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Sechs Strophen des Friedens

Von Manfred Wolf und René Laglstorfer, 01. Dezember 2018, 00:04 Uhr
Die „Stille Nacht“-Kapelle in Oberndorf. Bild: Salzburgtourismus

Vor 200 Jahren wurde in Oberndorf zum ersten Mal "Stille Nacht! Heilige Nacht!" gesungen. Auf Spurensuche in Salzburg und Oberösterreich begaben sich Manfred Wolf und René Laglstorfer.

"Stille Nacht! Heilige Nacht!" dürfte eigentlich nicht existieren, so unglaublich ist die Geschichte. Kriege, Reformen, Hungersnöte und nicht zuletzt der Ausbruch eines Vulkans am anderen Ende der Welt haben dazu beigetragen, dass sich just am 24. Dezember vor genau 200 Jahren dieses Lied sozusagen selbst gebar. Seine Wirkung war für die Schöpfer, Joseph Mohr und Franz Xaver Gruber, nicht absehbar. Um diese einzuordnen, bedarf es einer Zeitreise – in sechs Strophen.

Strophe 1: Die äußeren Umstände

Weder Franz Xaver Gruber noch Joseph Mohr waren geboren, als Fürsterzbischof Hieronymus Graf Colloredo in Salzburg in einem Hirtenbrief schrieb, dass Kirchenlieder künftig nicht mehr auf Latein, sondern auf Deutsch gesungen werden müssen. Colloredo übernahm auch ein von Kaiser Joseph II. ausgesprochenes Krippenverbot, da diese eine Verniedlichung des weihnachtlichen Geschehens seien – seither werden diese zu Hause aufgestellt.

Damals tobten in Europa die Napoleonischen Kriege. Soldaten plünderten Häuser und Ställe. Übergriffe, Zerstörung und die Rekrutierung von Soldaten bereiteten den Menschen Angst und Gram. Einer dieser Soldaten war Joseph Mohr, Vater des späteren Verfassers von "Stille Nacht! Heilige Nacht!". Er desertierte allerdings, seinen Sohn sollte er nie zu Gesicht bekommen.

Es dauerte bis 1814, dass Europa endlich zur Ruhe kam. Beim Wiener Kongress von 1814 bis 1815 wurde unter Fürst von Metternich Europa neu geordnet. Salzburg und das Innviertel wurden wieder Teil der Habsburgermonarchie, was allerdings zur Teilung des für die Salzschifffahrt wichtigen Ortes Laufen führte. Der westliche Teil blieb preußisch, der östliche Teil – anfangs Österreichisch-Laufen genannt, später Oberndorf – wurde österreichisch.

Just in jenem Jahr, als die Zuversicht wuchs, brach im April 1815 in Indonesien der Vulkan Tambora aus. Zehn Tage lang spie er Asche, Lava und Gase in die Atmosphäre. Die Auswirkungen waren erst im Jahr darauf zu spüren, dem Jahr ohne Sommer. Dem Jahr, in dem eine reiche Ernte Hunger, Kindersterblichkeit – kurz, das Elend – hätte beseitigen sollen. Aber es kam anders. Die Temperaturen sanken massiv, die Ernte fiel sintflutartigen Regenfällen zum Opfer. Lebensmittel wurden rar und teuer, einhergehend mit der wachsenden Zahl an Bettlern und Seuchen. Eine Strafe Gottes?

Der Mehlpreis schoss in die Höhe, es machten Rezepte die Runde, wie mit Moos, gemahlenen Bucheckern, Baumrinde oder Holzmehl gekocht werden konnte. Pferde wurden geschlachtet. Aus der Not heraus wurden neue Transportmittel erfunden. Wie jenes von Karl Freiherr von Drais, das Laufrad.

Die Düsternis, aber auch die farbenprächtige Himmelsstimmung fanden Eingang in die Kunst. Der Brite William Turner fing diese in seinen Bildern ein. Gleichzeitig entstanden die Vampir- und Frankenstein-Geschichten.

Und noch jemanden prägte diese Zeit – und veranlasste ihn zu einem Gedicht, das heute die ganze Welt kennt 

Strophe 2: Ein Stück Hoffnung im Elend

1796 erstattete eine Anna Schoiber in Salzburg Selbstanzeige. Sie beschuldigte sich, dass sie sich "fleischlich verbrochen habe und schwanger sey. Dies ist mein viertes Verbrechen. Das dritte geschah vor drei (sic!) Jahren mit dem Soldat Joseph Mohr ..."

