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Der Luxus des Alleinseins

Von Roswitha Fitzinger   18.Juli 2021

Seit eineinhalb Monaten ist Christian Korherr wieder in Linz, er geht seinem Beruf als Erlebnispädagoge nach, kümmert sich um seinen Sohn. Objektiv betrachtet ist alles wie vorher, subjektiv ist da das "schöne Gefühl, dass ein lang gehegter Traum endlich wahr geworden ist". Auch die Sehnsucht, inmitten eines unendlichen, weißen Raums zu stehen, kann der 45-Jährige endlich mit einem realen Bild verknüpfen.

Vier Tage lang ist Korherr über das Hochplateau des Vatnajökull, Europas größten Gletscher, marschiert. Über eine Fläche "so groß wie Oberösterreich ohne das Mühlviertel". Insgesamt 130 Kilometer hat er den 27 Kilo schweren Zugschlitten, die Pulka, hinter sich hergezogen, vollgepackt mit Ausrüstung und Proviant für zwölf Tage.

"Ich habe noch nie so eine einfache Landschaft in einer derartigen Weite erlebt, der nichts im Weg steht." Und obwohl alles gleich sei, wie er sagt, ändere sich die Landschaft ständig. "Du blickst nach vorne und könntest schwören, da geht es steil bergauf oder da ist eine Straße", erinnert sich der gebürtige Ennser an die anfangs beängstigenden Trugbilder. Man lerne, sich auf die Technik zu verlassen, versichert der 45-Jährige. Die Frage, was eine derartige Weite und Stille mit einem macht, drängt sich dennoch auf. "Man hat wenig Ablenkung, weniger Referenzpunkte, weniger Sicherheiten. Das macht den Weg frei für Gedanken, die einem noch nie durch den Kopf gegangen sind. Der physische Raum, in dem man sich befindet, überträgt sich auf das Innere." Ein Gefühl der Freiheit und eine "aufregende Ruhe" erfassen einen, aber auch Gedanken über Sicherheit und Eigenverantwortung kämen auf, so der Linzer. Über all dem steht die Erkenntnis, "welcher Luxus es ist, all das alleine erleben zu dürfen".

Der Luxus des Alleinseins
Eine Pause in Seilschaft im vergletscherten Gebiet am zweiten Tag der Überquerung

"Üben hilft"

Ganz allein war Christian Korherr freilich nicht. Mit Markus Henssler (50) begleitete ihn ein Freund und Dokumentarfilmer aus München. Die Tour durch die zerklüftete Eiswüste nicht allein in Angriff zu nehmen, erfolgte auch aus Sicherheitsüberlegungen heraus. "Sich aus einer Gletscherspalte zu befrei

en ist allein schier unmöglich." Und weil die beiden Outdoorfreaks keine Profis im ewigen Eis sind, haben sie sich akribisch vorbereitet. Weil "üben hilft", wie sie überzeugt sind, haben sie zwölf Tage auf dem Dachstein und im Pitztal zugebracht – den Zeltaufbau unter widrigen Bedingungen geprobt, bei Kälte gekocht, das Handling von Skiern und Pulka perfektioniert, Erste-Hilfe- und Rettungsmaßnahmen geübt.

Ohne Handyempfang, die Route lediglich als GPS-Daten in der Smartwatch gespeichert, machten sich die beiden Outdoorfreaks auf den Weg in ein Gebiet, wo es genau das nicht gab. "Du machst dir deinen Weg selber, kannst praktisch überall hinlaufen." Ein schönes, wenn auch gewöhnungsbedürftiges Gefühl, das einem erst bewusst mache, in welch vorgefertigter und auch sicherer Welt man lebe, so Korherr. Die einzige Sicherheit, die die beiden hatten, war eine GPS-Verbindung mit dem isländischen See- und Bergrettungsdienst für Notfälle.

Der Luxus des Alleinseins
Ein klassischer isländischer Sonnegehtnichtuntergang um zehn Uhr nachts. Glücklich, wer seine Schlafmaske dabeihat.

Hoppalas und Wetterglück

In die Situation, ein Notsignal absetzen zu müssen, kamen die beiden glücklicherweise nie. Doch wie schnell sich das Blatt wenden kann, dieses Lehrstück erteilte die Natur dem deutsch-österreichischen Duo sehr wohl. "Einmal ging ich zu knapp an einem Felsen vorbei und bin durch die Schneedecke gebrochen", erzählt der 45-Jährige. Doch bis auf eine kurze Bewusstlosigkeit und einen verstauchten Knöchel blieb der Abstecher auf einen nahen Vulkan ohne Folgen. Doppelt Glück, dass die einzige Schutzhütte – eine Selbstversorgerunterkunft – kurz vor ihnen lag. Was die beiden nicht ahnten, war, dass eine Schlechtwetterfront im Anmarsch war. "Ich hätte nie gedacht, dass ein Sturm so schnell kommen kann", erinnert sich Korherr. Man mag sich nicht ausmalen, was gewesen wäre, wenn der Schneesturm, der mit bis zu 100 km/h über das Hochplateau fegte und sie in eine viertägige Quarantäne zwang, sie auf freier Fläche erwischt hätte.

Der Luxus des Alleinseins
Die herrlich einsame Unendlichkeit am Plateau des Vatnajökulls

Schlafmaske und Stirnlampe

Doch abgesehen davon, lief alles glatt, ging es immer bei Sonnenschein über Europas größten Gletscher. Auch die Kälte stellte kein Problem dar. "Kälter als auf dem Gletscher im Pitzal wurde es nie", so Korherr. Da sei eher schon die nicht untergehende Sonne gewöhnungsbedürftig gewesen. "Die Schlafmaske war gaaanz wichtig. Die Stirnlampe hingegen hätten wir daheim lassen können." Dass alles so rund über die Bühne gegangen ist, sei auch der einheimischen Bevölkerung zu verdanken, betont der Linzer. Ob Mitfahrgelegenheiten oder zurückgelassene Schuhe, "die Isländer machen alles möglich und das noch ganz selbstverständlich. In ihrer Gegenwart kommt man sich richtiggehend kompliziert vor".

Die nächste Islandreise soll in zwei Jahren stattfinden. Dann wollen Korherr und Henssler Europas größte Vulkaninsel mit dem Rad vom Süden in Richtung der Westfjorde durchqueren, gefolgt von einer Kajaktour entlang der Westküste bis nach Reykjavik.

Infos: ice-buddies.com

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28. März 2024