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Warum gutes Kalbsfleisch nicht weiß sein muss

Von Philipp Braun   30.April 2022

Weiß kann für vieles stehen: für Unschuld, für Reinheit und für Ordnung. In der Gastronomie galt helles Kalbfleisch lange Zeit als Qualitätsmerkmal und als Delikatesse. Über Tierwohl machten sich nur wenige Gedanken. Das sollten sie aber. Denn nur, wenn es dem Kalb gut geht, freut das den Tierfreund – und den verantwortungsvollen Gourmet.

Um darüber urteilen zu können, betrachtet man vorab den Weg der Kälber. Eine heimische Milchkuh bringt in ihrem Leben vier Kälber auf die Welt. Die weiblichen entwickeln sich zur Milchkuh oder zur Zuchtkalbin, die im Ausland zum Aufbau der Milchproduktion verwendet wird. Der Weg der männlichen Kälber ist wesentlich kürzer. Entweder werden sie als Mastkalb mit einem halben Jahr, als Maststier oder als Ochse mit maximal zwei Jahren geschlachtet. Oder sie treten die Auslandsreise an. Vorzugsweise nach Spanien oder Italien.

70 Prozent des in Österreich konsumierten Kalbfleisches hingegen wird importiert, meistens aus den Niederlanden mit oft wahnwitzig vielen Kilometern auf dem Buckel und mit Haltungsbedingungen, die eher an ein Gefängnis als an artgerechte Ställe und frische Almwiesen erinnern.

Der Bauer und der Häftling

"Wenn ich mir die Haltung von Tieren anschaue, sehe ich wenig Unterschied zwischen Gefängnissen und den Ställen, in denen Schweine, Rinder, Kälber, Hühner oder Gänse dahinvegetieren", schreibt der Lungauer Bio-Bauer und Fleischhauer Hannes Hönegger in seinem Buch "Das goldene Kalb. Ein Plädoyer für Tierwohl und nachhaltige Landwirtschaft".

Die Farbe des guten Geschmacks
Bries "Altwien", klassisch gebacken, gelingt bei Andreas Döllerer besonders exquisit.

Hönegger kennt die dunkle Seite des Lebens. Zweieinhalb Jahre verbüßte er im Hochsicherheitstrakt von Garsten. Eine harte Schule, wo er jedoch zum Fleischer ausgebildet und beseelt wurde, Menschen über Qualität aufzuklären.

Ein Aspekt ist die Farbe des Kalbfleisches. Sie hängt von mehreren Faktoren ab: Rasse, Geschlecht, Hämoglobinwert im Blut, Schlachtalter und Gewicht sowie Fütterung. "Aus unerfindlichen Gründen gilt das helle Fleisch der Kälber als besonders hochwertig und begehrenswert. Kälber mit hellem Fleisch leiden jedoch an Eisenmangel, haben oft zu wenig Tageslicht und dürfen nicht auf die Weide", sagt Hönegger.

Würden Kälber zusätzlich zur Muttermilch Raufutter wie Heu oder Gras fressen, färbte sich das Fleisch der Kälber aufgrund des Eisengehalts im Futter rot. Das stärkt das Immunsystem. Doch dunkles Kalbfleisch ist unerwünscht. Deswegen füttern manche Betriebe ihre Tiere mit Milchaustauschern – ein Produkt der Industrie aus Wasser, Palmöl, Eiweiß- und Molkepulver. Die Aufzucht mit echter Milch, wie es der Natur entsprechen würde, wäre zu teuer. Eine fatale Milchmädchenrechnung: Für den Bauern rentiert es sich, die Milch statt zu verfüttern an die Molkerei zu verkaufen, dafür bleiben Tierwohl und Geschmack auf der Strecke; ein hochindustrialisiertes Agrarsystem bedient einen ausgeprägten Konsumismus.

Die Farbe des guten Geschmacks
Kalb ist mehr als ein Schnitzel. Geräucherte Zunge und Lebereis, zubereitet von Vitus Winkler aus St. Veit/Pongau.

