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Der Kult ums Essen - Der Verzicht als Ausdruck von Individualität

Von Von Roswitha Fitzinger und Philipp Braun   21.März 2015

Das Brot ohne Gluten, Kaffee mit Sojamilch, das Mittagessen Low Carb, das Dinner überhaupt gecancelt – wer die heutigen Essensgewohnheit betrachtet, wird feststellen: Es geht häufig um Verzicht und ganz selten um Genuss. Essen ist mittlerweile das gesellschaftliche Thema schlechthin: Bücher und Ratgeber zu diversen Kostformen boomen, noch nie wurden so viele Bilder übers Essen in den sozialen Netzwerken verbreitet (Foodies).

Keine Bestellung im Restaurant ohne Sondewünsche. Wer beim Essen wählerisch ist, gilt nicht mehr als heikel, sondern bringt seine Individualität zum Ausdruck. "Wir werden immer stärker zu Ernährungsindividualisten", sagt Susanne Schäfer. Sie hat über die heutigen "Ernährungshysterien" ein Buch geschrieben und plädiert für einen gelasseneren Umgang mit Essen. Derzeit sei jedoch das Gegenteil der Fall: Einfach nur essen, weil es schmeckt und satt macht, das war gestern, sagt sie: Essen stifte Identität. Wie man sich ernährt, sage etwas über einen aus, diene der Abgrenzung zu jenen, "die sich Pommes und Currywurst holen". Hinzu komme eine moralische Bewertung. "Wir leben in einer körperfixierten Zeit, in der Gesundheit als gesellschaftliches Ideal schlechthin gilt", so Schäfer. Wer die Gesundheit durch Trinken, Rauchen, Dicksein aufs Spiel setze, gelte schnell als asozial. "Kein Wunder, dass immer mehr ihr Heil in Rohkost, Sojamilch und glutenfreiem Brot suchen."

Frei von ... Genuss?

Die einen ernähren sich vegan, andere vegetarisch, flexitarisch oder wie die Menschen in der Steinzeit. Wer isst heute noch normal?, ist man versucht zu fragen. Für Ernährungswissenschafterin Theres Rathmanner hat diese Vielfalt an Ernährungsformen auch damit zu tun, dass wir im Gegensatz zur Nachkriegsgeneration die Frage nach dem Genug beim Essen nicht mehr stellen müssen. Das führt dazu, dass man sich mehr Gedanken macht, was man isst. Das sei per se nicht schlecht, nur sollte man es nicht übertreiben. Vor allem die Furcht vor Nahrungsbestandteilen wie Laktose oder Glukose, die die Menschen seit Jahrtausenden zu sich nehmen, halte sie vielfach für bedenklich. "Dadurch bekommt Essen eine krankmachende Komponente". Dabei sei ein entspannter Genuss einer der wichtigsten Aspekte beim Essen.

Der Aufstieg des Essens zum gesellschaftlichen Thema ist für Rathmanner jedoch kein Phänomen der letzten Jahre. Vielmehr habe dies in den 80er-Jahren begonnen, als Schlanksein und Diäten in Mode kamen. Die damit einhergehende Low-fat-Phase sei schließlich abgelöst worden durch die Low-carb-Phase. Derzeit seien "Frei von ..."-Lebensmittel der "riesengroße Trend". Dabei wird zunehmend das propagiert, was nicht enthalten ist (Gluten, Zucker etc.)

Vegetarisch: Verzicht auf Fleisch

Vegetarier essen ausschließlich oder vorwiegend Lebensmittel pflanzlichen Ursprungs. Es gibt diverse Unterformen: Ovo-Lacto-Vegetarier essen werder Fleisch noch Fisch, aber Eier und Milchprodukte. Lacto-Vegetarier essen weder Fleisch noch Fisch und Eier. Prescetarier verzichten auf Fleisch, essen aber Fisch, Honig, Eier oder Tiermilch.

Bewertung Rathmanner: "Als Dauerkostform ist eine Bedarfsdeckung möglich und die Gefahr von Nährstoffmängeln geringer als bei einer veganen Ernährung. Kann eine Kostform für Kinder sein, explizit empfehlen würde ich sie nicht. Völlig unausgewogen ernähren sich Pudding-Vegetarier, die kein Fleisch essen, aber viel Mehlspeisen. Sie bewerte ich mit nur einem Stern."

