Lade Inhalte...
  • NEWSLETTER
  • ABO / EPAPER
  • Lade Login-Box ...
    Anmeldung
    Bitte E-Mail-Adresse eingeben
    Bitte geben Sie Ihre E-Mail-Adresse oder Ihren nachrichten.at Benutzernamen ein.

gemerkt
merken
teilen

Die Nacht der Wunder

01. Dezember 2018, 00:04 Uhr

Es ist eine weitverbreitete Legende, die die schwedische Schriftstellerin Selma Lagerlöf in den Erinnerungen an ihre Kindheit erzählt.

In der Nacht, in der das göttliche Kind das Licht der Welt erblickte, war es kalt, bitter kalt. Es heißt, das Jesuskind zitterte und bebte wie ein kleines nacktes Vögelchen. Die Gottesmutter Maria konnte es nicht genug wärmen. Nein, das wollte Josef nicht mitansehen. Sie brauchten Feuer! Gleich schnappte er seinen Mantel und lief los.

Draußen auf dem Feld sah Josef weit weg ein Licht. Das mussten Hirten sein, die rund um ein Feuer lagerten. Also nichts wie dorthin. Kaum aber, dass er in die Nähe der Herde kam, witterten ihn die Hirtenhunde. Gleich sprangen sie auf und stürmten dem Fremden entgegen, um ihn zu verjagen. Die Hirten sahen im Mondschein nur die Umrisse einer Gestalt. Gleich wer es war: Der hatte hier bei der Herde nichts verloren. Die Hunde würden ihn schon vertreiben. Doch es war eigenartig: So sehr die Hunde auch bellen wollten, sie brachten keinen Ton heraus. Im Gegenteil: Schließlich tänzelten sie freundlich um den Fremden herum. Und der Fremde? Der ging einfach weiter.

Wegen der Kälte lagen die Schafe dicht an dicht. Da war kein Weg dazwischen. Der Fremde überlegte nicht lange. Er ging einfach über die Schafe drüber. Sonderbar! Die Hirten rieben sich die Augen. Was wollte der Mann? Einer der Hirten war ein besonders grobschlächtiger Kerl. Gleich packte er den Hirtenstab und schleuderte ihn dem Fremden entgegen. Der Stab flog auf Josef zu – und machte vor ihm einen Bogen. Jetzt staunten die Hirten noch mehr. Josef aber ging unbeirrt weiter bis er vor den Hirten stand. "Was willst du?", fragte der, der den Stab geworfen hatte, unwirsch. "Ich bitte euch: Gebt mir von eurem Feuer! Etwas Glut genügt. Meine Frau hat entbunden. Sie und das Kind sind vor lauter Kälte am Erfrieren." "Glut will er!", lachte einer der Hirten. "Und womit willst du sie tragen?", fragte ein Anderer höhnisch. "Da drin", sagte Josef und hielt ihnen die Kapuze von seinem Umhang hin. Da lachten die Hirten. "Na dann", rief einer, "nimm dir!"

Josef ließ sich das nicht zweimal sagen und griff zu. Mit bloßen Händen schaufelte er Glutstücke in die Kapuze. Das Lachen erstarb. Fassungslos schauten die Hirten zu. "Jetzt sag einmal", meinte einer, "was ist das nur für eine Nacht? Ja, was ist das für eine Nacht, in der dir unsere Hunde nichts tun? In der die Schafe zulassen, dass du auf ihnen gehst wie auf einem Teppich? Und was ist das für eine Nacht, in der der Hirtenstab vor dir einen Bogen macht und dich nicht einmal das Feuer verbrennt?"

"Was soll ich euch sagen, wenn ihr es nicht seht?", sagte Josef bedächtig.

Jetzt waren die Hirten umso mehr verwundert. Was meinte der Fremde denn damit? Josef aber machte sich mit der Kapuze voller Glut auf den Rückweg. Wo wollte er denn hin? Neugierig zogen die Hirten hinter ihm her. Die Herde war in der Obhut der Hunde. Da fehlte nichts. So kam Josef mit den Hirten im Gefolge wieder zum Stall. Bald flackerte dort ein munteres Feuer. In seinem lichten Schein sahen die Hirten, was da war. Eine Frau hatte in dem unwirtlichen Stall ein Kind geboren. Das lag nackt und bloß in einer Krippe auf dem Stroh. Der Anblick war armselig. Der rührte selbst das Herz des Hirten, der gar so verbittert war. Er griff in die Tasche, die er umgehängt hatte, und nestelte ein Lammfell heraus. "Da nimm!", sagte er zu Maria. "Damit das Kind nicht erfriert!"

Auch die anderen suchten und kramten nach etwas, was sie geben konnten. Maria schaute den Hirten an, dann die anderen, und lachte. "Ich danke euch!", sagte sie. Ihre Augen strahlten. Und in diesem Moment geschah etwas, mit dem sie alle nie gerechnet hatten. Als die Gottesmutter die Hirten anlachte, da ging einem jeden das Herz auf. Der Stall, der so abweisend, kalt und dreckig gewesen war, glänzte in überirdischer Pracht. Engel waren da zu sehen, die sangen laut und priesen Gott. "Hosianna!", sangen sie, "Christus, der Heiland der Welt ist geboren! Gelobt sei Gott im Himmel, und Friede den Menschen auf Erden, die guten Willens sind!"

Jetzt verstanden die Hirten, was Josef gemeint hatte als er sagte: "Was soll ich euch sagen, wenn ihr es nicht seht!" Weil sie sich erbarmt hatten, weil sie etwas gegeben und in der Not geholfen hatten, drum waren ihnen ihre Herzen aufgegangen. Jetzt sahen sie viel mehr, als ihre Augen je sehen konnten. Es heißt: Mit den Augen sehen wir den lichten Schein der Welt. Die wirklich wichtigen Dinge aber, die unsere Welt im Innersten zusammenhalten, die können wir nur mit dem Herzen erkennen.

Nacherzählt von Märchenerzähler Helmut Wittmann,; aus dem Buch „Das Geschenk der zwölf Monate“ (Tyrolia Verlag, 256 Seiten, 29,70 Euro.

 

mehr aus Hoamatland

Fische im Wandel der Zeit

Ein Sein mit Stein: Linzer macht Schmuckstücke aus Flussschotter

Auf den Spuren des Salzes im Bergwerk Altaussee

Freies Radio Salzkammergut: Wo seit 25 Jahren die Funken fliegen

Lädt

info Mit dem Klick auf das Icon fügen Sie das Schlagwort zu Ihren Themen hinzu.

info Mit dem Klick auf das Icon öffnen Sie Ihre "meine Themen" Seite. Sie haben von 15 Schlagworten gespeichert und müssten Schlagworte entfernen.

info Mit dem Klick auf das Icon entfernen Sie das Schlagwort aus Ihren Themen.

Fügen Sie das Thema zu Ihren Themen hinzu.

0  Kommentare
0  Kommentare
Zu diesem Thema wurden noch keine Kommentare geschrieben.
Neueste zuerst Älteste zuerst Beste Bewertung
Aktuelle Meldungen