürgermeisterin hat das Tempo noch erhöht.

Straßburg verfügt über 670 Kilometer Radwege, und das logistische Prunkstück ist das 72 Kilometer lange Straßenbahnnetz, das bis ins deutsche Kehl reicht und an allen Endhaltestellen große Pendlerparkplätze bietet. Ein Ansporn für österreichische Verkehrsmanager: Der Streifen zwischen den Schienen ist begrünt, nicht betoniert oder asphaltiert. Außerdem hat die Stadtverwaltung eine beeindruckende Wohnbauoffensive gestartet. Alte Industrie- und Hafen- werden in lebenswerte Wohnviertel verwandelt. Die Entwicklung der Stadt ist technisch toll aufbereitet in der Ausstellung des "5e Lieu" zu bestaunen, direkt neben dem Münster (5elieu.strasbourg.eu).

Isenheimer Altar in Colmar: Aktuell sind tiefe Einblicke in die Renovierungsarbeit möglich.

Ländlich deftig statt göttlich essen

Natürlich kommen die Touristen wegen der Sehenswürdigkeiten und nicht wegen der modernen Infrastruktur, aber sie fangen das tolle Gefühl ein, das aus diesen Lebensgewohnheiten erwachsen ist. Mehr als drei Millionen Touristen reisen pro Jahr an, davon eine Million im Advent, weil Straßburg einen der schönsten Weihnachtsmärkte der Welt beherbergen soll. Einige Geschäfte mit Tand zum großen Fest haben das ganze Jahr geöffnet. Mindestens so erbauend ist es im Frühjahr, Sommer und Herbst: mit einem Glas exzellenten Elsässer Bieres (Achtung: viele kleine Craftbier-Brauer), Elsässer Weines oder des regionalen Champagners, der sich hier nur Cremant d’Alsace nennen darf, abhängen, in einem Gastgarten an der Ill, vor Bars und Cafés auf den eleganten Plätzen oder in verträumten Innenhöfen.

Das Fass mit dem ältesten Wein der Welt aus 1472 und Kellermeister Thibaut Baldinger

Damit vollziehen wir einen Zug ins Kulinarische. "Nur nicht schreiben: Essen wie Gott in Frankreich", sagt die Reisebegleiterin: "Das ist abgedroschen." Es entspräche nicht der Wahrheit, denn die Küche bereitet eine Gratwanderung zwischen deftiger Landkost und französischer Haute-Cuisine, die noch altdeutsch beeinflusst ist. Nur ein Wort: Choucroute, die Sauerkrautplatte, mit Schweinebauch, Selchfleisch, Würsten. Spaetzle oder Flammkuchen werden in zig Varianten als Hauptspeisen serviert. Es gibt im Elsass aber auch 33 Sternerestaurants, allein fünf in der Hauptstadt. Stolz sind die Einheimischen, dass sie mit ihren Lebkuchen (Pain d’Epices) und mit dem Kougelhof (Gugelhupf) die süße Küche geprägt haben und mit den Bretzels einen weltbekannten Snack.

Altstadt, Neustadt, modernes Europa

Straßburg ist mit 300.000 Einwohnern keine große Metropole, bietet aber viel zu erleben und zu sehen. Nachdem das deutsche Kaiserreich 1870/71 Frankreich besiegt hatte, ließ es nördlich des mittelalterlichen Zentrums innerhalb von 40 Jahren die sogenannte Neustadt hochziehen, mit Palästen, Oper, Kirchen und großzügigen Boulevards. Und ein Stück weiter im Norden, am Marne-Rhein-Kanal, folgt der nächste Zeitsprung: die kühne Architektur der Gebäude von EU-Parlament, Europarat und Menschenrechts-Gerichtshof. Zur Erkundung empfiehlt sich, ein Fahrrad zu leihen (problemlos an fixen Stationen oder über velhop.strasbourg.eu) oder ein Panorama-Boot auf der Ill zu besteigen.

Wissenswertes

  • Der ÖBB-Nightjet: ÖBB fährt dreimal pro Woche, jeweils 21.02 ab Linz, 05.30 Uhr an Straßburg. Rückfahrt ab 0.30, an 08.40 Uhr. Preis pro Person: Hinfahrt im Sitzwagen 110 Euro, Liegewagen 155, Schlafwagen 195. Railtours hat Pauschalangebote inkl. Hotel.
    Viele Hotels sind nur wenige Meter vom Bahnhof Straßburg entfernt, also bequem zu Fuß erreichbar. Info/Buchung im Internet oder in Reisebüros.
  • Das Elsass hat mit 8280 Quadratkilometern etwa ein Zehntel der Fläche Österreichs (1,3 Prozent Frankreichs).
    Es ist mit 1,9 Millionen Einwohnern dicht besiedelt, aber mit 900 Gemeinden trotzdem ländlich und klein strukturiert.
  • Das Tourismusinteresse konzentriert sich auf die Hauptstadt mit dem Münster, auf Colmar mit dem phantastischen Unterlinden-Museum (Isenheimer Altar) und auf die Weinstraße mit den vielen bunten Dörfern. Der Gebirgszug der Vogesen im Westen ist interessantes Wandergebiet (Grand Ballon 1424 m), die Rheinebene lädt zu gemütlichen Radtouren.
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