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Das dreckigste Rennen der Welt

Von Manfred Lädtke   02.Juni 2019

Es soll Zeitgenossen geben, die Ostfriesland für eine Erfindung von Otto Waalkes halten. Was natürlich Unsinn ist. Dass sich Ostfriesen jeden Sommer im Dreck suhlen, um bei "Schlickschlittenrennen" Kraft und Geschicklichkeit zu messen, könnte aber durchaus ein Witz aus dem Repertoire des Komikers sein.

Einmal im Jahr, wenn an Deutschlands Nordseeküste zwischen Emden und Greetsiel die See wieder auf Tauchstation gegangen ist und Ebbe weite Flächen des Meeresbodens freilegt, ziehen hinter dem "Trockenstrand" von Upleward komisch kostümierte Menschen zu einer Schlammschlacht ins Watt. So kurios wie ihre Klei-dung sind auch die Namen der Dörfer, aus denen sie kommen: Upgantschott, Twixlum oder Rechtsupweg.

Beim "Karneval im Watt" am 10. August treten Mannschaften mit einem Schlickschlitten gegeneinander an und rutschen über die schwarze Piste: Ein Knie auf dem Schlitten abstützen, mit dem Bein kräftig abstoßen, und los geht der Staffellauf bis zum Wendepflock und zurück. Weil es die meist vier Läufer jeder Mannschaft mit dem Training nicht so ernst nehmen, sind selbst scheinbar Chancenlose nicht chancenlos. Schließlich punktet ja auch die Verkleidung.

Ganz schön watt los
Eine weitere Attraktion der Region: die Greetsieler Zwillingsmühlen

Eine steife Brise bläst seit Stunden fette Wolken über die Frischluftarena. Wahrlich kein Farbfilmwetter. Zu allem Übel hat es vor zwei Stunden auch noch wie aus Kübeln geschüttet. Ein echter Ostfriese lässt sich von solchem "Schiedwetter" aber nicht den Spaß vermiesen: "Dat geit bald vorbie", macht Uwe Frühling vom Team "Silver Surver" seinem Namen alle Ehre und bleibt Optimist. Regen spüle den Parcours schön glitschig, kombiniert der Kriminalkommissar aus Aurich. Auch sonst weiß der in einen glitzernden Silberdress gehüllte Kripomann, wie der Fall am "Tatort Watt" erfolgreich zu lösen ist: Viel Luft, eine starke Konstitution und möglichst glatte Bahn brauche man, damit die Beine im Schlick nicht schlapp machen.

Im Finale hört der Spaß auf

Während die kunterbunte Spaßgesellschaft in Seeräuberkleidung und Clown-Maskerade für Schnappschüsse posiert, stecken der Kameramann und Moderator vom Landesfernsehen schon bis zu den Knien im Schlamm und richten ihr Arbeitsgerät auf "Die Störtebecker Jungs", die "Turbo Schlick Schneggen" und "Die drei Bekloppten Vier". Von mehr als zwei Dutzend Wettkampfteams haben sich die "Allstars" und "Silver Surver" ins Finale gekämpft und sind jetzt mit großem Ernst bei der Gaudi. Da gibt es nichts zu lachen.

Nichts zu lachen gab es früher auch für arme Fischer, die sich keinen Kutter leisten konnten. Auf dem Kastenschlitten glitten sie im Watt zu ihren Stellnetzen, um den gefangenen Fisch schnell an Land zu bringen. Aus der Tradition machen sich die Ostfriesen 60 Jahre später einen "schnellen" Jux. Immerhin war das Arbeitstempo jener Zeit wesentlich gemächlicher als bei den "Silver Surver", die sich gerade mächtig ins Zeug legen.

Ganz schön watt los
Schachmatt beim Wattfußball

Die Schlacht tobt der Entscheidung entgegen. Beim Duell gegen die "Allstars" quälen sich die Friesen mühsam durch ausgetretene Schlammfurchen und schieben mit ausgestreckten Armen den Schlitten vor sich her. Allmählich erobert sich das Meer sein Terrain zurück. Mini-Priele im Watt machen das Vorwärtskommen noch schwerer. Bei jedem Schritt versinken die Beine bis zu den Knien im glucksenden Morast. "Maag to un dreih dien oll Pott" (mach zu und dreh endlich den Schlitten), feuern die Kollegen den letzten Staffelläufer der "Silver Surver" an. Zähne zusammenbeißen. Der Dreck spritzt und schmatzt, das Publikum johlt und klatscht. Der "Surver" stöhnt, keucht und läuft, als sei der Klabautermann hinter ihm her. Langgezogene "Joooh, Joooh, Joooh"- Rufe schallen über das Watt, als er dem tapfer kämpfenden "Allstar" Meter um Meter abringt. Die Kräfte schwinden. Wie saugender Pudding drückt der Schlick gegen Knie und Schenkel. Nur noch fünf Meter – eine Entfernung, die so endlos weit zu sein scheint, wie das platte Land an der Waterkant. Hastig ein prüfender Blick zur Außenbahn auf den bedrohlich näher kommenden Konkurrenten! Jetzt noch zwei, noch einen Schritt, dann sinkt der matschverschmierte Wattläufer hinter der Ziellinie der Länge nach ins klebrige Feld. 2,22 Minuten auf der doppelten 40-Meter-Strecke bedeuten die "Inoffizielle Deutsche Meisterschaft" bei den ostfriesischen Sommerspielen. Allmählich kehren wieder Stille und Beschaulichkeit auf der anderen Seite des Trockenstrands von Upleward ein. Bis zum nächsten Jahr. Dann treffen sie sich wieder, zum dreckigsten Rennen der Welt.

An dem Schlickschlittenrennen, das am 10. August 2019 stattfindet, können "Wattläufer" aus ganz Europa teilnehmen. Holzschlitten werden gestellt, eine Gebühr nicht eingehoben. Start ist um 11 Uhr in Upleward. Weitere Wettbewerbe werden im Reusenlauf, Aalsprint und Wattfußball ausgetragen.

Unterkünfte: Private Doppelzimmer kosten ab ca. 50 Euro, Ferienwohnungen ab 70 Euro, Doppelzimmer im Hotel ab 100 Euro.
Infos zur Region finden Sie unter: www.greetsiel.de

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