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Fermentation: Sex des Alterns

Von Philipp Braun   30.September 2017

Der erste Eindruck entscheidet. In der Liebe ist es so. Bei fermentierten Lebensmitteln benötigt es zusätzlicher Annäherungsversuche, um Gemüse in das Genießerherz zu schließen. Denn fernab von der aromatischen Qualität von Sauerkraut, Sojasauce, Kimchi und Co fehlt den Lebensmitteln oft der olfaktorische Liebreiz.

Zudem versprüht der Begriff Fermentation wenig phonetische Eleganz. Es klingt hölzern und sperrig. Wer sich über die Begriffsdefinition ans Eingemachte wagt, wird ebenso wenig Knisterndes vorfinden. "Fermentierung (lat. fermentum: "Sauerteig") bezeichnet in der Biotechnologie die Umsetzung von biologischen Materialien mit Hilfe von Bakterien-, Pilz- oder Zellkulturen oder durch Zusatz von Enzymen (Fermenten)."

Für Phobiker ein Horrorszenario. Im Zeitalter von Desinfektionsmitteln, Sterilität und Antibiotikaeinsatz gelten Bakterien als Feinde und werden an allen Ecken und Enden bekämpft. Eigentlich schade.

Friede sei mit euch

Erst aus einer pazifistischen Grundhaltung heraus wird das aromatische Reich geöffnet. Wenn die Bakterien auf Hochdruck arbeiten, entfalten sich durch Fermentierung Geschmackskomponenten, die mittels gewöhnlicher Zubereitungsmethoden nicht möglich wären. "Man kreiert eine Säure, die man sonst nicht hinbekommt. Die herkömmlichen Zubereitungsarten sind beim Gemüse begrenzt. Man kann es kochen oder trocknen. Wenn man Gemüse fermentiert, holt man das absolute Potenzial heraus und erzeugt neue Geschmackskompositionen", sagt der Oberösterreicher Philipp Inreiter, der das Ramen-Lokal "Slurp" in Kopenhagen betreibt.

Fermentation: Der Sex des Alterns
"Mit fermentiertem Gemüse kann man das absolute Potenzial herausholen.“ Philipp Inreiter, oberösterreichischer Spitzenkoch, arbeitet in Kopenhagen

In Philipps Vita stehen die weltweit besten gastronomischen Adressen. Nach Stationen im Eleven Madisson Park in New York (laut "San Pellegrino Liste" aktuell Nummer eins der Welt), und dem Drei-Sterne-Restaurant RyuGin in Japan erfolgte ein sechsmonatiges Praktikum im Noma, welches viermal als weltbestes Restaurant ausgezeichnet wurde. Für Inreiter ist Fermentation ein breites Thema der Gastronomie. "Man entdeckt immer etwas Neues. Sauerkraut wird zur Salami des Gemüses. Durch die Reife entwickeln sich ganz andere Aromen." Doch schränkt der Koch ein, dass man etwas Erfahrung mitbringen müsse. "Ein Kochbuch kann eine Anleitung geben, aber Fermentation ist oft unvorhersehbar und kommt einem ‚Trial and Error‘ gleich." Für Experimentierfreudige sei es eine hervorragende Technik."

Gemüse, Salz und Zeit

Die Formel für Fermentation ist leicht zu merken. Neben Gemüse benötigt man Salz, um die unzähligen Milchsäurebakterien in deren Vermehrung zu unterstützen. Das Gemüse wird klein geschnitten und in ein Glas gegeben. Danach fügt man peu à peu ausreichend Salz hinzu und stampft das Gemüse in regelmäßigen Abständen. Es entsteht eine Lake, was Milchsäurebakterien besonders gern haben. Deren Futter sind die Faser- und Ballaststoffe von Karotten, Kohl und Co, die verstoffwechselt werden. So simpel das im ersten Moment klingen mag, ein paar Grundregeln sind zu befolgen: Hygiene ist wichtig. Die Gläser und das Gemüse müssen gewaschen sein. Kühle und dunkle Lagerung, luftdichter Verschluss erleichtern den Mikroben die Arbeitsbedingungen. Weiters ist es besser, auf ökologisch produziertes Gemüse zu vertrauen, da sich darauf wesentlich mehr Milchsäurebakterien befinden, die den Fermentierprozess erleichtern.

