Der Meister der Maultrommel
Manfred Rußmann, Kandidat bei der OÖN-Wahl zur "Ikone der Volkskultur", ist Familienvater und Vorbildmusiker. Klaus Huber hat ihn besucht.
Meister der Maultrommel" nennen ihn die Jakuten – der größte Ehrentitel, den dieses Volk im Nordosten Asiens zu vergeben hat. Nirgendwo gibt es mehr (und schon gar keine besseren) Maultrommelspieler als in der "Republik Sacha Jakutija".
Mit 3,08 Millionen Quadratkilometern ist diese ferne Teilregion der russischen Föderation so groß wie die Europäische Union. Nur 960.000 Menschen leben dort, und sie alle haben schon im Kindesalter gelernt, das Nationalinstrument Chomus zu spielen – die Maultrommel. Sie ist ein Grundelement in der jakutischen Kultur, Festivals und Wettbewerbe sind ihr gewidmet. Wer sie perfekt beherrscht, wird als "Meister" bewundert. Wie Manfred Rußmann.
Daheim ist er in Molln im Steyrtal. 3600 Menschen leben in Oberösterreichs flächenmäßig viertgrößter Gemeinde (nach Grünau, Weyer, Ebensee), nicht von schroffem Felsgebirge umgeben, sondern von einer Vielzahl hintereinander gestaffelter, bewaldeter Berge.
Ein herrliches Auf und Ab in unterschiedlichen Schattierungen von Grün. "Unser Paradies" nennen es die Rußmanns, Manfred und seine Frau Magdalena, NMS-Lehrerin im nahen Grünburg und Sängerin des Frauenensembles "Erdengerl". Sie haben drei Kinder (23, 18, 14 Jahre alt), die ebenfalls mehrere Instrumente spielen – mit Ausnahme der Maultrommel. Ihnen Vaters geliebtes "Brummeisen" aufzuzwingen, wäre sinnlos gewesen. Trotz musikalischer Vielfalt in der Familie haben sie auch nie Hausmusik betrieben.
Aus Chorgestühl wird Zaun
Ihr Heim ist ein Holzhaus, vor 15 Jahren auf dem Grund der ehemaligen Tischlerei von Magdalenas Opa errichtet. "Es war eines der ersten Passivhäuser Oberösterreichs und hat sich total bewährt", zieht Manfred zufrieden Bilanz, "wir haben sehr geringe Energiekosten." Diese Erfahrung mit dem eigenen Haus bestärkt ihn in seinem Brotberuf als Kundenberater und Verkäufer von Fertighäusern.
Am Rand ihres naturbelassenen Gartens – "Ich bin der Hackler, Magdalena die Gestalterin" – hat Manfred aus dem Holz eines ehemaligen Chorgestühls der Mollner Pfarrkirche eine attraktive Mauer gebaut. Der sensible Musiker weiß auch mit Gröberem umzugehen.
Als Naturbursch sieht er sich nicht, möchte aber nirgendwo anders leben als in Molln. Schon als Kinder sind die vier Rußmann-Brüder zum Baden beim "Bades-Wehr" an der Krummen Steyrling geradelt. Jetzt schätzt er das Walken und Laufen auf seiner liebsten Bewegstrecke mit Blick auf den Ort. Ein halbes Jahrhundert hat er schon hier verbracht. Spürt er nie den Drang hinaus in die Ferne? "Naja, einmal ein Jahr in fremder Umgebung zu verbringen, wäre schon reizvoll …" Dazu wird es aber nicht kommen, allzu tief wurzelt er im Mollner Boden.
Volksmusikalische Marktlücke
Am 10. Februar feierte er seinen Fünfziger. Als Siebenjähriger hatte er sein Musikerleben mit der Blockflöte begonnen, bald darauf folgte die Zither, die ihn Jahre später kein Geringerer als Wilfried Scharf lehrte, dann Klarinette und Gitarre. "Mit diesen Instrumenten bin ich ins Seminarwesen hineingewachsen, das Beste für einen Musikanten!" Er spielte mit der Inzersdorfer Huberti-Musi, Franz Meingaßners Auhäuslern, der Mollner Blasmusik … Und wie entstand schließlich das Ensemble der Mollner Maultrommler?
"Im Radio haben wir die Mittenwalder Maultrommler aus Bayern gehört und uns gesagt, so spielt niemand in Oberösterreich, das probieren wir auch. Hier gibt es eine volksmusikalische Marktlücke!" 1992 begannen er und sein Bruder Robert, Musikkassetten mit Maultrommelmusik nachzuspielen. Bei einem Seminar in Lohnsburg wurde der bayerische Maultrommler Günther Arnold zu ihrem wichtigsten Lehrer. "Nach diesem Kurs hab ich gewusst, wie’s funktioniert", sagt Manfred und betont, es sei ja "nicht allzu schwierig". Als Autodidakt entwickelte er sich weiter bis zum anerkannten "Meister".
Der Klarinette blieb er immer treu, doch die Zither vernachlässigte er zugunsten der Maultrommel. Denn sie habe etwas Mystisches an sich und biete viele ungeahnte Möglichkeiten, faszinierende Klänge zu erzeugen. Das bekennen auch Kollegen, erzählt Rußmann: "Unter den Musikern gibt es zwar großes Nichtwissen über die Maultrommel. Doch wenn sie zum ersten Mal mit uns auf der Bühne gestanden sind, staunen viele: ,Unglaublich, was du aus diesem Instrument herausholst!’" Ist er als Maultrommler jemals auf Geringschätzung gestoßen? "Nein, niemals." Gute Musiker schätzen einander.
Bestes Markenzeichen der Mollner Maultrommler – zu denen derzeit auch Herbert Walter (Zither, Gitarre) und Volker Klein (Steirische Harmonika) gehören – ist das ebenso ungewöhnliche wie beeindruckende Zusammenspiel von Maultrommel und Tuba der beiden Rußmann-Brüder. Robert versteht es, seine Tuba so gefühlvoll zu blasen, dass selbst im Pianissimo noch ein voller, runder Ton entsteht, der jedoch die Oberton-Frequenzen von Manfreds Brummeisen nicht übertönt. Und ist künftig sogar eine Erweiterung des Gesamtklangs denkbar? Manfred nickt: "Mit einer Geige könnte ich mich gut anfreunden."
„Die Verteidigung von Molln“, ein Volksstück des Schlierbacher Dramatikers Thomas Arzt, gespielt vom Theater frei-wild, erlebt heute im Nationalparkzentrum Molln um 20 Uhr seine Uraufführung. Grundlage ist die Barbara-Legende, die von der mystischen Erfindung der Maultrommel erzählt. Manfred Rußmann hat die Musik komponiert und tritt als Live-Musiker auf. Zehn Vorstellungen bis 22. Juni. theater-frei-wild.at