Low Carb: Minimierung der Kohlenhydrate

Kohlenhydrate gehören neben Fett und Eiweiß zu den Hauptbestandteilen unserer Nahrung und werden vom Körper zur kurzfristigen Energiegewinnung genutzt. Der Körper ist auf Kohlenhydrate nicht zwingend angewiesen, auch ohne kann der Nährstoffbedarf ausreichend gedeckt werden. Dennoch gilt diese Kostform als unausgewogen. Das Prinzip: Der Anteil der Kohlenhydrate (Zucker und Stärke) wird reduziert, Eiweiß und Fett dagegen sind praktisch unbegrenzt erlaubt. Es gibt unterschiedliche Ausprägungen: Manche essen als Kompensation viel Obst und Gemüse, hier ist der gesundheitliche Wert zwar gegeben, es besteht jedoch das Problem der mangelnden Sättigung. Andere konsumieren anstelle der Kohlenhydrate vor allem tierisches Eiweiß.

Bewertung: "Als Dauerkostform halte ich Low Carb für nicht empfehlenswert. Auch temporär nicht, weil ich kurzfristige Ernährungsweisen, die rein den Zweck erfüllen, einige Kilos abzunehmen, für problematisch halte. Diese Art der Ernährung ist unausgewogen und entspricht nicht der Natur des Menschen."

Paläo-Ernährung: Essen wie in der Steinzeit

Anhänger der Paläo-Ernährungsweise essen nur, was unsere Vorfahren zu sich genommen haben, als sie noch Jäger und Sammler waren. Auf den Tisch kommen neben Fleisch und Früchten der Saison auch Fisch und Gemüse. Nicht gegessen werden Getreideprodukte, weil es in dieser Entwicklungsstufe noch keinen Ackerbau und damit keine Getreideprodukte gab.

Inzwischen gibt es auch die Pegane Kostform, eine Kombination aus Paläo und veganer Ernährungsweise.

Bewertung: "Paläo ist eine sehr fleischlastige Ernährungsweise, die ich aus gesundheitlichen Aspekten und aus Gründen der Nachhaltigkeit, weil sehr ressourcenintensiv, für bedenklich halte. Eine ausreichende Nährstoff-Versorgung ist zwar möglich, aber schwierig. Vor allem ein Mangel an Vitaminen aus der B-Gruppe droht."

Flexitarier: Teilzeit-Vegetarier

Der Begriff setzt sich aus "Vegetarier" und "flexibel" zusammen. Flexitarier essen zwar Fleisch, jedoch selten bis phasenweise. Meist wird jedoch auf die Qualität geachtet. Statt billig und schnell soll die Ernährung gesund, bewusst und nachhaltig sein. Teilzeitvegetarier verzichten an drei oder mehr Tagen in der Woche auf Fleisch. Stattdessen kommen Vollkornprodukte, Hülsenfrüchte, Milch oder Sojaprodukte, Gemüse und Obst auf den Teller. Nicht der Verzicht, sondern der gesunde Genuss steht im Vordergrund.

Bewertung: "Basiert diese Kostform auf vorwiegend unverarbeiteten Lebensmitteln, stellt sie eine rundum ausgewogene und zu empfehlende Ernährungsweise dar. Der Gesundheitswert von Fleisch und pflanzlichen Lebensmitteln wird genutzt, ohne Gefahr einer Nährstoff-Unterversorgung."

Frutarier: Was die Pflanze freiwillig hergibt

Eine Ernährungsform, bei der weder Tiere getötet noch Pflanzen zerstört oder beschädigt werden. Gegessen werden lediglich Lebensmittel, die die Pflanze "freiwillig" hergibt, etwa vom Baum gefallene Äpfel, oder Lebensmittel, die von der Pflanze gepflückt werden können (Nüsse, Äpfel oder Beeren, Gemüsefrüchte wie Tomaten und Kürbisse oder Hülsenfrüchte wie Erbsen und Bohnen). Alles was im Boden wächst und ausgegraben werden muss, ist für Frutarier tabu (Kartoffeln, Rüben, Zwiebeln oder Kohl).

Bewertung: "Extrem einseitige Kostform, da nur wenig übrig bleibt, was noch gegessen werden darf. Eine Bedarfsdeckung ist absolut nicht machbar."

Theres Rathmanner ist selbstständige Ernährungswissenschafterin aus Wien (www.ernaehrungsgewissen.at). Sie hat die rechtsstehenden Ernährungsweisen bewertet, wobei fünf Sterne für empfehlenswert stehen.

Susanne Schäfer: Der Feind in meinem Topf? Schluss mit den Legenden vom bösen Essen, Hoffmann und Campe Verlag, 237 Seiten, 17,50 Euro.

 

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28. März 2024