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"Da half kein Betteln und kein Niederknien"

Von René Laglstorfer, 23. Juni 2020, 00:04 Uhr
"Da half kein Betteln und kein Niederknien"
Der dreijährige Friedrich Witzany mit Stiefmutter Maria, Oma Anna und Opa Johann 1943 in Zirnetschlag (Gemeinde Meinetschlag) im heutigen Südböhmen

LINZ. OÖN-Leser schildern, wie sie mit ihren sudetendeutschen Familien 1945/46 aus Tschechien vertrieben wurden

"Am 9. September 1945 kommt mein kleiner Bruder Werner zur Welt. Wenig später stirbt der todkranke Großvater. An eine Flucht nach Österreich ist trotzdem noch nicht zu denken, obwohl viele Dorfbewohner mehrmals Habseligkeiten über die Grenze tragen", schreibt OÖN-Leser Friedrich Witzany aus St. Florian. Er wurde 1940 in Zirnetschlag (heute Belá in Südböhmen) im damaligen erweiterten Gau Oberdonau geboren und erlebte als Fünfjähriger den Rückzug der Wehrmacht sowie die nachkommenden Russen und Tschechen "mit allen Schikanen und Brutalitäten".

Nach Weihnachten 1945 seien die wilden Vertreibungen der Sudetendeutschen "in geregelte Bahnen" gekommen. Witzany: "Aber niemand wusste, ob der Transport in die amerikanische oder russische Zone Deutschlands ging. Meine Mutter wollte natürlich unbedingt nach Österreich."

Nachdem der tschechische Kommissar im April 1946 die Ausreise der Familie ablehnte, beschloss die Mutter kurzfristig die Flucht. "Es wurde geheim gepackt und Kondensmilch eingedickt", erinnert sich der heute 80-Jährige. Mit der Hilfe von jungen Schmugglern brechen die Witzanys am Abend des 12. April 1946 auf. Junge österreichische Grenzwachorgane schickten die Familie mit dem sieben Monate alten Säugling und der rüstigen Oma am nächsten Morgen wieder über die Grenze zurück. "Da half kein Betteln und kein Niederknien." Beim Zollhaus Windhaag bei Freistadt wurden sie erneut zurückgewiesen. "Diesmal mit der Drohung, den Russen und Tschechen übergeben zu werden, wenn wir es nochmal probieren", sagt Witzany.

Zwei Tage verbrachte er mit seiner Familie versteckt in Bauernhäusern. Nahe Leopoldschlag überquerten sie schließlich bei Mondschein auf allen Vieren über einen "halsbrecherischen Steg" ein drittes Mal den Grenzfluss Maltsch und marschierten am 16. April 1946 an zerschossenen Panzern und Schneeflecken vorbei zur Ortschaft Zulissen (Gemeinde Rainbach im Mühlkreis), wo sich die erschöpfte Familie einige Tage versteckt hielt.

Die letzte Hürde war die "Russenkontrolle" auf der Nibelungenbrücke in Linz, die die Familie mit gefälschten Identitätskarten überstand. "Wir konnten es kaum glauben, körperlich unversehrt in Freiheit zu sein", sagt Witzany, der später an der Uni für Bodenkultur in Wien studierte und als Landesbeamter zum Inspektor für Oberösterreichs Almen avancierte.

Auch OÖN-Leser Harald Marschner aus Perg, geboren im März 1944 in Nordböhmen, erlebte als Kleinkind die Vertreibung der Sudetendeutschen. "Mitte Juni 1945 wurden wir aufgefordert, am nächsten Tag in der Früh das Land zu verlassen", schreibt Marschner. Für seine Mutter kam die "Ausweisung" völlig überraschend. "Sie dachte, dass die Übergriffe wie im Jahr 1918 bald vorbei sein würden."

