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Klug wie Einstein, schön wie Heidi Klum

Von Von Alfons Krieglsteiner   16.November 2009

Es war eine ganze Lawine an ethischen Fragen, die die hochkarätigen Referenten vehement diskutierten. Die neuen Techniken, von der Präimplantationsdiagnostik bis zur Stammzelltherapie, versetzen die Medizin schon jetzt in die Lage, nicht nur das Erbgut zu untersuchen, sondern auch neue Therapien zu entwickeln. Deshalb ist es wichtig, klare Ziele und Grenzen zu setzen.

Einblicke in die „Zauberküche“ der Humangenetik gab der Linzer Markus Hengstschläger, Leiter der Abteilung für medizinische Genetik der Universität Wien. An dem von ihm mitbetriebenen Wiener „Wunschbaby-Zentrum“ werden mit Polkörperdiagnostik im Zuge der künstlichen Befruchtung jene Eizellen/Embryonen identifiziert, die aufgrund genetischer Veränderungen sicher keine Schwangerschaft auslösen können. Zu den Patienten zählen auch Paare mit Kinderwunsch, in deren Familien eine Krankheit gehäuft vorkommt und die nun wissen wollen, ob hinter der Krankheit genetische Ursachen stehen – und wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass auch bei den Kindern die Anlage für die Erkrankung vorhanden ist.

Bei der künstlichen Befruchtung entstehen manchmal mehr Embryonen, aus denen Stammzellen gewonnen werden können, die sich im Labor noch in alle 220 Gewebetypen des Körpers entwickeln können. In den USA, Großbritannien, Australien und vielen anderen Ländern werden aus solchen überzähligen Embryonen ganze Stammzell-Linien entwickelt, deren Import nach Österreich erlaubt wäre. Sie sind derzeit Gegenstand biotechnischer Methoden, um aus ihnen gesundes Gewebe für neue Therapien schwer kranker Patienten zu entwickeln.

Hengstschläger ist stellvertretender Vorsitzender der österreichischen Bioethik-Kommission (siehe unten). Sie hat sich mehrheitlich dafür ausgesprochen, diese „verbrauchende Embryonenforschung“ (der Embryo wird bei der Gewinnung von Stammzellen vernichtet) auch bei uns zu erlauben. Hengstschläger forscht aber intensiv an alternativen, den Embryo nicht schädigenden Methoden, etwa der Gewinnung der von ihm entdeckten Fruchtwasserstammzellen.

Nachwuchs nach Maß

Die ethischen Schranken für die Biowissenschaft sind von Staat zu Staat verschieden. In Großbritannien werden durch künstliche Befruchtung bereits „Heilgeschwister“ erzeugt, die Zeit ihres Lebens einem schwer kranken Geschwister gesunde Zellen zur Verfügung stellen sollen. Immer näher rückt der Moment, in dem Eltern ihr Kind nicht mehr nach genetischer Gesundheit, sondern nach genetischer Perfektion wählen können.

Das „Designerbaby“ der Zukunft, klug wie Einstein, schön wie Heidi Klum – es könnte bald Wirklichkeit werden. Betuchte Mütter müssten es nicht einmal selbst austragen. Diesen Job verrichten schon jetzt Leihmütter aus den Ländern der Dritten Welt.

„Die Steigerung der elterlichen Wünsche ist durch die Medizintechnologie selbst verursacht worden“, fasste Elisabeth Beck-Gernsheim, Medizinsoziologin an der Uni Erlangen, ihre Kritik an dieser Entwicklung zusammen. Dahinter stehe die mit der europäischen Säkularisation entstandene Aufwertung des Körpers, dessen Funktionieren nach dem Verlust des Glaubens an ein „ewiges Leben“ zum höchsten Gut geworden sei. Gesundheit sei heute Aufgabe des mündigen Bürgers, jede Beeinträchtigung senke den Marktwert.

„Genetisches Screening liefert heute jedem die Informationen über seine Krankheitsrisiken, sie sind Bezugspunkt der persönlichen rationalen Lebensführung geworden“, sagte Beck-Gernsheim. Die vorbeugende Sicherung der Gesundheit werde immer wichtiger. Der Begriff „Verantwortung“ expandiere, betreffe zunehmend auch die Bereiche Schwangerschaft und Elternschaft.

„Mit der Pille wurde Verhütung zur Pflicht des aufgeklärten Staatsbürgers“, sagte Beck-Gernsheim. Heute sei man nicht mehr nur für die Zahl der Kinder, sondern auch für die „Qualität“ des Nachwuchses verantwortlich. Immer mehr Mütter ließen Gentests am Ungeborenen machen, und nach der „Schwangerschaft auf Probe“ sei als nächster Schritt die „Zeugung auf Probe“ absehbar.

Als Folge dieses Hangs zur Perfektion diagnostizierten einige Referenten eine wachsende gesellschaftliche Unduldsamkeit gegen Eltern, die sich für ein behindertes Kind entscheiden. Mit Augenmerk auf den Veranstaltungsort Schloss Hartheim, in dem die Nazis mehr als 30.000 Behinderte ermordeten, stellte Volker Roelcke, Medizinhistoriker der Uni Gießen, die Frage: „Hat sich die moderne Humangenetik von den eugenischen Vorstellungen der Nazizeit wirklich gelöst?“

Die psychiatrische Genetik der 1920er-Jahre, die im Deutschen Reich als wissenschaftliche Basis für die Zwangssterilisation „Erbkranker“ diente, sei damals auch in den USA und Großbritannien eifrig betrieben worden. Auch die Denkweise heutiger Humanbiologen sei von latenten eugenischen Vorstellungen geprägt. Den Anteil positiv bewerteter Erbanlagen zu vergrößern und negativ bewerteter zu verringern, sei wieder das Ziel.

„Die Idee der genetisch aufgebesserten Folgegeneration steht im Raum“, sagte Erika Feyerabend vom deutschen „BioSkop-Forum zur Beobachtung der Biowissenschaften“. Da werde ein Leben mit Behinderung zunehmend begründungspflichtig und ein Leben mit chronischer Krankheit erklärungspflichtig. Das zeige die jüngste Aussage des britischen Premiers Gordon Brown. Er fordert den Ausbau der Präventionsmedizin. Nach dem Motto: Kostenlose Behandlung nur noch für Bürger, die das Rauchen aufgeben, abnehmen, Sport treiben und pünktlich zum Behandlungstermin erscheinen.

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