Der Lot – das unbekannte Wesen
Noch ist die Gegend im Südwesten Frankreichs ein Geheimtipp. Rund um Cahors, Rocamadour, Saint-Cirq-Lapopie und Figeac geht es authentisch, aber auch ein bisschen spröde zu. Es wird auch Fisch mit Sauerkraut serviert: "Choucroute de la Mer".
Er ist ein Fluss und ein Monsieur zugleich. Denn der Lot, der sich in Frankreich 458 Kilometer lang zwischen Zentralmassiv und seiner Mündung in die Garonne schlängelt, ist einer der wenigen Flüsse, die männlich konnotiert sind. Seine Schwestern, die Loire, die Saône und etwa die Seine, sind nicht eifersüchtig. Im Südwesten Frankreichs fließt er gemächlich und vom Tourismus weitgehend unbehelligt einsam zwischen imposanten Kalksteinwänden vor sich hin.
Er floss unbehelligt, müsste man eigentlich sagen. Denn nach den Kanu-Paddlern sind es nun die Wohnmobilisten und jüngst die Hausbootfahrer, die den Lot entdecken. Ein Tourismusberater, der wohl auf den übervölkerten Canal du Midi schielte, muss zum Aufbau der dazu nötigen Infrastruktur geraten haben.
Doch es gilt noch immer: Der Lot, sowohl als Region als auch als Fluss, darf sich mit dem Prädikat Geheimtipp schmücken, zumal viele Touristen Franzosen sind. Der Lot, so infrastrukturell verträumt und so wenig chic er ist, hat unschlagbare Vorteile. Die Hochebenen sind so karg, dass darauf eine Eichen-Steppe wächst, die Trüffel zum Wohlfühlen brauchen. Saftige Weiden sind selten. Darum gibt’s kaum Rinder, aber jede Menge Enten und Gänse – und Stopfleber, der Traum vieler Gourmets und der Gottseibeiuns der Tierschützer. Gan(z)s gleich zu welcher Fraktion Sie gehören, Gänsestopfer ist im Lot ein angesehener Ausbildungsberuf. Zur Ehrenrettung sei auch gesagt, dass das ganze Tier verwertet wird.
Denn als Confit im eigenen Fett werden in alter Tradition nicht nur die Edelteile eingelegt, sondern auch Hälse und sogar Mägen, die "Gésiers de canard", die klein geschnitten auf Salat mit Balsamessig und Walnussöl aus der Gegend so köstlich sind, dass man sich gar nicht vorstellen kann, dass sie hierzulande vielleicht im Hundefutter landen. Damals brachte man die Gans- und Ententeile in Fett eingelegt ungekühlt über den Winter. Heutzutage kommt Confit de canard als Konserve daher. Als Einfallstor von Norden sollte man das Périgord und die Dordogne wählen. Bei Montignac befindet sich die Höhle von Lascaux, die die Urzeit des Menschen aufspannt. Eigentlich ist die Schauhöhle ja aus Plastik, wie so mancher abfällig und nicht unkorrekt bemerkt, jedoch so perfekt inszeniert, dass auch der 22-Euro-Eintritt samt Führung nicht als unverschämt empfunden wird. Mister Cro-Magnon hat vor 20.000 bis 40.000 Jahren (genauer geht’s nicht) mehr als 200 Meter der Höhle so perfekt bemalt, dass das Staunen echt und ehrfürchtig ist. Vier Franzosen haben die Höhle 1940 zufällig entdeckt. Bis 1963 war sie "in echt" betretbar. Dann war offensichtlich, dass die Atem-Feuchtigkeit der Besucher den Kalksteinwänden so zusetzte, dass aus den Malereien Mini-Tropfsteine sprossen. 2016 wurde die neue Nachbau-Höhle unweit der echten als Lascaux IV Centre National eröffnet.
Das Gebäude drumherum, entworfen vom norwegisch-amerikanischen Architekturbüro Snohetta, ist nicht minder imposant. Vor der Pandemie kamen 600.000 Besucher pro Jahr. Da eine Besichtigung nur mit Führung möglich ist, gab es oft enttäuschte Gesichter, wenn kein Platz mehr frei war. Heuer war der Ansturm geringer. Doch wer auf Nummer sicher gehen will, reserviert.
