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Blick nach Böhmen und zurück

Von Philipp Braun, 05. Oktober 2019, 00:04 Uhr
Blick nach Böhmen und zurück
Bild: Volker Weihbold

Kochkultur lässt sich nicht in nationalen Denkmustern isolieren. Auch böhmische und Mühlviertler Küche verbindet mehr als sie trennt.

Eine Mauer oder ein Gartenzaun mögen ja mitunter ganz praktisch sein. Beides schützt die Privatsphäre vor neugierigen Blicken, hält Mundräuber davon ab, sich an köstlichen Beeren zu delektieren und zeigt unmissverständlich die Grenze zum Nachbarn auf.

Doch so hoch ein Gartenzaun auch sein mag, so blickdicht die Latten aneinander genagelt sind und so begrenzend er gedacht ist – eines vermag er nicht: den Genuss, den Geschmack und die Esskultur einzuengen. Denn Genuss ist grenzenlos. Fernab von nationalstaatlichem Stolz lässt er sich nicht isolieren, sondern ist im Austausch zu sehen. Auch Wetter, Klima und Kultur können in keiner Büchse gefangen werden. "Eine Varietät macht nicht an der Grenze halt. Wir müssen uns austauschen, um vielseitig zu bleiben. Und wir müssen auf Vielfalt setzen, um zu überleben", sagt der Autor Dominik Flammer, der die alpine Küche erforscht und für einen offenen, über den Gartenzaun schauenden Blick appelliert.

Blick nach Böhmen und zurück
Kraut schneiden für die Krautsuppe Bild: Volker Weihbold

Küchenkunst Cuvée

Tatsächlich ist österreichische Küche als Melange zu verstehen und entstand erst durch die Vermischung. So wie sich auch die "Mühlviertler" und die "böhmische Küche" gegenseitig befruchten. "Rein aus der geschichtlichen Sicht gehört vieles zusammen. Bei uns herrscht eine Fusionsküche", sagt Georg Friedl, der sich mit Verve der "Mühlviertler Küche" widmet, seine Erfahrungen in ein Kochbuch fließen hat lassen und als Hüter von fast vergessenen Gerichten gilt.

Freilich gibt es klimatische und geologische Unterschiede. Anhand einer Erdäpfelsuppe erklärt Friedl die geschmacklichen und inhaltlichen Nuancen zwischen Böhmen und Mühlviertel: "In Böhmen wurden immer traditionell Pilze, Majoran oder Liebstöckel der Suppe beigefügt. Im Mühlviertel gab es meistens noch Gemüse und Rahm dazu. Böhmen war klimatisch begünstigt und fruchtbarer. Es wurde mehr Getreide angebaut, was sich in den Knödeln zeigte. Der böhmische Knödel wird mit Mehl, Germ und Gewürzen, wie Piment hergestellt. Ein klassischer Nockerlteig mit geröstetem Semmelbrot. Im Mühlviertel verwendet man traditionell Erdäpfel, die im Gegensatz zum Getreide, immer zur Verfügung standen."

Blick nach Böhmen und zurück
Bild: Volker Weihbold

Friedls Hingabe zu Erdäpfeln ist spürbar. Für den Koch scheint es das Wundergemüse schlechthin zu sein. "Erdäpfel sind extrem vielfältig. Von süß bis sauer, von der Beilage bis zum Mehlersatz, geschmacklich unterschiedlich. Ein buntes Produkt." Für das Hoamatland verarbeitet der Meisterkoch einmal halbmehlige und einmal mehlige Kartoffeln zu zwei denkwürdigen Mühlviertler Gerichten: Mohn-Erdäpfelsterz und Stoppelfuchs. »

» Beim Sterz verwendet Friedl am liebsten Linzer Rose – eine geschmacksvolle Erdäpfelsorte, die nur noch selten angebaut wird. Friedl kocht, schält und bröselt sie mit Mehl ab. Danach wird die Masse herzhaft zu goldbrauner Farbe angebraten, mit Grammeln und Mohn verfeinert und mit Schnittlauch bestreut. Köstlich, einfach, authentisch und modern interpretiert, ohne sie ihres ursprünglichen Charakters zu berauben.

"Ahoj" und "Dekuji"

Die Liebe zum Kochen wurde von Friedls Großmutter gelegt, den Feinschliff erhielt der Mühlviertler in der Tourismusschule "Baletour" in Bad Leonfelden, die heuer mit 170 Neuanmeldungen und 550 Schülern ein Rekordergebnis erreicht und aufzeigt, dass Kochen wieder zeitgemäß ist.

