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9/11 - Als New Yorks älteste Kirche zum Feldlazarett wurde

Von nachrichten.at/apa, 11. September 2021, 00:04 Uhr

Die Erlebnisse vom 11. September 2001 wühlen ihn bis heute auf. Father Madigan war damals Pfarrer nahe dem Ground Zero. Ein Rad des zerborstenen Flugzeugs landete auf seinem Kirchendach. Mit dem Altartuch wurden Verletzte verbunden.

Father Kevin Madigan (65) zieht es nur noch selten zur Sankt-Peter-Kirche, einen Steinwurf von "Ground Zero" entfernt. Schon gar nicht vor dem 20. Jahrestag des 11. September, dem der ehemalige Pfarrer mit Unbehagen entgegensieht. Wie jedes Jahr, wenn die Temperaturen sinken, der Himmel blauer wird und sein Posteingang mit Interview-Anfragen überläuft.

Der hagere Priester bittet darum, zum Pfarrhaus seiner neuen Gemeinde auf der Upper East Side zu kommen - weit genug entfernt von dem Gotteshaus in Downtown Manhattan.

Er komme nur noch in die Nähe von "Ground Zero", wenn er zu seinem Arzt gehe. Ansonsten habe er einmal das offizielle "9/11 Museum" besucht, das vor zehn Jahren zusammen mit dem Denkmal für die 2.735 Opfer die Pforten öffnete. Father Madigan verfolgen "die Erinnerungen an diesen Tag", wühlen ihn immer wieder neu auf. "So nah bin ich noch nie dem Tod davongekommen", sagt der heutige Seelsorger von St. Thomas Morus und ist plötzlich wieder mittendrin.

Er hört im Beichtstuhl den Aufschrei der Sekretärin nach dem Einschlag der ersten Boeing 767 in den nördlichen der beiden Zwillingstürme des World Trade Center. Er sieht sich auf der Church Street stehen und ungläubig emporschauen, wie alle anderen. Und zuckt zusammen, als ein Rad vom Fahrwerk des zweiten Flugzeugs, das sich wie eine Rakete in den Südturm bohrte, über seinen Kopf hinweg auf dem Dach der Kirche landet. Etwas knallt gegen die Mauer und macht ihn nass.

Father Madigan greift nach dem Öl für die Sterbesakramente, um sie mit einem anderen Priester und Polizisten zu den Opfern zu bringen, die am Hudson River versorgt werden. Als das schaurige Grollen den Kollaps des ersten Wolkenkratzers ankündigte, suchte er geistesgegenwärtig Schutz in einem U-Bahn-Schacht am Ende der E-Line. Er sah noch die oberen Etagen des Südturms einsacken, bevor er sich an die Wand presste. "Wir hatten Glück, weil der Eingang weniger als zehn Meter entfernt lag", beschreibt Father Madigan die dramatischen Momente. "Ich war darauf eingestellt zu sterben und betete, dass es schnell gehen möge."

Am Nachmittag des 11. September kehrte er zu St. Peter zurück, die eine lange stolze Geschichte hat. 1795 gegründet, ist sie die älteste katholische Kirche New Yorks und Heimatgemeinde der ersten im Land geborenen Heiligen, Elizabeth Ann Seton. Am Fuße des Altars lag Father Mychal aufgebahrt, den nicht nur die Feuerwehrleute wie einen Heiligen verehrten. Der Franziskaner war bei seinem Einsatz als Feuerwehrkaplan im Nordturm ums Leben gekommen. Das offizielle "Opfer Nummer eins".

Aber bei weitem nicht der einzige Tote, den Einsatzkräfte nach St. Peter gebracht hatten. 34 weitere Leichen lagen auf dem Marmorboden der Kirche, während draußen unter den Säulen im Eingangsbereich Verletzte auf Hilfe warteten. "Die Kirche hatte sich sprichwörtlich in das Feldlazarett verwandelt, von dem Papst Franziskus einmal gesprochen hat", beschreibt Father Madigan, wie seine Gemeinde binnen Stunden eine neue Bestimmung fand: Logistikzentrum für die Rettungshelfer, Leichenhalle und Sammelpunkt für die Verletzten.

St. Peter blieb ein Ort des Gebets und Pilgerstätte für die Bergungsarbeiter, die unter einem an "Ground Zero" gefundenen Stahlkreuz die Messe feierten. Father Madigan erlaubte, das 9/11-Kreuz an der Außenmauer hin zur Church Street anzubringen. Es blieb dort, bis es seinen Platz im nationalen 9/11-Museum fand. An seiner Stelle hängt heute ein modernes Kreuz als katholisches Denkmal des 11. September.

Father Madigan erinnert sich, wie ein paar Tage nach den Anschlägen ein jüdischer Arzt in die Kirche kam, um sich bei dem Pfarrer dafür zu entschuldigen, dass er mangels Verbandsmaterialien Altardecken aus St. Peter in Streifen schnitt, um Wunden zu verbinden. Father Madigan rührt die Geschichte bis heute an. "Er hat Gottes Liebe mit den Menschen geteilt", sagt er über den Arzt. "Genau darum geht es in unserem Glauben."

Wenn ihn Leute danach fragen, wo Gott am 11. September war, teilt der Priester noch eine andere Beobachtung, die seinen Glauben gestärkt habe. Ihm fiel auf, dass keine Nachricht der Verzweifelten in den Zwillingstürmen auf den Anrufbeantwortern ihrer Lieben hasserfüllt war. Kein einziger habe Rache verlangt. "Alle sprachen über ihre Liebe und wie sie geliebt wurden."

Gemessen an dem letzten Wunsch der Opfer seien viele Dinge falsch gemacht worden. Father Madigan meint den "Wunsch nach Rache", der die Kriege in Afghanistan und Irak gebracht habe. "Den Hass gegen Muslime", der verhinderte, dass eine Straße weiter von St. Peter das islamische Zentrum "Park51" gebaut werden konnte. "Das wäre ein wichtiges Signal für Versöhnung gewesen." Und er bedauert die tiefen Verwerfungen in der eigenen Gesellschaft 20 Jahre nach dem 11. September.

Der katholische Priester bleibt dennoch optimistisch. Er habe bei seiner Rückkehr in die verwandelte Kirche unter einer Jesusstatue eine leere Schmuckkassette gefunden. "Es sah so aus, als wären dort zwei Ringe drin gesteckt", erinnert er sich an die Box. Vielleicht habe das Paar gedacht, es überlebe den Tag nicht. "Das letzte, was sie tun wollten, war einander ihre Liebe vor Gott zu bezeugen."

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