Lade Inhalte...
  • NEWSLETTER
  • ABO / EPAPER
  • Lade Login-Box ...
    Anmeldung
    Bitte E-Mail-Adresse eingeben
    Bitte geben Sie Ihre E-Mail-Adresse oder Ihren nachrichten.at Benutzernamen ein.

Wie gelingt Familie? "Wir müssen uns vom Perfektionismus verabschieden"

Von Barbara Rohrhofer   14.Mai 2019

88 Prozent der österreichischen Jugendlichen fühlen sich gestresst – vom Leistungsdruck in der der Schule genauso wie vom Zusammenleben in der Familie. Das ergab eine aktuelle Studie vom Institut für Jugendkulturforschung im Auftrag von SOS-Kinderdorf. "Der hohe Stress-Level hat uns überrascht", sagt Clemens Klingan, Geschäftsführer von SOS-Kinderdorf im Rahmen eines Runden Tisches, zu dem die OÖNachrichten anlässlich des "Tages der Familie" luden. Das Thema der hochkarätig besetzten Talkrunde: "Was Familien stark macht."

 

OÖN: Das Thema Schule dominiert oft das Familienleben, viele Eltern müssen viel für den Schulerfolg ihrer Kinder tun. Das macht Stress. Hat das Schulsystem hier Mängel?

Andreas Girzikovsky: Ich als Schulpsychologe der Bildungsdirektion muss zugeben, dass die gesellschaftlichen Veränderungen die Schule überholt haben. Wir bräuchten viel mehr Psychologen und Sozialarbeiter, denn die Schule sollte eigentlich die Konstante sein in einer Welt der Veränderungen, in der sich die Kinder und Jugendliche zurechtfinden müssen. Die Schule muss zudem heute sehr oft auch Erziehungsaufgaben übernehmen.

Günther Bliem: Das Problem, das ich als Psychotherapeut sehe, ist, dass viele Eltern versuchen, die besten Freunde ihrer Kinder zu sein. Das macht den jungen Menschen Stress, denn wenn es keine Autorität mehr gibt, müssen sie ihr Leben sehr früh selbst managen, und das können sie nicht.

Wie wichtig ist das Geld? Kann man sich Familie im Jahr 2019 überhaupt noch leisten?

Reinhold Rampler: Natürlich haben die sozioökonomischen Belastungsfaktoren einen Einfluss darauf, wie gestresst eine Familie ist. Darunter fallen zum Beispiel die steigenden Wohnungspreise in Oberösterreich. Besonders betroffen – das sehen wir in der Abteilung Kinder- und Jugendhilfe beim Land Oberösterreich – sind Alleinerziehende und Familien mit mehr als zwei Kindern. Hier erhöht sich das Armutsrisiko spürbar. Man muss aber auch die andere Seite der Medaille sehen: Nicht selten sind es auch die überhöhten Ansprüche, die Eltern an sich selbst und an das Leben stellen. Die Frage ist, wofür geben wir Geld aus – und muss es unbedingt jedes Jahr eine Fernreise sein? Es muss uns bewusst sein, dass Kinder eine Investition sind und auch manchmal Verzicht bedeuten.

Was braucht es abseits vom Materiellen, dass Familienleben gut gelingen kann und aus Kindern starke Erwachsene werden?

Andrea Holzer-Breid: Familien brauchen vor allem zwei Dinge: Zeit und Struktur. Das zeigt sich in unseren Beratungsstellen bei BeziehungLeben.at. Es muss Zeit sein, zu spielen, gemeinsam zu essen, zu diskutieren. Es ist in jedem Alter eines Kindes wichtig, dass jemand da ist, auf den es sich verlassen kann – Erziehung endet nicht mit 14 Jahren und muss sich immer wieder auf die Entwicklungsphasen einstellen. Auch wenn es abgedroschen klingt: Eltern müssen klare Grenzen setzen und die Richtung vorgeben. Vor allen Dingen ist es wichtig, dass sich die Eltern selbst erwachsen verhalten. Erst dann können sie ihren Kindern Halt vermitteln.

Was tun, wenn Probleme auftauchen?

Andrea Holzer-Breid: Hilfe suchen und zwar nicht erst, wenn die Schwierigkeiten riesengroß sind. Da gibt es zum Glück sehr viele Angebote, die von den Oberösterreichern auch in Anspruch genommen werden. Früher war das eher noch ein Tabu, heute ist es Gott sei Dank normal geworden, sich helfen zu lassen – und nicht zu warten, bis zu viel zerbrochen ist.

Was könnte Familien konkret entlasten?

Clemens Klingan: Wir vom SOS-Kinderdorf haben da drei konkrete Ideen: Es wäre wünschenswert, dass Eltern mit minderjährigen Kindern eine Woche mehr Urlaub bekommen. Zudem sollten Unternehmen mittels steuerlicher Anreize familienfreundlicher werden – zum Beispiel durch die Einrichtung von Betriebskindergärten. Recht einfach umzusetzen wäre, wenn Kinder ihre Eltern einmal einen Tag in der Arbeit besuchen könnten. Dann würden sie sehen und vielleicht besser verstehen, wie der berufliche Alltag von Mama und Papa ausschaut.

 

Jugend zwischen Leistungsstress und Zeitmangel

14 bis 18-Jährige sehnen sich nach mehr Familienzeit. Das hat eine von SOS-Kinderdorf beauftragte Umfrage ergeben. Fast jeder Dritte gab an, dass „daheim nicht genug Zeit für gemeinsame Mahlzeiten“ sei. Vielen Jungen fehlt auch „die Chance, über Wichtiges oder auch Alltägliches zu reden“.

38 Prozent empfinden es als belastend, wenn ihre Eltern gestresst von der Arbeit nach Hause kommen. Besonders unter Mädchen ist die Sorge groß, selbst einmal in das vorgelebte „Hamsterrad“ zu geraten.
54 Prozent klagten über hohen Leistungsdruck in Schule oder Ausbildung. 31 Prozent fühlten sich hier zusätzlich von den Eltern angetrieben.

Zukunftsängste: „Schule und Ausbildung nehmen einen hohen Stellenwert im Familienalltag ein“, sagt Studienleiterin Raphaela Kohout vom Institut für Jugendkulturforschung. Die Anforderungen der Erziehungsberechtigten würden „stark mit Zukunftsängsten zusammenhängen“. So berichteten fast 46 Prozent von ihrer „Angst, im Leben nichts zu erreichen“. Dabei wünsche sich die Mehrheit für später in erster Linie existenzielle Absicherung und kein Luxusleben.

copyright  2024
19. April 2024