Doch der Spross, der 1792 das Licht der Welt erblickte und aufgrund der hohen Kindersterblichkeit umgehend getauft wurde, hatte Glück. Der Scharfrichter Franz Wohlmuth übernahm seine Patenschaft, der Domchorvikar Johann Hiernle ermöglichte dem talentierten, aber armen Buben eine gute Ausbildung, schickte ihn auf das Akademische Gymnasium Salzburg, später ins Benediktinerstift Kremsmünster.

Im Jahr des Vulkanausbruchs wurde Mohr im Priesterseminar St. Peter zum Priester geweiht. Er kam nach Mariapfarr, in den Geburtsort seines Vaters.

Im Jahr ohne Sommer war es, in dem sich Mohr dort hingesetzt haben musste, um sechs Strophen eines Gedichts zu schreiben. Vielleicht hat er sich dabei auch von einer Tafel des Altars in "seiner" Kirche inspirieren lassen, denn wer genau hinsieht, dem fällt er vielleicht auf, der holde Knab’ im lockigen Haar ...

Mit seinen Zeilen wollte er, so spekulieren viele, die sich mit dem Lied beschäftigen, den Menschen Zuversicht schenken in diesen harten Zeiten.

Aber auch für ihn waren die Zeiten hart. Mohr litt an einer Lungenkrankheit. Und die Wege, die ein Priester damals hatte, waren hart – vor allem im kalten Lungau. Berge rauf und runter, durch Schnee und Eis, bei Kälte und Finsternis. Er wurde krank, kam zurück nach Salzburg und dann weiter nach Österreichisch-Laufen, wo durch die neue Grenzziehung ein Priester gesucht wurde. Die Wahl fiel auf Mohr, der dort auf einen jungen Hilfsorganisten traf, der im benachbarten Arnsdorf als Lehrer tätig war ...

Mohrs Autograph – der endgültige Beweis, dass Gruber die Melodie zum Lied geschrieben hat, wurde 1995 entdeckt. Bild: Salzburgtourismus, Manfred Wolf

Strophe 3: Gegen alle Widerstände

In der Steinpointsölde, einem Bauernhaus in Hochburg, bekamen die Leinwebersleute Anna und Joseph Gruber am 25. November 1787 ihr fünftes Kind. Franz Xaver sollte später den Beruf seines Vaters erlernen. Auch wenn diese Gilde nicht hoch angesehen war.

Doch dem Lehrer Andreas Peterlechner und seinem Vorgesetzten, Pfarrer Simon Dobler, fiel das musikalische Talent des "Weber-Franzl" auf. Sie unterrichteten den Buben – ohne dass der Vater davon erfahren durfte. Schließlich standen Musiker im Ansehen noch unter den Webern. Auch die Mutter und die Großmutter unterstützten ihn dabei.

Eine Schlüsselszene in seinem Leben ereignete sich 1798. Peterlechner war erkrankt, und die Sonntagsmesse hing in der Luft. So wurde angefragt, ob der "Weber-Franzl" einspringen könne. Nach anfänglichem Zögern erteilte der Vater die Erlaubnis und begleitete den Sohn zum Hochamt, wo sein Spiel alle in Staunen versetzte. Zuhause gab es kein Donnerwetter, sondern Lob. Der Vater war begeistert und gab seine Ablehnung gegenüber der Musik auf.

In Burghausen erhielt Gruber dann beim Stadtpfarrorganisten Georg Hartdobler eine musikalische Ausbildung. Trotz der damit verbundenen Gefahren. Immerhin trieben die napoleonischen Soldaten im Land ihr Unwesen.

Und nach jahrelangem Bitten von Lehrer und Pfarrer beim strengen Vater durfte der mittlerweile 18-Jährige sogar den Beruf des Lehrers erlernen.

