Besuch beim "Englischen Patienten"
Bernstein gehört – wie das ganze Burgenland – seit genau 100 Jahren zu Österreich. Seine spannende Geschichte reicht freilich viel weiter zurück.
Wer erwartet, in Bernstein Bernstein vorzufinden, wird enttäuscht. Wäre ja auch buchstäblich weit hergeholt, das "Gold der Ostsee", läge es da im Südburgenland in rauen Mengen herum. Warum die 2000-Seelen-Gemeinde unweit der heutigen ungarischen Grenze dennoch Bernstein heißt? Vermutlich weil einst durch das hiesige Tauchental die Via Magna führte, ein Zweig der antiken Bernsteinstraße, die sich vom Baltischen Raum bis zum Mittelmeer zog. Denkbar ist aber auch, dass der Ortsname aus "Bärenstein" entstand.
So gibt es also keinen Bernstein in Bernstein? Doch, aber nur in den lokalen Souvenir-Shops und Ausstellungen. Da finden sich wunderschöne Stücke aus diesem fossilen Nadelbaumharz, das vor zig Millionen Jahren in der Ostsee versunken war und dort versteinerte. Bernsteins Hauptattraktion ist jedoch ein anderer Bodenschatz, der weit über das Burgenland hinaus bekannt wurde: der hier gewonnene und kunstvoll verarbeitete Edelserpentin, die "österreichische Jade". Allerdings müssen für die Gewinnung eines Kubikmeters Edelserpentin im nahen Steinbruch mehrere tausend Kubikmeter Gemeiner Serpentin abgebaut werden, der im Straßenbau Verwendung findet.
"Glück auf!", begrüßt Niko, der Sohn des Bildhauers und Gründers Otto Potsch, die Besucher im Bernsteiner Felsenmuseum und geleitet sie weiter in die unterirdischen Stollen des Schaubergwerks, wo die jahrhundertealte Tradition des hiesigen Mineralienabbaus wieder auflebt. Eine Sammlung herausragender Edelserpentin-Kunstwerke, darunter die berühmte "chinesische" Sphärenkugel von Otto Potsch, bereichert die instruktive Schau. Raffiniert angestrahlt und indirekt beleuchtet sind auch faszinierende Naturwunder wie eine riesige Bergkristallkluft vom Sonnblick zu bestaunen.
Noch wissbegierigere Zeitgenossen können Bernsteins prominentesten Edelserpentin-Meistern Niko Potsch und Franz Christian Habetler in deren Werkstätten beim Schleifen und Drechseln des edlen Materials über die Schultern schauen. Und versuchsweise auch selbst Hand anlegen: Für große und kleine Nachwuchskünstler finden in der Saison Workshops statt. Aber bitte nicht auf Masken zu vergessen, diesfalls weil es staubt!
Höchste Festung des Burgenlandes
Über der Marktgemeinde thront, zwischen Wechsel und pannonischer Ebene schon von Weitem sichtbar, die Burg Bernstein. Die höchstgelegene Festung des nunmehr seit genau einem Jahrhundert zu Österreich gehörenden Burgenlands ist ihrerseits freilich ein Jahrtausend alt. Schwungvoll führt der kastanienbestandene Schlossweg über den Burggraben zu einem mächtigen Portal, das indes verschlossen erscheint. Doch da wir zum Glück nicht hoch zu Ross in Ritterrüstung reisen, genügt uns die kleine Pforte rechts daneben, um in den weiten Innenhof zu gelangen, wo uns Burgherr Erasmus Almásy herzlich willkommen heißt.
Auf dem weiteren Weg in die Hochburg lässt uns eine Gedenktafel innehalten: "Geburtshaus des Piloten Rennfahrers Schriftstellers und Afrikaforschers, von den Beduinen Vater des Sandes genannt, Abu Ramla Ladislaus E. Almásy" steht darauf zu lesen, ergänzt um die Lebensdaten des polyglotten Weltbürgers: 22.8.95 bis 22.3.51.
