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Alta, Hammer, Geilo, Odda

Von Michael Djukic   25.Oktober 2020

Und schon war die Reise fast vorbei, bevor sie begonnen hat. Beim deutschen Grenzübergang Ellund werde ich per Zufallsprinzip von dänischen Behörden gestoppt. Im Rückspiegel sehe ich die staatliche Viruskontrolle näher schreiten. Ein netter Polizist lässt mir drei Optionen zur Wahl: a) Umkehren b) Vorlegen einer Buchungsbestätigung zur Durchreise c) mindestens sechs Nächtigungen in Dänemark. Ich ziehe die Mitte. Noch am Pannenstreifen buche ich via Smartphone die Autofähre von Hirtshals (DÄN) nach Langesund (NOR) für den nächsten Tag. Quittung herzeigen – und ich darf weiter Richtung Jütland fahren und überquere wenig später die Nordsee.

Jenseits der Angstspirale

Seit meiner Ankunft in Norwegen ist vieles anders: boreale Vegetation, jede Menge Teslas, kaledonische Felsmassive und Elch- statt Rehwarnungen auf Straßenschildern. Am meisten überrascht mich aber die alte Normalität. Maskenfreie Zone. Kein Mindestabstand. Händeschütteln. Feuchtfröhliche Partys in Oslo. Norwegen scheint zumindest die Angstspirale unter Kontrolle gebracht zu haben. Unterwegs stoße ich hier weder auf Corona-Leugner noch auf Corona-Kontrolleure.

Alta, Hammer, Geilo, Odda
Pattstellung

Nach meinen ersten 2000 Fahrkilometern ist die Paradiesbucht auf Bygdøy mit ihren Wanderwegen der ideale Erholungsort für mich. Eine Woche später sollte ich dasselbe vom Sjøsanden-Goldstrand behaupten. Denn bei 29 Grad Außen- und 18 Grad Wassertemperatur genieße ich hier im hohen Norden südliches Sommerflair. Dazwischen zieht es mich für ein paar Tage ins Landesinnere.

Alta, Hammer, Geilo, Odda
Der Goldstrand bei Sjosanden

Nach Stor-Elvdal. Noch nie davon gehört? Ich auch nicht. Kein von der Tourismusbranche propagiertes Juwel norwegischer Natur. Blank und ungeschminkt liegt die Kommune östlich von Lillehammer. Langsame Spaziergänge im Nadelwald zwischen tiefem Moos und weißen Rentierflechten sowie an Pilzen und Beeren vorbei bescheren mir die feinsten Nuancen der nordischen Naturidylle. Abends genieße ich mit den Einheimischen zartes Elch-Steak vom Grill am Ufer des Glomma-Flusses.

Alta, Hammer, Geilo, Odda
Kirche in Koppang in der Kommune Stor-Elvdal

So tanke ich ausreichend Energie, um danach in Südnorwegen am Lysefjord zum Kjeragbolten zu wandern. Wer oben ankommt und ungesichert auf der Felsbrücke steht, braucht ausreichend Nerven. Der runde Gesteinsbrocken hängt nicht nur eingeklemmt zwischen zwei Felswänden, sondern tausend Meter über dem Abgrund. 250 Kilometer nördlich ist das Fotomotiv noch begehrter: Trolltunga. Wie eine Trollzunge ragt hier ein horizontaler Granitfelsen 700 Meter über dem Ringedalsvatnet-Stausee in den Himmel. Für Sandalenträger und Selfie-Touristen währt das Glück nicht lange. Denn wer hoch hinaus will, muss sich bei dieser 20 Kilometer langen Rundwanderung bis zu zwei Stunden anstellen. Nichts für mich. Ich habe Zelt und Proviant eingepackt und starte den Aufstieg erst am frühen Abend, um später auf 1100 Meter zu übernachten. Rechtzeitig zum Sonnenuntergang erreiche ich das Ziel. Der Anblick der Felszunge ist überragend, ganz ohne Schlangestehen und Kameras.

Alta, Hammer, Geilo, Odda
Der Trolltunga-Granitfelsen 700 Meter über dem See Ringedalsvatnet

Im nördlichen Paradies

Viele Autostunden später und 300 Kilometer nördlich vom Polarkreis entdecke ich schließlich das Paradies der nördlichen Erdhalbkugel: die Lofoten. Buchten mit weißen Sandstränden zieren die schroffe Inselkette Norwegens. Tägliche Regenbögen schaffen vor den schwarzen Felswänden einen magischen Kontrast zum türkisblauen Wasser. Nur ein paar Schafe rupfen an den steilen Felshängen am grünen Gestrüpp. Also füge ich mich in die stille Idylle: zelten auf dem Berg bei frostigen Temperaturen, Heidelbeeren pflücken und Seelachs fischen. Zwischendurch klettere ich von Berg zu Berg und laufe abends barfuß am Strand entlang. Und bei Anitas Sjømat-Laden hole ich mir den besten Räucherlachs meines Lebens zum günstigen Preis.

Alta, Hammer, Geilo, Odda
Der Swartisen-Gletscher, mit 370 Quadratkilometern Norwegens zweitgrößter Gletscher

Meinen Freunden werde ich sicher noch mehr von Norwegen berichten – vom Paddeln im Naerøyfjord, meinem Eisbad am Svartisen-Gletscher, dem wunderschönen Låtefossen und einem der stärksten Gezeitenströme der Welt bei Saltstraumen. Oder ich fasse es einfach mit norwegischen Ortsnamen zusammen, die ich durchquert habe: Alta, Hammer, Geilo, Odda.

Noch ein Corona-Wunder

Nach 7711 Autokilometern habe ich das Nordkap erreicht, von wo ich Kurs in Richtung Lappland nehmen wollte. Aber Finnland hat seit Ende Juli beschlossen, seine Grenzen explizit für österreichische Reisende zu schließen. Ich habe es dennoch beim Grenzübergang Karasjok versucht. Eigentlich komplett aussichtslos, aber die finnische Grenzpolizei ließ mich ihre Straßensperre dann doch passieren. Noch ein Corona-Wunder. Wenig später färbte sich der Nachthimmel grün und violett – meine ersten Polarlichter.

Was mich in dieser Nacht in freudiges Staunen versetzte, schürte früher oftmals Angst und Schrecken unter den nördlichen Völkern. Auch heute mag es für manche bedrohlich wirken, dass ich während der gesamten Skandinavien-Tour täglich nach frischem Wasser suche und nicht weiß, wo ich die nächste Nacht verbringen werde. Dabei muss man nur das Risiko eingehen, eigene Überzeugungen und Prägungen einmal über den Haufen zu werfen. Wer sich auf Reisen dem Unbekannten aussetzt, lernt diese Gelassenheit. Eine Tugend, die man nicht in der Schule lernt. Etwas, das ich hier in Lappland als finnische Gelassenheit erlebe. Und etwas, das ich mir bei meiner Rückkehr nach Österreich für die aktuelle Orientierungskrise wünschen würde, in der die zukünftige Entwicklung unserer Gesellschaft zur Debatte steht.

Fotos: Weitere Bilder unter travel-drift.com

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28. März 2024