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Die Prinzessin auf dem Fahrrad

Von Claudia Jörg-Brosche, 02. Juli 2022, 14:00 Uhr
Die Prinzessin auf dem Fahrrad
Schloss Chambord, eine gigantische Renaissanceanlage mit Türmen, Zinnen und Schornsteinen Bild: Max Coquard

Sport- oder Kultururlaub? Entlang des 900 Kilometer langen Loire-Radweges im Herzen Frankreichs lässt sich beides perfekt kombinieren. Eine märchenhafte Zeitreise per Drahtesel zu den schönsten Schlössern der Grande Nation.

"Nehmt alles, was ihr hier findet, und seid kreativ", sagt Jean François Boucher mit ansteckender Fröhlichkeit. Wir stehen im Atelier des "Meilleur Ouvrier de France", dem "besten Blumendesigner Frankreichs", das im Gärtnerhäuschen des bezaubernden Loire-Schlosses Chenonceau untergebracht ist, und dürfen im Zuge seiner Masterclass "Pflanzenkunst" in üppiger Blumenpracht schwelgen. Seine einzige Vorgabe: Am Ende darf nichts von dem schwarzen Gesteckschwamm zu sehen sein, in dem wir die Pflanzen anordnen. Schlussendlich entsteht ein riesiger Aufbau mit weißen, rosa und violetten Blüten, der auch der verwöhntesten Prinzessin zur Ehre gereichen würde.

Es war einmal ein gütiger König, der schickte eine schreibende Prinzessin hoch zu Ross (oh, pardon: Drahtesel) an die Loire, um sich hier in den feinsten Schlössern Frankreichs umzusehen. Als Zeitreise per Fahrrad in Gotik und Renaissance, Barock, Klassizismus und Historismus. So viele Schlösser wie an der Loire gibt es sonst nirgendwo in der Grande Nation, allein rund 400 können öffentlich besichtigt werden. Die Prunkbauten entstanden ab dem 13. Jahrhundert, als die Könige in den Wirren des Hundertjährigen Krieges aus der Hauptstadt Paris in ruhigere Landesteile fliehen mussten, und erfuhren später zahlreiche Veränderungen und Erweiterungen. Die Region Centre-Val de Loire setzt auf nachhaltigen Bike-Tourismus und etablierte dafür ein dichtes Wegenetz. Mehr als 900 Kilometer führen entlang der Loire von Nevers bis an den Atlantik und beziehen Varianten an Nebenflüssen wie Cher, Indre oder Vienne mit ein. Kulturaffine Radfahrer strampeln so genüsslich auf eigenen Trassen oder kleinen Nebenstraßen von Schloss zu Schloss und lassen die Geschichte der Loire-Könige (Karl VII., Ludwig XI., Karl VIII., Ludwig XII. und Franz I.) und weiter bis ins späte 18. Jahrhundert lebendig werden. Nach und nach entsteht beim Besucher ein historischer roter Faden.

Die Prinzessin auf dem Fahrrad
Mystisch: frühmorgendliche Paddeltour zum Schloss Chenonceau Bild: Jörg-Brosche

Schloss der Damen

"Château Chenonceau ist anders!", behauptet Caroline Darrasse. "Hier klebt kein Blut an den Wänden, hier gab es niemals Krieg, nur Feste, Rosen und Kunst", umreißt die PR-Managerin die Einzigartigkeit Chenonceaus. In diesem "Schloss der Damen" lenkten ausschließlich Frauen – u. a. Katherine Briçonnet, Diane de Poitiers und Katharina von Medici – das Schicksal und machten das charmante Anwesen zu einem Ort des Friedens, der schöngeistigen Künste, Philosophie und Aufklärung. Die Spuren ihrer zarten Hände sind bis heute zu spüren.

Innen beherbergt das romantische Gemäuer über dem Fluss Cher Werke großer Meister wie Murillo, Tintoretto, Antonio da Correggio oder Rubens. Doch bei ihrem Besuch hat die Prinzessin auf dem Fahrrad keinen Sinn für die hehre Kunst, denn gigantische Blumengestecke ziehen ihre Aufmerksamkeit auf sich. Sie entstammen von eingangs erwähntem Meister Jean François Boucher, der seine Kunstwerke subtil an den Charakter und die Farben jedes Raumes anpasst. "Der Blumenschmuck haucht dem Schloss Leben ein und macht es einzigartig", rechtfertigt Caroline den Aufwand.

Chenonceau zählt mit seinen drei akkurat manikürten Gärten zu den meistbesuchten Schlössern Frankreichs. Doch es gibt auch eine Möglichkeit der stillen Annäherung: Dafür klettert die Prinzessin zeitigst des Morgens von ihrer Erbse und trifft um fünf Uhr bei der Canoe Company zur Paddeltour ein.

Die Stimmung ist mystisch: Nebelschwaden ziehen über die Cher, während sich der Himmel langsam von fahlgrau in lachsrosa verwandelt. Nach einer Flussbiegung erscheint ganz plötzlich das Schloss, über dem gerade die Sonne aufgeht. Das Licht durchdringt das Gebäude durch die Fenster zu beiden Seiten, sodass die meterdicken Mauern zart, luftig und filigran wirken.