Weiß und der Preis

Hönegger wird wütend, wenn er den Preisverfall und das damit verbundene Tierleid mitansieht. Hoffnung schöpft er aus der Arbeit mit Verbündeten in der Gastronomie. Sechs der elf besten Köche Österreichs beliefert er mit seinem Fleisch. Köche, denen Qualität, Geschmack und Tierwohl wichtiger sind als eine helle Farbe. Es sind Köche, die sich vor neun Jahren zum Verein Koch.Campus zusammengeschlossen haben und sich bewusst mit Bauern und Handwerkern vernetzen, um die Qualität weiterzuentwickeln.

Für die Grandsigneurs der Küche besteht Kalb ohnehin aus mehr Teilen als nur aus einem Schnitzelfleisch. Sie verkochen Bries und Hirn genauso virtuos wie Schlepp und Schulter. Eine Nose-to-tail-Philosophie, die eine Antithese zum globalen Einheitswahn darstellt. 65 Prozent des Kalbfleisches landen laut Hönegger übrigens in der Tierkörperverwertung oder im Hundefutter, weil wenig Köche imstande sind, alles zu verwerten und dem Gast schmackhaft zu machen.

Die Farbe des guten Geschmacks
Brust, Binkel, Ächtleng und Hirn – eine kulinarische Offenbarung von Josef Steffner aus Mauterndorf

Andreas Döllerer ist eine Ausnahme. Er ist ein begnadeter Koch. Natürlich souffliert er auch ein Kalbsschnitzel in der Pfanne, wie es nur wenige können. Doch Döllerer versteht es ebenso, mit gebackenem Bries, gebratenen Milchkalbsnieren oder Karotten im Nierenfett anspruchsvolle Gourmets zu verzaubern. Kalbsnierenbraten gelingt bei ihm saftig und gilt innerhalb seiner Familie als Festessen. "Meine Nichte wünschte sich Kalb zur Hochzeit", sagt er erfreut. Doch im selben Moment zeigt sich der Koch besorgt. "Was aktuell passiert, macht mich traurig. Wir vom Koch.Campus wollen etwas dagegen tun und andere Wege aufzeigen, die man gehen kann."

Also lud der Verein 100 verantwortungsvolle Gourmets, Köche und Produzenten nach Golling und in die Wildshut-Brauerei ein, um aufzuklären. In einer Blindverkostung probierten die Teilnehmer neun verschiedene Tatars und Kurzgebratenes und begutachteten die rohen Schlögel. Zwei waren aus dem Ausland, der Rest aus Österreich, konventionell und bio.

Die Farbe des guten Geschmacks
Andreas Döllerer, Vier-Hauben-Koch aus Golling

In der Blindverkostung war heimisches Bio-Kalb den anderen sensorisch überlegen. Das holländische Mastkalb, ein wässriges, labbriges, geschmackloses, aber helles Fleisch landete auf dem letzten Platz. Für Hönegger eine Bestätigung, dass derartige Importware geschmacklich nicht mithalten kann. Auch nicht was das Tierwohl betrifft. Bio ist für ihn kein Trend, sondern sollte die längst fällige Rückkehr zur Normalität sein. Vorausgesetzt, es behält seine kleinen Strukturen und nimmt keine industriellen Muster an. Denn dann zählt nur noch der Preis.

"Wo der Preis diktiert, geht es auf Kosten der Lebensqualität, egal ob wir von Hühnern, Schweinen oder Rindern reden", schreibt Hönegger. Es ist der Preis für weißes Fleisch.

Buchtipp: Der Lungauer Bio-Bauer und Fleischer Hannes Hönegger erzählt eine packende Geschichte, wie er es vom Sträfling zum Vorzeigebauern schaffte und dem Kalb mit Wertschätzung begegnet. Viele Rezepte "from nose to tail". Hannes Hönegger: "Das goldene Kalb", Brandstätter Verlag, 208 Seiten, 35 Euro

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