Seit Michael Ondaatjes Roman "Der englische Patient" und dem darauf basierenden Spielfilm ist László Ede Almásy einem Millionenpublikum bekannt. Allerdings hat der Titelheld mit der wahren Persönlichkeit wenig gemein. Dabei hätte Almásys abenteuerliche Vita keiner Dramatisierung bedurft, sein Leben war aufregender als jedes Skript. Neben vielem anderen "eroberte" er per Steyr-Kraftwagen und Flugzeug die Libysche Wüste, entdeckte dort "unbekannte" Oasen und in den Bergen von Gilf el-Kebir und Uweinat prähistorische Felsmalereien, etwa die "Schwimmer in der Wüste", so auch einer seiner zahlreichen Buchtitel.
Wein, Stuck und ein Schlossgespenst
Erasmus Almásy, der Urgroßneffe von Ondaatjes "Englischem Patienten", öffnet uns das von einem Renaissance-Rahmen eingefasste Tor zum Rittersaal. Auf dem schweren Tisch in der Raummitte stehen einige Flaschen der hauseigenen Kollektion, namentlich Grüner Veltliner und Zweigelt von diesseits und jenseits der Grenze. An der Stuckdecke spielen sich mythologische Szenen ab: Da zieht eben Helios mit seinem Sonnenwagen über das Firmament; dort plumpst gerade Ikarus ins Wasser, nachdem er zu viel Solarenergie getankt hatte; und hier tagt die auch für Kunst zuständige Weisheitsgöttin Pallas Athene mit den neun Musen – geht es um die Erhöhung des Kulturbudgets?
So sind wir abermals in einem Museum gelandet? Ja, aber in einem bewohnten und bewohnbaren, das überquillt von Antiquitäten und geschichtsträchtigen Erinnerungsstücken. Porträts früherer Burgherren zieren die Gänge ebenso wie diverse Orientalia, in einer Vitrine entdecken wir László Almásys Flugbuch, sein Carnet de Vol, ausgestellt den 1. März 1936 in Le Caire (Kairo). Auch die Gästezimmer und Suiten, ganze neun an der Zahl, sind historisch eingerichtet, mit Teppichen, Kachelöfen, Truhen und goldgefassten Spiegeln. Die Sanitäranlagen hingegen sind rezent.
Zimmernamen wie Gottgetröst, Tantalouis oder Kulipintsch machen schon im Voraus neugierig. Allerdings: Wie in jeder zünftigen Burg spukt auch auf Bernstein ein Gespenst. Diese Weiße Frau soll der Geist einer untreuen Gattin sein, die sich mit einem Knappen vergnügt hatte, während ihr Mann gegen die Osmanen focht. Zur Strafe ließ der Betrogene die Ehebrecherin einmauern. Was sie aber offenbar nicht hindert, gelegentlich immateriell wieder aufzutauchen. Und so bittet Erasmus Almásy auf der Website seines Hauses allfällige Interessenten, nur dann eine Übernachtung zu buchen, wenn sie sich zutrauen, dem Spuk "gefasst ins Auge zu sehen".
Umgekehrt war der Hotelier auch schon mit Reklamationen konfrontiert, weil der erhoffte "Besuch der alten Dame" ausblieb. Jene unzufriedenen Gäste bezweifelten sogar die Existenz derselben und unterstellten einen billigen Reklame-Gag. Dabei hat vor einem Jahrhundert ein Johannes Göppingen in einer parapsychologischen Untersuchung zweifelsfrei festgestellt, dass es sich bei der Weißen Frau von Bernstein, die zu Lebzeiten auf Catharina Frescobaldi hörte, um einen echten Spuk handelt.
Infos und Literatur: felsenmuseum.at, edelserpentin.com; burgbernstein.at, almasy-collection.com
Bücher: Michael Ondaatje: "Der englische Patient", Hanser Verlag, München 1993
Ladislaus E. Almásy: "Schwimmer in der Wüste", Haymon Verlag, Innsbruck 1997