Essen in Montignac am Ufer der Vézère ist pittoresk schön. Wegen der Nähe zu Lascaux muss man allerdings einen Touristenaufschlag von gefühlt fünf Euro pro Menü einkalkulieren.
Next Stopp Rocamadour: Auch wenn beim Sturm auf den Jakobsweg nach Santiago de Compostela in Spanien ein wenig die Luft draußen zu sein scheint, in Rocamadour im Lot sind nach wie vor viele Pilger mit prall gefülltem Rucksack, Wanderstöcken und manchmal mit Muschel als Erkennungszeichen unterwegs. Der Wallfahrtsort mit seinem auf den Felsen geklebten Gebäudekomplex mit der Schwarzen Madonna als Fixpunkt ist eine beliebte Zwischenstation im Département Lot.
Als "ganz normaler" Urlauber entdeckt man Rocamadour am besten von unten nach oben und nicht an einem Wochenende. Denn dann ist der Ansturm übergroß. Einfach Auto unten am Parkplatz abstellen, sich von den sechs Euro Parkgebühr verabschieden, dann geht’s steil nach oben.
216 Stufen auf Knien
Nur Warmduscher und Fußmarode nehmen den Bummelzug. Schließlich sei der Pilger gedacht, die früher gar nicht selten die 216 Stufen des letzten Stückes auf den Knien nach oben rutschten, um sich ihrer Sünden zu entledigen. Wie Rocamadour – übrigens auch die Bezeichnung eines sündig köstlichen, international erhältlichen Ziegen-Weichkäses – zu seinem Namen kam? Ein Eremit namens Amadour wurde im Jahr 1166 unverwest in seiner Höhle gefunden; bei ihm die geschnitzte schwarze Madonna, die ihn heilig machte.
Was die "Big Five" (die großen Fünf) bei Südafrikas Fotosafaris sind (Nashorn, Löwe, Leopard, Elefant und Wasserbüffel) sind die "Big Four" in der Landschaft und Historie in den Départements Dordogne und Lot. Lascaux und Rocamadour sind zwei von ihnen.
Die Nummer drei ist das Dörfchen Saint-Cirq-Lapopie, das angeblich "schönste Dorf" Frankreichs, versehen mit nur mehr 13 Einwohnern. Saint-Cirq thront ja nicht schlecht über dem gemächlichen Fluss Lot. Doch auch das historische Städtchen Puy-l’Éveque am westlichen Ende des Départements kann locker mithalten. Dies sowohl was den Steilheitsfaktor anlangt als auch die Historie. Doch die Marketing-Geschichte von Saint-Cirq-Lapopie (benannt nach dem gleichnamigen Heiligen, dem die Kirche dort geweiht ist), lässt sich wohl besser erzählen.
"Getreidegasse" Frankreichs
Die Häuser des "schönsten Dorfes Frankreichs" sind herausgeputzt und die "Hauptstraße" beim Bus-Parkplatz, der die Touristenladungen fußfreundlich von oben und damit steigungsfrei ins Dorf kippt, ist eine Shopping-Allee. Hat hier jemand etwas von der "Getreidegasse Frankreichs" gesagt? Nein, dazu ist Saint-Cirq-Lapopie zu wenig exklusiv. Zumindest sollte Saint-Cirq wie Rocamadour von unten erkundet werden.
Ein Gratis-Parkplatz vor dem "Halte nautique" (Schiffshaltestelle) am Fuße des Felsens, auf dem Saint-Cirq-Lapopie thront, nimmt bequem das Auto auf. Festes Schuhwerk angelegt, und in einer Viertelstunde hat man das Dorf-Tor hinter sich. Bis zur "Getreidegasse" Frankreichs ist der Weg gesäumt von Galerien, was Saint-Cirq auch die Bezeichnung Künstlerdorf eintrug. Die sind dort, wie Geld hinkommt, und sie beziehen ab Mai ihre pittoresken Atelierhäuschen.
