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Geräuschterror im Kopf

Von Ulrike Griessl   15.Mai 2019

Das schreckliche Rauschen in meinen Ohren begann vor mehr als 20 Jahren", erzählt Karin Kaiser (Name von der Redaktion geändert). "Es war, als ob ich Tag und Nacht mitten auf der Autobahn sitzen und den Verkehrslärm in voller Lautstärke hören müsste", schildert die leidgeplagte Oberösterreicherin. Der ununterbrochene Tonterror habe ihren Alltag massiv beeinträchtigt. "Ich konnte mich nicht mehr konzentrieren, war nur noch genervt von diesen Geräuschen." Bald sehnte sich die junge Frau nur noch nach Stille. "Aber sie kam nicht, und so verlor ich mit der Zeit auch meine innere Ruhe", sagt Kaiser.

Ursache für Tinnitus nicht immer eruierbar

"Chronischer Tinnitus" lautete die Diagnose des Hals-Nasen-Ohren-Arztes, die er allerdings ausschließlich aufgrund von Kaisers Symptombescheibung stellen konnte, denn körperliche Ursachen für die ununterbrochene Geräuschkulisse ließen sich vorerst nicht nachweisen. Erst Jahre später wurde bei Kaiser festgestellt, dass eine genetisch bedingte fortschreitende Schwerhörigkeit schuld an ihrem Ohrensausen war. "Heute habe ich ein Cochlea-Implantat (Hörprothese; Anm. d. Red.),durch das mein Ohrensausen fast völlig weg ist, ich habe meine Ruhe wieder und bin extrem dankbar dafür", sagt Kaiser.

Damit gehört die Büroangestellte zu den Glücklichen unter den etwa 800.000 Tinnitus-Betroffenen in Österreich. "Sehr oft lässt sich die Ursache nicht feststellen und daher auch keine konkrete Therapie empfehlen, durch die die Dauergeräusche im Ohr beseitigt werden können", sagt Primar Thomas Keintzel, Leiter der HNO-Abteilung im Klinikum Wels-Grieskirchen. Für diese Patienten sei Autogenes Training die beste Möglichkeit, um zu lernen, mit dem Problem zu leben und die Geräusche so gut wie möglich auszublenden. Einen wichtigen Anteil an einer guten Therapie ist für Keintzel zudem die genaue Aufklärung der Patienten über das Phänomen Tinnitus.

"Jedem vierten Betroffenen gelingt es nicht, sich mit den dauernden Geräuschen im Ohr abzufinden", stellt Birgit Laux-Flajs fest. Sie leitet das Projekt "Von Ohr zu Ohr" für Menschen mit Hörproblemen in Linz. Für diese Gruppe sinke die Lebensqualität mit dem Dauergetöse im Ohr extrem ab. "Daher kommen häufig Schlafstörungen, Angstzustände oder Depressionen hinzu", so Laux-Flajs. Berufliche Probleme bis hin zur Arbeitsunfähigkeit können die Folge sein. Nicht selten würden sich stark belastete Patienten auch von Freunden und Familienmitgliedern unverstanden fühlen und sich daher immer stärker zurückziehen.

Konkrete Diagnose, gute Heilungschance

"Gute Chancen, die innere Geräuschkulisse völlig wegzubekommen, haben hingegen Betroffene, bei denen sich die Ursache klar feststellen lässt", sagt Keintzel. Dies sei zum Beispiel bei Nackenverspannungen und Problemen mit der Halswirbelsäule der Fall. "Physiotherapie bringt diesen Patienten meist die Ruhe zurück", sagt der Mediziner. Auch wenn Probleme mit dem Kiefer das Ohrensausen verursachen, wie etwa bei einem Fehlbiss oder Verspannungen der Kaumuskulatur, kann man das Ohrensausen laut Keintzel oft in den Griff bekommen.

Wie es dazu kommt, dass Menschen ohne medizinisch nachweisbare Gründe an Tinnitus leiden, ist seit vielen Jahren auch Thema in der Forschung. Untersuchungen mit Labortieren haben nach einem Hörverlust gesteigerte Nervenaktivitäten der zentralen Hörbahn gezeigt, die den Betroffenen eine ständige Geräuschkulisse vorgaukeln, obwohl kein akustisches Signal vorliegt. Die Wissenschafter vermuten, dass dies geschieht, um das fehlende Reizangebot aus dem Ohr auszugleichen.

Grundlage für diese Fehlschaltung im Gehirn ist die Plastizität des Zentralnervensystems. Es passt sich flexibel an veränderte Anforderungen oder Schädigungen an. Dies ermöglicht laut Forschung einerseits Lernvorgänge. Es kann aber auch negative Folgen haben, wie eben Phantomschmerzen oder Tinnitus.

"Die Zahl der Menschen, die an Tinnitus leiden, steigt stetig an", sagt Angelika Nebl, Obfrau des Vereins "Von Ohr zu Ohr". Grund dafür seien die stetig mehr werdenden Geräuschquellen der Umwelt. So werde etwa der Straßenlärm durch den ständig wachsenden Verkehr immer mehr. Unterschätzt würde auch die Lautstärke, die von Rasenmähern, Laubsaugern und Bohrmaschinen ausgehe. "Eigentlich sollte man einen Gehörschutz tragen, wenn man derartige Geräte öfter nützt", empfiehlt Nebl, die selbst von Schwerhörigkeit betroffen ist. Außerdem würden vor allem junge Menschen bei jeder Gelegenheit mit Kopfhörern laute Musik hören. "Ihnen ist nicht bewusst, dass sie dadurch langfristig ihr Gehör schädigen und die Wahrscheinlichkeit erhöhen, Tinnitus zu entwickeln", sagt Nebl. Um Problembewusstsein bei Jugendlichen zu schaffen, bietet der Verein "Von Ohr zu Ohr" unter anderem Vorträge in Schulen an.

Verein „Von Ohr zu Ohr“

 

Das Wort „Tinnitus“ kommt von dem Wort tinnire, das „klingeln“ bedeutet. Betroffene nehmen Töne und Geräusche wahr, die keiner äußeren Schallquelle zugeordnet werden können. Die Töne sind daher für andere Menschen nicht hörbar. „Das macht dieses Phänomen so unfassbar und bedrohlich“, sagt die Logopädin Doris Schüchner vom Verein „Von Ohr zu Ohr“. Diese Bedrohung bewirke einen Teufelskreis. Die Patienten entwickeln vegetative Stressreaktionen und sind psychisch extrem belastet, sodass die Wahrnehmung der Ohrengeräusche verstärkt werde. Hilfreich können Stressreduktion und Entspannung sein.

Der Verein „Von Ohr zu Ohr“ hilft Betroffenen, mögliche Ursachen abzuwägen und Lösungsmöglichkeiten zu suchen.

Angelika Nebl (im Bild links mit Birgit Laux-Flajs) bietet Tinnitus-Patienten kostenlose Klangschalenmassagen an. Termine und weitere Informationen unter Tel. 0732 / 700 833 oder www.vonohrzuohr.or.at

 

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