Drei Tage ging die Familie zu Fuß nach Sachsen. "Wir durften so viel mitnehmen, wie wir tragen konnten. Meinem dreijährigen Bruder wurde ein kleiner Rucksack umgeschnallt und mein Kinderwagen, soweit es ging, beladen." Der Verlust der Heimat sei für seine Familie ein zentrales Gesprächsthema geblieben. "Eine symbolische Geste gegenüber den Opfern würde die Handreichung zwischen uns Nachbarn erleichtern."

Bilder und Erinnerungen

Wenn auch Sie Bilder, Anekdoten oder Erinnerungen aus dem Jahr 1945 und der Zeit des Wiederaufbaus nach dem Zweiten Weltkrieg haben, dann schicken Sie uns diese bitte.

Entweder per E-Mail an damals@nachrichten.at oder auch per Post an OÖNachrichten, Promenade 23, 4020 Linz – Kennwort: Die Stunde Null. Wir freuen uns auf Ihre Zusendungen.

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Autor
René Laglstorfer
Redakteur Land und Leute
René Laglstorfer

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11  Kommentare
11  Kommentare
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Heza (816 Kommentare)
am 25.06.2020 07:12

Es wurden nicht nur sudetendeutsche vertrieben. Meine Großeltern und Eltern wurden aus Jugoslawien (volksdeutsche) vertrieben und mussten alles zurücklassen. Entschädigung gab es nie. In diesem Gebiet lebten die Vorfahren schon seit Maria Theresia. Die Details ihrer Flucht nachzulesen ist traurig. Die Familien sind über die ganze Welt verstreut und haben sich zum Teil nie wieder gesehen.

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Heza (816 Kommentare)
am 23.06.2020 16:44

Es wurden nicht nur sudetendeutsche vertrieben. Meine Großeltern und Eltern wurden aus Jugoslawien (volksdeutsche) vertrieben und mussten alles zurücklassen. Entschädigung gab es nie. In diesem Gebiet lebten die Vorfahren schon seit Maria Theresia. Die Details ihrer Flucht nachzulesen ist traurig. Die Familien sind über die ganze Welt verstreut und haben sich zum Teil nie wieder gesehen.

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( Kommentare)
am 23.06.2020 15:46

Schade, daß die großmäulige Ankündigung der Riess Passer,

eine Zustimmung zur Aufnahme der Tschechen in die eu,
erst nach Löschung der Benes Dekrete erfolgen werde,
weil sie eklatant gegen die Menschenrechte verstoßen,
nur populistischer Schall und Rauch geblieben ist.
Geblieben ist auch der Schwachsinn,
die Dekrete seien ohnehin totes Recht.

Hingegen war die Stilllegung des Atomkraftwerkes
vom Anfang an eine überflüssige Forderung.

Möglich, daß der Umfaller von R. P.
ihr den Posten als Wüstenrot- Chefin eingebracht hat ?!?

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( Kommentare)
am 23.06.2020 15:00

Den Deutschen wurde die Schuld an beiden Weltkriegen angerechnet. Die Tschechen wollten mit der Vertreibung diese Schuld endgültig von sich abwehren. Die Beneš-Dekrete waren dazu angetan.

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Auskenner (5.366 Kommentare)
am 23.06.2020 14:19

Die Familie meiner Mutter wurde 1945 aus dem Sudetenland vertrieben - aber nicht von Südböhmen ins Mühlviertel, sondern von Mähren über Ostdeutschland nach Wien und in die Steiermark. Wurde auf der Flucht auseinandergerissen und hat sich erst nach Monaten wiedergefunden, zum Glück komplett.
Ich hab noch die Tagebücher meines Großvaters, und meine Mutter hat uns als Kindern davon erzählt. Nicht schön.

Wenn man so Geschichten aus erster Hand von einer Flucht hört, und dass man praktisch mit nichts irgendwo ankommt, dann denkt man anders über Flüchtlinge, die sich nur "an uns bereichern" wollen, wie es manche hier im Forum meinen. Willkommensklatscher gab es damals zwar keine, aber sehr wohl Menschen, die geholfen haben. Natürlich redete man dieselbe Sprache und sah sich ähnlich, aber davon abgesehen, vieles gleich zu heute.