Die echte große Nummer vier, die man wirklich nicht versäumen sollte, ist der Treppelweg, der in die Kalkfelsen am Ufer des Lot unweit von Sain-Cirq bei Bouziés geschlagen ist. "Chemin de Halage" (Schlepp- oder Treidelweg) genannt, zieht er sich ein paar hundert Meter spektakulär dahin. Fotografen sei der Vormittag mit optimalem Lichteinfall empfohlen, wenn der Kalkstein von innen zu leuchten scheint. Nachmittags liegt die "Halage" im Schatten. Der optimale Einstieg dafür ist wiederum vom Parkplatz "Halte nautique" aus. Immer geradeaus den Felsen entlang, auf dem das Dorf Saint-Cirq-Lapopie steht, entlang und nicht der Versuchung erliegen, aufzusteigen. Nach einer Mühle (16. Jahrhundert!) und einer Lot-Schleuse geht es immer geradeaus. Voilà, hier ist der "Chemin de halage". Geht man nach den Felsüberhängen weiter, erreicht man das Örtchen Bouziès mit dem Hotel/Restaurant Les Falaises, in dem es sich vorzüglich traditionell französisch speisen lässt.
Next Stopp Figeac: Mittelalter pur empfängt den Gast eine Autostunde vom Lot-Tal entfernt. Das touristisch unaufgeregte Figeac scheint sich erst so richtig dafür herauszuputzen, in die Riege der sehenswerten Reiseziele aufgenommen zu werden. Denn dass man auf Monsieur Jean-Francois Champollion setzte, der in Figeac geboren wurde, und ein Museum der Geschichte der Schriften der Völker hinstellte, scheint noch nicht gereicht zu haben.
Zwar kamen und kommen viele, um sich mit dem Entzifferer des Steins von Rosette zu beschäftigten, der damit den ägyptischen Hieroglyphen das Rätsel nahm, doch die Altstadt von Figeac ist der eigentliche Rohdiamant, den es noch zu schleifen gilt. Ja, die Benediktiner waren bereits im achten Jahrhundert hier.
Wunderbares Walnussöl
Ein kulinarischer Einkaufstipp: Man sollte den Lot nicht verlassen, ohne Walnussöl gekauft zu haben. Die riesigen Walnusshaine breiten sich neben dem Fluss aus wie die der Marillen in der Wachau.
"Lot, ade", heißt es irgendwann. Man wünscht sich, dass nicht allzu viele Touristen kommen, damit die verträumte Nonchalance erhalten bleibt. Man hofft, dass niemand einen Lot-Krimi (wie im Périgord mit dem Polizisten Bruno) schreibt, denn man will diese pittoresk verschlafene Gegend nicht überrannt und konsumverdorben sehen. Aber ein paar mehr Urlauber sollen schon kommen, damit diese nicht eben wohlhabende Gegend so bleiben kann, wie sie ist, und um die Landflucht nicht noch zu verstärken. Wenn die letzte Boulangerie (Bäckerei), die letzte Charcuterie (Fleischerei), die letzte l’Epicerie (Lebensmittelgeschäft) und das letzte Restaurant in einem Ort geschlossen sind, hat man von so viel Landschaftsschönheit auch wieder nichts.
Hinfahren, gut essen, schön wohnen – und der Lot lebt.
Tipps
- Wohnen: Es ist zwar ein wenig abgelegen, aber ein idealer Ort, um zwischen Saint-Cirq-Lapopie und Figeac Station zu machen: das Hotel La Bastie d’Urfe in Naussac. Das einstige Herrenhaus aus dem 18. Jahrhundert verfügt nicht nur über einen Pool, sondern auch über ein Restaurant. Neun Zimmer, drei Sterne (ab 75 Euro das DZ, Frühstück extra).
labastiedurfe.com - Essen: Auf dem Weg von Lascaux nach Rocamadour liegt Souillac. Dort isst man im Restaurant Le Beffroi bodenständig, preiswert und gut (6, Place Saint-Martin, 46200 Souillac)
- Trinken: Im Lot eine halbe Autostunde westlich von Cahors liegt die Genossenschafts-Vinothek Vinovalie mit (fast) allen Weinen der Region Lot (Rebsorte Malbec); Cave de Cotes d’Olt Caunezil, 46140 Parnac; vinovalie.com
„Geheimtipp“ und wenn man dahin kommt steht man in der Schlange 🤣🤣🤣
Der letzte Graf von Montignac - Jean Gabin in Le Tatoué [der Tätowierte; dt. Filmtitel: Balduin, das Nachtgespenst; mit Louis de Funès; 1968].