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10 Holzfiguren, 7 Frauen und ein Mops

Von Böhm Angela, 21. April 2019, 00:04 Uhr
10 Holzfiguren, 7 Frauen und ein Mops
Die Stiftsbibliothek mit ihren 300 Jahre alten, einzigartigen Holzfiguren.

Am 23. April ist Welttag des Buches. In der weltberühmten Stiftsbibliothek von Waldsassen in der Oberpfalz trifft der Mensch auf allerlei interessante Gestalten.

Rosa Gloh lebt mit zehn eigenartigen Gesellen. Einer soll ein Ignorant sein, ein anderer dumm und faul. Ein Angeber ist auch dabei, ein Spötter, ein Heuchler und sogar einer, der seine Eitelkeit zelebriert. Ausgerechnet so eine Truppe bildet das Herzstück im Zisterzienserinnenkloster Waldsassen in der Oberpfalz. Die Herren sind einzigartig und von unschätzbarem Wert. Auf ihren Schultern tragen die gut 300 Jahre alten, überlebensgroßen Figuren aus Lindenholz die Galerie mit Bücherregalen, die bis zur Decke reichen.

Wer die Atlanten aus dem Barock sehen will, den steckt die 60-Jährige erst einmal in riesige Lederpatschen. Nur damit dürfen die Besucher hinter ihr über das Parkett durch den Saal schlurfen. Seit drei Jahrzehnten führt die Waldsassenerin durch die Stiftsbibliothek. Noch immer sind nicht alle Einzelheiten über diesen Club der Laster geklärt. Erst im Frühjahr hat sie beim Abstauben wieder etwas entdeckt: Dem Heuchler fehlt ein Fingernagel. "Dabei hat sich der Schnitzer garantiert etwas gedacht", ist sie sicher und ärgert sich, weil sie nicht weiß, was.

Viele Rätsel hat Karl Stilp, der Sohn des Tischlers von Waldsassen, der Nachwelt mit seinem Meisterwerk der Schnitzkunst und seiner Liebe zum Detail hinterlassen. 22 Jahre, von 1704 bis 1726, brauchte er mit 18 Gehilfen für die Vollendung. Sich selbst verewigte Stilp gleich rechts neben der Tür als zornigen Rebell mit Pockennarben. Einer anderen Figur lässt er einen Bart wachsen, den nur noch ein Knoten zäumen kann. Dazwischen spitzen zwei Mäuschen aus dem haarigen Kunstwerk. Am auffälligsten aber sind die buschigen Augenbrauen. "In der Antike waren sie das Symbol für arroganten Eigensinn", erklärt die Führerin.

Offensichtlich wollte der damalige Klosterabt Eugen Schmid die Torheiten in einem satirischen Sittenspiegel dargestellt haben, mit allen Formen des menschlichen Hochmuts. Die Besucher sollten sich dabei nicht unbeobachtet fühlen. Auf einem der Deckengemälde mit Szenen aus dem Leben des Ordensheiligen der Zisterzienser, Bernhard von Clairvaux, ist auch Abt Eugen Schmid abgebildet. Ihn begleitet ein kleiner weißer Mops. Egal, wo man in der Bibliothek auch steht, beide schauen einen durchdringend an.

10 Holzfiguren, 7 Frauen und ein Mops
Die Klosterstadt Waldsassen ist die nördlichste Stadt der Oberpfalz und liegt an der Grenze zu Tschechien.

Eine wechselvolle Geschichte hat das Kloster hinter sich. 1133 gegründet, erlebte es im Barock eine Hochkonjunktur bis zur Säkularisierung 1803. Die Mönche wurden vom Staat enteignet und vertrieben, die wertvollen Bücher verkauft und 16.000 Exemplare in einer Papierfabrik eingestampft. 60 Jahre später kauften die Zisterzienserinnen aus Landshut-Seligenthal die völlig heruntergekommene Mönchsabtei. Die ledergebundenen alten Schriften sind heute in der prunkvollen Bibliothek neben den kunstvoll geschnitzten Herren nur noch Beiwerk. Als Ersatz schickte 1965 der Freistaat Bayern 2000 Bücher als Leihgabe.

Nun erlebt der Konvent, in dem derzeit acht Schwestern leben, eine neue Blütezeit: Für fast 40 Millionen Euro wurde er in den vergangenen Jahren saniert. Im mittelalterlichen Trakt entstanden für Besucher hinter moderner Architektur minimalistische Hotelzimmer mit edlen Materialien (DZ ab 110 Euro). Die Klosterschänke bietet "Essen wie die Schwestern". Auf deren Speiseplan steht zum Beispiel Gemüsesuppe und Germknödel. Im Klosterladen werden die bernsteinfarbenen, von den Ordensschwestern gemachten "Zwiebelzelten" verkauft. Die Zuckerl aus gekochten Zwiebeln sollen bei Halsschmerzen und Entzündungen im Rachen Wunder wirken.

Der Abt als spukender Geist

Die kann man sich nebenan in der kalten, feuchten, 83 Meter langen Gruft unter der Stiftsbasilika leicht holen. Mit ihren schräg abfallenden Hallengängen gilt sie als eine der größten Klostergruften Deutschlands. Hier liegt auch der letzte Abt des Klosters, Athanasius Hettenkofer. Der Legende nach soll er lange als Geist in Waldsassen sein Unwesen getrieben haben, weil er nicht bei seinen Brüdern in der Gruft bestattet worden war: Er rasselte nachts mit Ketten und saß sogar auf des Pfarrers Schreibtisch. Erst als seine Gebeine umgebettet wurden, war der Spuk zu Ende.

Vor Geistern fürchten muss sich in der barocken Basilika, die in neuem Glanz erstrahlt, heute niemand mehr. Auch wenn dort zwölf kostbare, mit Gold- und Silberfäden gekleidete Skelette für einen Gruselfaktor sorgen. Es sind die "Heiligen Leiber", die Ganzkörper-Reliquien frühchristlicher Märtyrer, die aus den Katakomben Roms geholt wurden. Sie lenken ab von den zwölf Tugenden, die die Bögen der sechs Seitenaltäre einrahmen: Von der Liebe bis zur Güte, von der Milde bis zum Frieden. Die unauffälligen weißen Figuren, die diese Eigenschaften in der Basilika darstellen – sie sind alle Frauen. (SRT)

Weitere Informationen unter www.abtei-waldsassen.de; www.haus-sankt-jospeh.de

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Böhm Angela
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