Wenn die Regeln eingehalten werden, sind der Kreativität keine Grenzen gesetzt. In Japan und in Skandinavien ist man den Österreichern diesbezüglich etwas voraus.

Es wird wieder Zeit

Vieles der alten Technik scheint bei uns verlorengegangen zu sein, wenngleich es aktuell trendig ist, den Reichtum der Ernte für die kühlen Tage aufzubewahren, Gemüse lange haltbar zu machen und damit die eigene Speisekarte aufzupolieren. Im Restaurant Noma, welches Ende des Jahres in Kopenhagens alternativem Stadtteil Christiania neu eröffnet wird, arbeitete man in einem "Science Bunker" mit verschiedenen Fermentationstypen und entwickelte mehr als 100 Saucen und Pasten. Im neuen Noma wird erneut ein Wissenschaftslabor eingerichtet, um sich noch intensiver mit dem Thema zu beschäftigen und vielleicht Mikroben zu finden, die bis dato noch nicht in der Fermentation eingesetzt wurden.

Privates Geschmackslabor

Man benötigt aber keinesfalls eine Universität, um Pilze, Bakterien und Hefen einzusetzen. Sandor Ellix Katz ist "Food-Aktivist", Buchautor und Vertreter der DIY (Do it yourself)-Küche. Mit seinem Bestseller "Die Kunst des Fermentierens" bietet er den arbeitswütigen Mikroben eine Bühne und stellt die alte Konservierungstechnik in ein neues Licht.

Anders als früher geht es heute um viel mehr, als sich einen Gemüsevorrat für die kalte Jahreszeit anzulegen, um mit reichlich Vitaminen versorgt zu sein. Mit Hilfe der Fermentierung entwickeln sich neue Aromen, Gerbstoffe werden abgebaut und die Struktur wie auch die Inhaltsstoffe verändern sich zum Positiven. Wenn man sich der Technik annimmt, heißt es nur noch: Pfeile spitzen, und mit fermentiertem Gemüse in die Herzen der Genießer treffen. Also Amor und Bakterien – macht euch an die Arbeit!

 

So fermentiert man:

  1. Gemüse wird fein geschnitten. Am besten eignen sich Bio-Lebensmittel, da sich darauf wesentlich mehr Milchsäurebakterien befinden, die den Fermentierungsprozess erleichtern.
  2. Danach bereitet man eine Salzlake zu. Achtung: zu viel Salz verlangsamt den Prozess. Als Faustregel gilt: Für einen Liter Wasser nimmt man 25 bis 50 Gramm Salz.
  3. Das klein geschnittene Gemüse wird in ein sauberes Glas geschichtet. Hygiene ist sehr wichtig. Zusätzliche Gewürze und Kräuter bringen köstliche Aromenvielfalt.
  4. Das Gemüse wird schichtweise ins Glas gegeben und mit der Salzlake übergossen. Am besten mit der Hand niederdrücken, damit keine Luftlöcher bleiben.
  5. Die Lake muss über dem Gemüse stehen. Die fleißigen Milchsäurebakterien wandeln Stärke und Zucker in Milchsäure um und bewirken längere Haltbarkeit. Mahlzeit.

Schweinsgyoza mit fermentiertem Selleriesaft

Von Philipp Inreiter

Zutaten: 2 kg Schweinsfaschiertes, 1,8 kg Kohl, 100 g Frühlingszwiebel, 30 g Knoblauch 40 g Ingwer, 84 g Salz, 75 g Sesamöl, 78 g Sake, 120 g Reisessig 120g Öl, 4 g schwarzer Pfeffer gemahlen

Schweinsgyoza mit fermentiertem Selleriesaft
Schweinsgyoza mit fermentiertem Selleriesaft

Zubereitung: Sake kurz aufkochen und Alkohol abbrennen. Zwiebel und Knoblauch in Öl anschwitzen, Kraut sehr fein schneiden, mit Fleisch, gehacktem Ingwer und den restlichen Zutaten gut vermischen.
Teig beim Asiaten besorgen.
Sellerie schälen, entsaften, Saft und 1 Prozent Salz für ca. 5 bis 6 Tage im Rexglas oder Vakuumbeutel fermentieren, hängt von der Raumtemperatur ab.
Gyoza füllen und nach Vorliebe dämpfen, kochen, dünsten, braten, frittieren.
In kleine vorgewärmte Schüsseln zwei Esslöffel fermentierten Selleriesaft, und drei Gyoza geben.
Die Säure vom Selleriesaft harmoniert perfekt mit den fettigen Gyoza.