Das nächste Ziel zeigt, wie Stein wahre Männlichkeit demonstriert. "Das ist die Summe dessen, was menschliche Kunstfertigkeit vermag!", entfuhr es Kaiser Karl V., als er Schloss Chambord – eingebettet in ein 54 Quadratkilometer großes Jagdgebiet – erstmals erspähte. Tatsächlich versuchte Bauherr Franz I. mit dieser architektonischen Utopie seine eigene Größe sowie die Macht und Stärke Frankreichs zu beweisen. Die gigantische Renaissanceanlage besticht von außen mit vier mächtigen Türmen (aktuell leider eingerüstet) und einer mit zahlreichen Zinnen, Schornsteinen, Giebeln, Gauben und Laternen verzierten Dachlandschaft. Innen imponiert das Jagd- und Lustschloss – auch Sonnenkönig Ludwig XIV. veranstaltete hier ausschweifende Feste – mit 400 Kaminen, 440 Zimmern und der berühmten doppelläufigen Wendeltreppe aus weißem Marmor im Gebäudezentrum.

Jedes Schloss ein Unikat

So viele Schlösser es an der Loire gibt, so unterschiedlich präsentieren sie sich. Château Meung-sur-Loire gestattet anhand von Alltagsgegenständen – wie etwa einer speziellen Teetasse, die den gewachsten Zwirbelbart nicht zum Schmelzen bringt – einen authentischen Einblick in das Leben der Adeligen vom 17. bis ins 19. Jahrhundert. In Schloss L’Islette laden Bénédicte und Pierre-André Michaud zur Besichtigung ihrer Privatgemächer ein.

Die Prinzessin auf dem Fahrrad
Im Schloss L’Islette erlauben die Besitzer einen Blick in ihre Privatgemächer. Bild: Jörg-Brosche

Die Eigentümerfamilie logiert im Winter im Château (im Sommer im Farmhaus) und zeigt mitunter höchstpersönlich einen erstaunlichen Mix aus Renaissance-Himmelbetten, Ikea-Couchen, einem verspiegelten 70er-Jahre-Badezimmer und einer Bulthaup-Edelstahlküche samt aufgepinnten Familienfotos. Das stolze Château de Villandry verblasst nahezu neben seinen prachtvollen Gartenanlagen: Innerhalb von 52 Kilometern sorgfältig gestutzten Buchsbaumhecken verstecken sich sieben verschiedene Bereiche mit 115.000 Pflanzen.

Die Prinzessin auf dem Fahrrad
Die prachtvollen Gartenanlagen des Château de Villandry

Am schönsten sind der Garten der Liebe und der Küchengarten mit 40 dekorativ arrangierten Gemüsesorten (zur Erntezeit werden die Produkte an die Besucher verschenkt).

Es waren zwei Königsstädte

Die Königsstadt Blois bietet Bikern schon vom Loire-Radweg aus ein eindrucksvolles Fotomotiv. Château Blois oberhalb der Altstadt ist ein Lehrbeispiel für Stilkunde. Zum mittelalterlichen Kern gesellen sich Gebäudeteile aus der Renaissance, der Gotik und des Klassizismus.

Die Prinzessin auf dem Fahrrad
Unterwegs auf dem Loire-Radweg, gegenüber die Königsstadt Blois Bild: Jörg-Brosche

Auch hier besticht eine Wendeltreppe: Sie windet sich zwar nicht doppelt empor, ist aber etwas älter als jene von Chambord, reicher verziert und verläuft an der Außenfassade. König Ludwig XII. nutzte sie als prachtvolle Bühne für Auftritte vor seinem Volke. Blois war die Residenz von insgesamt sieben Königen und zehn Königinnen, leider aber auch ein trauriger Schauplatz in den Religionskriegen. Die zweite Königsstadt, Loches, ist über den Indre-Radweg und das Rosendorf Chédigny – ein Musterbeispiel für Dorf-Wiederbelebung – zu erreichen. Über dem idyllischen Städtchen thront die von einer zwei Kilometer langen, doppelten Wehrmauer umschlossene Cité Royale. Einst werkten hier Heerscharen von Bediensteten für den König, heute leben in dem mittelalterlichen Bauensemble 19 Menschen. Der Donjon (Bergfried) der Burg bietet aus 37 Meter Höhe einen herrlichen Blick auf die einzigartige romanische Kirche: Ihr Hauptschiff wird von zwei achtseitigen Pyramiden überdacht. Ein Kirchendach wie ein Kamel.

Die Prinzessin auf dem Fahrrad
Die architektonisch eigenartige, romanische Kirche von Loches Bild: Jörg-Brosche

Loches widmet Agnès Sorel zum 600. Geburtstag heuer eine Sonderschau. Diese wunderschöne Dame aus niederem Adel war die Geliebte von König Karl VII. Doch Karl hielt sie nicht dezent geheim, sondern zeigte die Mätresse – als Erste in der französischen Geschichte – ungeniert neben seiner Gemahlin Marie d’Anjou. Der Skandal war perfekt, als Agnès im royalen Königsblau, mit Krone auf dem Kopf (als Nebenbuhlerin der Königin!) sowie muttergottesgleich mit entblößter Brust porträtiert wurde. Die Prinzessin auf dem Fahrrad ist entsetzt!

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