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Absolute Spitze

Von Christian Schreiber, 01. August 2020, 00:04 Uhr
Absolute Spitze
Am 27. August 1820 stand Josef Naus auf der Zugspitze. Bild: vivalpin

Vor 200 Jahren erklomm ausgerechnet ein Tiroler als erster Mensch die Zugspitze. Bis heute ist der höchste Berg Deutschlands einer der internationalsten Orte des Landes.

Zwei Inder stehen am Imbissstand auf der Zugspitze und erkundigen sich, ob die Bratwurst ohne Rindfleisch sei. Der Verkäufer ist sich nicht sicher, schenkt dem Duo ein trockenes Brot und empfiehlt die Gondelfahrt hinunter zum Gletscher, wo es Dal Tarka und Chicken Aloo Masala mit Safranreis gibt. Die beiden blicken skeptisch nach unten, wo Kinder mitten im Sommer mit dem Zipfelbob über Schneereste düsen und Snowboarder den Hang hinaufstapfen, um fünf mickrige Schwünge zu machen. Wer will, kann dort auch heiraten, ein Standesamt und die Kapelle Maria Heimsuchung, die der spätere deutsche Papst Benedikt 1981 geweiht hat, stehen bereit.

Die Zugspitze ist mit 2962 Metern nicht nur Deutschlands höchster Berg, sondern auch der erstaunlichste Ort im ganzen Land. Wanderer und Bergsteiger mühen sich zwei Tage ab, um den Gipfel zu stürmen, während jährlich mehr als eine halbe Million Menschen aus aller Welt minutenschnell per Seil- und Zahnradbahnen die Spitze erreichen – zumindest vor der Corona-Krise. Sprache Nummer eins ist nicht Bairisch, sondern Englisch. Zahlreiche Wissenschafter haben Forschungsstationen eingerichtet, es gibt ein eigenes Postamt samt Sonderstempel, einen Gebetsraum für Muslime und spezielle Toiletten für arabische Gäste mit Kacheln und Wasserschlauch, dafür ohne Papier. Die Zugspitzbahn hat einst sogar Broschüren herausgebracht, auf denen das goldene Gipfelkreuz wegretuschiert war. Ein großer Aufschrei ging durchs katholisch-konservative Land, Satiriker empfahlen, gleich einen Halbmond auf der Zugspitze aufzustellen. Kurzum: Der deutscheste aller Berge ist so international wie der Frankfurter Flughafen.

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Rodelspaß im Sommer, auch das ist auf der Zugspitze möglich. Bild: Zugspitzregion/Ehn

Und damit nicht genug: Als Erstbesteiger gilt ausgerechnet ein Tiroler. Josef Naus erhielt vor exakt 200 Jahren von König Maximilian I. den Auftrag, die Zugspitze zu vermessen. Immerhin waren ein Träger und der Bergführer Johann Tauschl aus Partenkirchen an seiner Seite. Sie wählten den Aufstieg über die Reintal-Route und erreichten einen Tag später, am 27. August 1820, den Westgipfel. Freilich ist nicht eindeutig geklärt, ob Einheimische nicht schon früher ganz oben auf der Zugspitze standen. Eine historische Karte, die älter als 200 Jahre ist und eingezeichnete Routen enthält, legt die Vermutung zwar nahe, allerdings gibt es keine Beweise. Josef Naus jedenfalls rammte damals einen "Bergstock mit einem daran befestigten Sacktuch" als Beweis für die Besteigung in den Schnee und hielt fest, dass die Unternehmung "mehrfache Lebensgefahren und außerordentliche Mühen" abverlangt habe. Kurz darauf vertrieb ein Gewittersturm samt Schneegestöber das Trio vom Gipfel.

Höchstgelegenes Postamt

Andreas Oberauer kennt jedes Wetter und jede Jahreszeit auf der Zugspitze. Seit 23 Jahren kommt er herauf, um seiner Arbeit nachzugehen. Er ist Deutschlands "oberster" Postbote und betreibt das einzige deutsche Postamt über der 2500-Meter-Grenze. Es befindet sich auf dem Zugspitzplatt, von wo sich der Gletscher in Richtung Gipfel hinaufzieht. Der Berg hat eine eigene Postleitzahl, aber keine Straßennamen. "Es reicht, wenn 82475 Zugspitze und der Name des Empfängers draufstehen", sagt Oberauer. Gleichzeitig sammelt er auch Briefe ein, die die Restaurants oder das Münchner Haus, die höchstgelegene Schutzhütte Deutschlands, versenden wollen. Seine tägliche Tour führt ihn auch zu den Souvenirshops, die der 55-Jährige mit frischen Briefmarken versorgt, und natürlich zu den drei Briefkästen auf der Zugspitze.

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Zugspitz-Postler Andreas Oberauer Bild: Schreiber

An der Anzahl der Postkarten kann Oberauer abschätzen, wie viele Besucher auf dem Berg waren. Fast jeder Dritte schickt Grüße aus 2962 Metern auf die altmodische Art. An Spitzentagen im Jahr 2019 musste Oberauer deswegen bis zu 2500 Mal den Zugspitz-Sonderstempel auf die aufgeklebten Briefmarken hämmern, die den Transport in alle Welt gewährleisten. Nur einmal war ihm alles zu viel: Im Supersommer 2018 habe es einen Tag mit knapp 10.000 Besuchern gegeben. "Es war wie aufm Oktoberfest. Ich bin gar nicht mehr durchgekommen." Der Gästemix hat sich in den vergangenen Jahren stark verändert. "Postkarten in die USA haben abgenommen. Dafür geht immer mehr in die Arabischen Emirate und nach Asien."