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Nacharbeiter (7.603 Kommentare)
am 23.06.2020 15:48

Na ja, Auskenner? Wenn die Großfamilie in Pakistan oder im Niger alles zusammenspart, um ein Ankerkind in den Westen zu entsenden....ich selbst weiß ja nichts, aber was uns die Qualitätsmedien servieren, enthält doch einiges, wenn auch kein sinnvolles Gesamtbild. Was ist denn nun 5 Jahre nach Merkels Million Eingeladener mit dem Familiennachzug? Gibt es dazu irgendeine zusammenhängende aktuelle Information/Bilanz? Was geschah mit den vor einigen Monaten per Spedition eingereisten Afghanen? 40 oder so. Ich sehe keine Parallelen zur "Flucht" der Sudetendeutschen.

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JosefBroz (4.497 Kommentare)
am 23.06.2020 12:51

"Lieber Hitler mach uns frei von der Tschechoslowakei" so hieß es vor 1945 mehrheitlich in dieser Gegend.

Die konkrete Schuld an historischen Vorgängen ist darüberhinaus individuell zu prüfen.

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JosefBroz (4.497 Kommentare)
am 23.06.2020 13:41

Kann es übrigens eine historische Stunde Null (--> Serientitel) geben? Sind historisch scharfe Brüche überhaupt denkbar? Es geht wohl eher um die Geschwindigkeit des Wandels - die Handelnden sind immer dieselben. Angeblich werden die Leute so klüger. Nach Karl Kraus jedoch sind die Österreicher ein Menschenschlag, der durch Schaden dumm wird (in seiner Beobachtung war die Zeit ab 1938 noch gar nicht enthalten!).

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Nacharbeiter (7.603 Kommentare)
am 23.06.2020 09:36

"Seine Mutter dachte, dass die Übergriffe wie im Jahr 1918 schnell vorbei sein würden." Interessant! Welche Übergriffe und von wem gab es denn 1918? Wäre es nicht erhellend, das zu erfahren? Kann es sein, dass wesentliche Ursachen der durch den Nationalsozialismus herbeigeführten Katastrophe schon bei den Siegermächten des ersten Weltkrieges lagen?

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LASimon (11.244 Kommentare)
am 23.06.2020 09:34

Wie dem Artikel zu entnehmen ist, wurde die Familie Witzany nicht vertrieben. Sie verliess die CSR aus eigenem. Daher passt diese Geschichte nicht zum Titel und nicht zur Serie.
Abgesehen davon belegen diese Geschichten den gefährlichen Wahn der Nationalstaatsidee. Derzufolge hatten diese Menschen eben keinen Platz in der CSR.

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Nacharbeiter (7.603 Kommentare)
am 23.06.2020 09:42

Nach Ihrer Logik, Lasimon, wurden die Juden auch nicht vertrieben. Die Medien verwenden aber ständig diesen Ausdruck. Kaum einer wird dagegen reklamieren. Die Juden hatten die Wahl zwischen ständigen Schikanen inklusive Gewalttaten und Flucht davor. Dass die Alternative die Vernichtung war, wussten sie anfänglich bestimmt nicht. Die Siegermächte verhalfen 1918 der Nationalstaatsidee zum Durchbruch. Die multinationale Habsburgermonarchie musste vernichtet werden. Sehr schade! Wenn ich zaubern könnte, ich würde die Bevölkerungsverteilung von 1910 wiederherstellen. Immerhin herrschte nach 1945 Jahrzehnte langer Friede nach unendlichen Morden und Vertreibungen. In den 90ern wieder dasselbe in Jugoslawien. Seit Jahrzehnten betreiben aber die fortschrittlichen Kräfte die Wiedererrichtung multikultureller Gebilde, diesesmal mit noch viel krasseren Gegensätzen zwischen den einheimischen und importierten Völkern.

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