Tipp: Mit dem Löffel essen!!

Fermentierte Karottensticks mit Ingwer

Rezept: Landwirtschaftskammer OÖ

Zutaten: 1 kg Karotten, 1,5 l Wasser und
40 g Salz, 1 EL gehackter Ingwer. Zum Abdecken: Wein-, Himbeer-, Kren- oder Johannisbeerblätter nach Belieben

Zubereitung: Karotten schälen, Enden abschneiden und so vierteln und schneiden, dass sie senkrecht in ein Glas passen. Für die Lake Wasser mit Salz verrühren, bis sich das Salz vollständig aufgelöst hat.
Die Karotten mit dem Ingwer dicht in ein Glas schlichten, mit Blättern abdecken und mit der Lake übergießen.
Beschweren und locker mit Deckel oder Tuch abdecken. Bei Zimmertemperatur (18 bis 23 Grad) drei bis sieben Tage fermentieren. Dann an einem kühleren Ort noch ein bis zwei Wochen reifen lassen, bis die Karotten den gewünschten Geschmack haben. Die fertigen Karotten im Kühlschrank aufbewahren.
Nach diesem Grundrezept kann anderes buntes Gemüse (Karfiol, Zucchini, Gelbe Rüben) eingelegt und mit Dipsauce serviert werden.

 

Die Kunst des Fermentierens (Sandor Ellix Katz)

Der Amerikaner Sandor Ellix Katz gilt als Wiederentdecker des Fermentierens, sein Buch als die dazu passende Bibel. Von der New York Times wurde er als „Rockstar der amerikanischen Ernährungsszene“ benannt, der Journalist Michael Pollan sieht in Katz und der Fermentierung die Antwort auf die industrielle Nahrungsmittelproduktion. „Die eigenen Lebensmittel zu fermentieren, ist so etwas wie ein eloquenter Protest der Sinne gegen die Homogenisierung von Aromen und Ernährungspraktiken, die sich wie ein riesiger, undifferenzierter Rasen über den Globus wälzt“, schreibt Pollan. Das Buch von Katz ist mit über 600 Seiten sehr umfangreich und das beste Nachschlagewerk, wenn es um anwendbare Techniken, Hintergrundwissen und Anekdoten geht. Das „Lexikon“ kann jedoch nur ein Wegbegleiter sein. Denn bei der Fermentierung ist das tägliche Tun, und die Freude am Experimentieren unerlässlich, um sich den alten Traditionen wieder annähern zu können.

Kochkurs: Den Geschmack vom Sommer einfangen, und auf die kalte Jahreszeit vorbereitet sein – die Landwirtschaftskammer Oberösterreich greift den Trend auf und bietet dazu Kurse an: Welches Gemüse eignet sich, welche Gefäße, welche Gewürze werden verwendet? Gemeinsam wird mit den Seminarbäuerinnen gehobelt, eingesalzen und eingestampft. Vom klassischen Sauerkraut bis zum trendigen Kimchi.

Angenehmer Nebeneffekt: Fermentiertes Gemüse ist reich an Vitaminen, Mineralstoffen, Enzymen, Probiotika. Es ist besser verdaulich, lange haltbar, und zeichnet sich durch köstliches Aroma aus.

Anmeldung und Info: LFI-Kundenservice, 4021 Auf der Gugl 3, Telefon 050/6902-1500, Fax 050/6902-91500, info@lfi-ooe.at Kursnummer: 3329i

 

„Die Kunst des Fermentierens“ von Sandor Ellix Katz:

gebunden, 621 Seiten, 32-seitiger Farbbildteil, Kopp Verlag
ISBN-13: 9783864452376, 29,95 Euro

 

 

 

 

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20. April 2024