Blick nach Böhmen und zurück
Dazwischen immer wieder kosten Bild: Volker Weihbold

Ungefähr zehn Prozent der Schüler kommen aus dem benachbarten Tschechien und nutzen den starken Praxisschwerpunkt, der geboten wird. Auch wenn manche Jugendliche nur wenige Kilometer entfernt voneinander aufwachsen, sprachliche Barrieren sind vorhanden. Aber innerhalb weniger Monate überspringen die meisten Schüler auch diese Hürde, weiß Peter Kreuzweger, Kochlehrer an der Schule, zu berichten. "Es ist unvorstellbar, mit welcher Geschwindigkeit die Schüler Deutsch lernen. Teilweise sind sie bereits zu Weihnachten sprachlich perfekt."

Verwunderlich erscheint vielmehr, dass viele Tschechen perfekt Deutsch können, in Österreich aber kaum jemand Worte wie Hallo ("Ahoj"), Danke ("De?kuji"), bitte ("prosím) oder Mahlzeit ("Dobrou chut’") zu sagen bereit ist. Der Gartenzaun der Sprache scheint ziemlich hoch zu sein. Und er wirkt noch höher, wenn man sich Vorurteile anhört, etwa dass Menschen als gelehrt gelten, wenn sie französisch oder italienisch sprechen, aber abwertend betrachtet werden, wenn sie die komplexe tschechische Sprache sprechen.

Claudia Lindner spricht perfektes Deutsch und sie versteht auch die Küchensprache in Reinkultur. Die Tschechin lebt in Lipno und maturiert dieses Jahr in Bad Leonfelden. "Früher konnte ich gar nicht kochen. Wir haben zu Hause auch keinen Gastrobetrieb. Aber mittlerweile macht das Kochen sehr viel Spaß und ich bin froh, hier in die Schule zu gehen."

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Küchenkunst und Tourismus lebt von der Internationalität. Bild: Volker Weihbold

Mit Eleganz schneidet Claudia das Kraut für die Suppe ("Zelnice") und verfeinert sie am Schluss mit einigen Spritzern Essig. Sehr edel gelingt auch die geschmorte Hirschschulter mit Powidl ("Krájené kousky z jelení plece na s?vestkovy´ch povidlich"), dessen Geheimnis unter anderem im langsamen Anrösten der Zwiebeln besteht.

Mit jedem Bissen des zarten Fleisches inklusive purem Zwetschkengeschmack wird der Gartenzaun brüchig und lässt das Licht der Sensorik durch: Geschmack verbindet. Heute mehr denn je, man muss es nur zulassen und darf sich der Vielfalt des Aromatischen nicht verschließen.

 

Peter Kreuzweger

Der Kärntner ist Koch und Lehrer in der Tourismusschule in Bad Leonfelden. Er zog der Liebe wegen nach Linz. Heute ist er für sein Engagement über die Grenzen bekannt.

Claudia Lindner

Die Schülerin aus Tschechien maturiert dieses Jahr in Bad Leonfelden und will danach in der Tourismusbranche arbeiten.

Georg Friedl

Der Mühlviertler gilt als Umsetzer der heimischen traditionellen Küche, die er mit Brillanz der heutigen Zeit anpasst und worüber er zwei Kochbücher geschrieben hat. „Unsere Gegenwart und das Kommende existieren nicht ohne Vergangenheit. Die Zukunft der Küche liegt in der Tradition und verlangt Wertschätzung.“

Die Rezepte zum Nachkochen

Krautsuppe
Mohn-Erdäpfelsterz
Geschmorte Hirschschulter
Stoppelfuchs

 

Die Rezepte stammen aus dem zweisprachigen Kochbuch mit Südböhmischer und Mühlviertler Küche – ein Gemeinschaftsprojekt anlässlich der OÖ Landesausstellung 2013. Und dem zweiten Kochbuch von Georg Friedl, der das Mühlviertler Kulturgut und Brauchtümer in all ihren Nuancen würdigt.

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Autor
Philipp Braun
Kulinarik-Redakteur
Philipp Braun
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1  Kommentar
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vjeverica (4.297 Kommentare)
am 06.10.2019 11:14

was heißt, dass die Hiesigen nicht bereit sind, dass sie tschechische Wörter aussprechen?!
Es ist halt schon 100 Jahre her, seit man Ö und die Tschechoslowakei hmm trennte.

Woher sollen wir's denn haben, die Sprachkenntnisse? In der Schule lernt man es nicht, wenn man dann auch noch keine Verwandtschaft drüber der Grenze hat, dann noch weniger.
Ich z.B. war 3x in der Tschechei - über die Grenze geradelt, einmal nach der Grenzöffnung "umgeschaut". Jeder konnte deutsch, also auch kein Englisch notwendig.

Ich habe absolut nichts gegen die Leute, das Land, das Essen - aber das ist schon eher ein Versäumnis der "Anbieter". Meines Wissens nach werden nach wie vor nicht einmal im grenznahen Gebiet die Kinder in der Schule dem Tschechischen näher gebracht, oder irre ich da?
Man schaue sich auch die Kursangebote der VHS etc. an. Das ist halt alles eine Frage des Angebotes und der Nachfrage.
Es gibt halt einfach auch viele Sprachen, die sich weit eher "anbieten", sie zu erlernen.

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