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"Michel aus Lönneberga würde die Diagnose ADHS bekommen"

Von Dietlind Hebestreit, 06. März 2014, 00:04 Uhr
"Michel aus Lönneberga würde die Diagnose ADHS bekommen"
»Mindestens die Hälfte der Kinder mit ADHS-Diagnose sind Michels.« Bild: Archiv

Der deutsche Heilpädagoge Henning Köhler hält am Freitag einen Vortrag im Neuen Rathaus in Linz.

Wie Eltern, Erzieher, Lehrer und Heilpädagogen unverkrampft und vertrauensvoll eine Beziehung zu Kindern aufbauen können, verrät der Heilpädagoge Henning Köhler am Freitag, 7. März, um 19.30 Uhr bei einem Vortrag im Neuen Rathaus Linz. Am 8. März von 9 bis 12 Uhr geht dort auch ein Workshop mit Köhler zum Thema "Pädagogik vom Kind aus" über die Bühne. Die OÖNachrichten baten den Autor zum Interview:

 

OÖN: Eines Ihrer Bücher heißt "War Michel aus Lönneberga aufmerksamkeitsgestört?" Wie sehen Sie das?

Henning Köhler: Heutzutage würde sich Astrid Lindgrens Michel eine ADHS-Diagnose zuziehen. Wüchse Michel auch noch mitten in der Stadt auf, fände er keine Möglichkeiten, seinen Bewegungsdrang frei auszuleben, kein Verständnis für seine Streiche, dürfte er nicht oder nur selten nach Herzenslust spielen … das würde ihn tatsächlich krank machen. Die Leidenszeichen zusammen mit der ungestümen Wesensart ergäben dann eine hochproblematische Mischung. Aber primär sind solche Kinder nicht krank oder psychisch gestört. Wir müssen heutzutage die typischen Michels davor schützen, medikamentös ruhiggestellt zu werden. Ich würde sagen: Mindestens die Hälfte der Kinder mit ADHS-Diagnose sind Michels. Oder Momos. (Momo ist die kleine verträumte Heldin in Michael Endes gleichnamigem Buch. Ihr wäre heute der Stempel ADS ohne Hyperaktivität so gut wie sicher.)

AD(H)S gilt als genetisch bedingt. Sind denn nicht die Eltern verantwortlich, wenn sich ihre Kinder schlecht benehmen?

Die genetisch-neurobiologische Deutung ist umstritten. Und "schlecht benehmen" ist ein auslegungsoffener Begriff. Michel benimmt sich nach den kleinkarierten Maßstäben der Dorfbevölkerung von Lönneberga andauernd schlecht, während sich das gehobene Bildungsbürgertum seit Generationen an der Figur ergötzt. Man atmet erleichtert auf, wenn Astrid Lindgren erzählt, wie unerschütterlich die Eltern zu ihrem "schwierigen" Kind standen. Tauchen aber leibhaftige Michels auf, ist es nicht mehr weit her mit der Toleranz. Kein Kind bringt Bosheit mit auf die Welt. Boshafte Verhaltensweisen sind Reaktionen auf negative Erfahrungen, belastende Umstände, unbewältigte Ängste, falsche Vorbilder. Das entschuldigt nichts, erklärt aber manches. Mitgefühl ist uns angeboren wie Singvögeln das Zwitschern, sagt Jerome Kagan, ein führender amerikanischer Entwicklungspsychologe.

Ist es heute noch zeitgemäß, wenn man sich brave Kinder wünscht?

Nein. Kinder sind verschieden. Manche sind brav, manche nicht so brav. Am besten für alle Beteiligten wäre es, man wünschte sich jedes Kind genau so, wie es eben ist.

Machen Buben oder Mädchen mehr Probleme in den Familien?

Buben rebellieren häufiger und offener gegen äußere Zwänge. Das verführt zu der Annahme, sie könnten schlechter mit der Enge heutiger Lebensverhältnisse umgehen beziehungsweise. Mädchen fiele das leichter.

Trügt diese Annahme?

Ja. Mädchen neigen mehr dazu, ihren Frust, ihre Angst, ihre Traurigkeit still mit sich selbst abzumachen. Sie funktionieren dann reibungslos, erfüllen alle Erwartungen, während sich unter der Fassade etwas zusammenbraut.

Können Eltern von ihren Kindern lernen?

Oh ja! Vor allem wenn es so genannte Problemkinder sind. Wir führen die Kinder, wir beschützen sie. Das ist der Freundschaftsvertrag. Umgekehrt führen und beschützen sie auch auf geheimnisvolle Weise ihre Führer. Die kindliche Intelligenz ist der des Erwachsenen so überlegen, dass man es fast als beschämend empfinden kann, sich vor Kindern als Lehrer aufzuspielen. Deshalb sage ich: Bescheidenheit gehört zu den pädagogischen Grundtugenden.

Was hat Ihre eigene Kindheit geprägt?

Melancholie. Ich hatte ein wunderbares Elternhaus, war aber stets irgendwie von Trauer umflort. Und sehr schüchtern. Zugleich so selbstschädigend friedfertig, dass mein armer Vater, ein energischer Mann, oft aus der Fassung geriet. In der Jugend schlug meine Melancholie in einen ungeheuren Drang um, die Welt zu verändern und ich war ein derartiger Abenteurer, dass kein Stein auf dem andern blieb. Mit sechzehn wusste ich: Kinder würden mein Lebensthema sein.

Welches ist die Zielgruppe Ihrer Veranstaltungen in Linz?

Eltern, Erzieher, Lehrer, Heilpädagogen, Therapeuten in der Kinderarbeit, Kinderärzte … jeder, der einen kritischen Blick auf die pädagogische Landschaft schätzt, sich den Geist der Utopie bewahrt hat und keine Bauchschmerzen bekommt, wenn spirituelle Gesichtspunkte mit einbezogen werden.

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