Die Zugspitze ist aber nicht nur ein Ort, der exotische Gäste anlockt, die noch nie Schnee gesehen haben, oder Bergsteiger und Gondelfahrer in ihren Bann zieht, die das fantastische Panorama genießen wollen. Schließlich blickt man auf die höchsten Berge Bayerns und Österreichs und bei guter Fernsicht auch auf die Alpengiganten Italiens oder das Matterhorn.

Der höchste Punkt Deutschlands ist auch ein äußerst spannender Platz für Wissenschafter. Meteorologen haben sich direkt auf dem Gipfel eingerichtet, und im ehemaligen Hotel "Schneefernerhaus" existiert eine Forschungsplattform des bayerischen Umweltministeriums. Unis und Professoren mieten sich dort ein, um Luftveränderungen und Höhenstrahlung zu messen, den Permafrost zu erforschen oder dem Geheimnis des schlechten Wetters auf die Spur zu kommen. "Wir sind hier direkt in der Wolke drin, wo Regen entsteht", erklärt Till Rehm, der über die Forschungsstation wacht und Rechner und Geräte für die Wissenschafter kontrolliert, die in Köln oder Karlsruhe sitzen.

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Zugspitz-Wissenschafter Till Rehm Bild: Schreiber

Vorteil für die Wissenschafter: Das Haus bietet ausreichend Platz und die Gerätschaften lassen sich bequem auf der Schiene hinaufschaffen. Das übernimmt die Zahnradbahn, die in rund 40 Minuten zum Zugspitzplatt fährt, von wo die Gäste per Gletscherbahn auf den Gipfel schweben können. Die bayerischen Gondeln, die den höchsten Berg Deutschlands von der Nordseite entern, schaffen drei Weltrekorde: Mit 3213 Metern Abstand von der einzigen Stütze bis zur Bergstation ist die überwundene Entfernung so groß wie bei keiner anderen Seilbahn. Einmalig ist auch der Höhenunterschied von 1945 Metern zwischen Tal- und Bergstation. Und keine andere Pendelbahn hat mit 127 Metern eine derart hohe Stahlbaustütze.

Tour durchs Reintal

Bei alledem stellt sich die Frage: Wer geht da noch zu Fuß auf den Berg? Die Zugspitze erlebt tatsächlich auch einen Wanderboom. Dabei zieht sich der Aufstieg ganz schön hin. Bergsteiger mit normaler Kondition müssen eine Hüttennacht einplanen, um die 2000 Meter Höhenunterschied zwischen Tal und Gipfel durch die langgezogenen Täler zu überwinden, die sich der Zugspitze zuwenden. Das ist eher ungewöhnlich für einen Alpengipfel, der nur knapp an der 3000-Meter-Marke kratzt.

Die beliebteste Tour führt dabei durchs Reintal. Der Weg startet in der Klamm der Partnach. Der Fluss mit seinem sagenhaften blauen Wasser begleitet den Wanderer über lange Strecken und duckt sich verschämt unter der Hochwanner-Nordwand, einer der höchsten Wände der bayerischen Alpen. Nach 14 Kilometern und rund sechs Stunden erreichen Bergsteiger die Reintalangerhütte, wo nachweislich auch die Erstbesteiger eine Ruhepause einlegten – wenngleich es sich damals nur um eine einfache Hirtenunterkunft handelte. Heute platzt die Hütte aus allen Nähten, in Spitzenmonaten wie im vergangenen August nächtigten dort mehr als 3000 Menschen. "Die Leute kommen gut gelaunt an, haben sich freigelaufen von allen Sorgen und sind erleichtert und zufrieden", erzählt Stephanie Stimmer, die die Hütte mehrere Jahre bewirtschaftet hat.

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Stephanie Stimmer, die Wirtin der Reintalangerhütte Bild: Schreiber

In Erinnerung geblieben ist ihr, dass der Großteil ihrer Gäste Einsteiger waren, die noch nie auf einem hohen Berg standen. "Einmal die Zugspitze zu besteigen, ist der Traum für viele. Da nehmen sie große Mühen in Kauf."

An dieser Stelle sei angemerkt: Über die österreichische Seite geht es einfacher und schneller auf die Zugspitze, weil der Höhenunterschied geringer und der Weg direkter ist. Die Bayern müssen sich ihren Berg auch 200 Jahre nach der Erstbesteigung mit den Tirolern teilen.

Zugspitz-Region

Übernachtung: Bayern Resort (Grainau): Erwachsenen-Hotel mit Zimmern und Appartements. Komfortabel, bayerisch-gemütlich, detailverliebt. Hervorragendes Frühstückbuffet. hotel-bayern-resort.de

Werdenfelserei (Garmisch): „Vollholz-Hotel“ für die ganze Familie mit Fokus auf Aktiv/Sport und Wellness. werdenfelserei.de

Ticket: Zugspitze Berg- und eine Talfahrt (wahlweise als Rundfahrt mit Zahnradbahn, Gletscherbahn und Seilbahn): 59,50 Euro. Berg- oder Talfahrt: 35 Euro. zugspitze.de

Besteigung: Touren auf und rund um die Zugspitze z. B. bei Vivalpin (Garmisch): geführte Besteigungen ab 69 Euro.

Reintalangerhütte: 2er-Zimmer, Mehrbett-Zimmer, Matratzenlager. Lagerübernachtung ab 13 Euro (AV-Mitglieder), sonst ab 29 Euro

Info: zugspitz-region.de

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