Nach drei Monaten Ausbildung in Ried im Innkreis und einem Jahr Praxis in Hochburg hörte er, dass im nahen Arnsdorf der Lehrer verstorben sei. Da das benachbarte Fürsterzbistum Salzburg über Jahrhunderte ein unabhängiger Kirchenstaat war, musste der "ausländische" Junglehrer allerdings alle Prüfungen wiederholen, bevor er 1807 die Stelle antreten konnte. Die Gemeinde hatte jedoch die Bedingung gestellt, dass er die 13 Jahre ältere Witwe seines Vorgängers zu heiraten habe. So musste das Kloster die Witwe nicht erhalten.

Wegen des geringen Salärs, das sich nach der Anzahl der Schüler richtete oder ganz in Naturalien von den Bauern beglichen wurde, nahm Gruber die bezahlten Hilfstätigkeiten als Mesner und Organist an. Um seine finanzielle Lage weiter zu verbessern und in der Hoffnung, später die Lehrerstelle in Oberndorf zu erhalten, übernahm er 1816 zusätzlich den Kantoren- und Organistendienst in der vier Kilometer entfernten St.-Nikola-Kirche in Oberndorf.

Strophe 4: Die erste Stille Nacht

Hier, in "Österreichisch-Laufen", trafen Gruber und Mohr 1817 schließlich zusammen. Es entwickelte sich rasch eine tiefe Freundschaft. Sie verstanden einander blind. Und wohl auch darum bat Mohr seinen Freund am 24. Dezember 1818, sein Gedicht zu vertonen.

So kam es, dass in jener Nacht, nach der Mette, die von der Armut gebeutelten Schiffsleute das "Weyhnachtslied" zum ersten Mal sangen. Allerdings nicht in der Kirche. Denn dort waren Krippe und Gitarrenmusik verboten. Also ging die Schar zur Krippe, die sich in der Nähe befunden haben musste. Die Menschen waren vom Lied gerührt, wie Gruber später schreiben sollte, und haben es mit Beifall bedacht. Als hätten sie sich nur für dieses Lied kennengelernt, trennten sich die Wege der beiden nur ein Jahr später wieder.

Während Mohr in den folgenden zehn Jahren noch zehn weitere Stationen als Priester hatte, bis er schließlich nach Wagrain kam, wo er 1848 verstarb, blieb Gruber auch nach dem Tod seiner Frau 1825 in Arnsdorf. Er heiratete seine zweite Frau, eine ehemalige Schülerin, mit der er weitere Kinder hatte. Als auch sie gestorben war, heiratete er, mittlerweile in Hallein tätig, seine dritte Frau. Nur vier seiner neun Kinder wurden erwachsen, er selbst starb 1863 als angesehener und wohlhabender Mann.

Mohr hingegen starb mittellos, sein Hab und Gut gab er stets den Ärmeren. Er hinterließ, auch abseits des Liedes, tiefe Spuren, veranlasste in Wagrain einen Schulneubau und initiierte ein Armen- und Altenheim. 

Strophe 5: Ein Lied geht um die Welt

Es dürfte 1819 gewesen sein, als der Zillertaler Orgelbaumeister Karl Mauracher nach Arnsdorf kam. Die Orgel der Basilika Maria im Mösl sollte restauriert werden. Mauracher lernte Franz Xaver Gruber kennen – und das "Weyhnachtslied". Er nahm eine Abschrift mit in die Heimat, wo es von den Sängerfamilien Strasser und Rainer aufgegriffen wurde.

Die Strassers waren Handschuhmacher und boten ihre Waren auf Märkten in ganz Europa feil. Sie traten auch als "Tiroler Nationalsänger" auf und brachten das Lied 1831 nach Leipzig, wo es als eines von vier "ächten Tyroler Liedern" gesungen wurde. König Friedrich Wilhelm IV. von Preußen erklärte es sogar zu seinem Lieblingslied.

Die Rainers gaben das Lied in Fügen vor Kaiser Franz I. und Zar Alexander I. zum Besten und kamen so, dank eines Empfehlungsschreibens, zu verschiedenen Höfen in ganz Europa. In England ließ König George IV. sie mehrmals am Hofe auftreten.

Indes fand das Lied in Deutschland Eingang in die Liederbücher (der erste Textdruck des Liedes fand allerdings in Steyr statt). 1844 wurde "Stille Nacht! Heilige Nacht!" in einem evangelisch-lutheranischen Gesangsbuch einer Hamburger Sozialeinrichtung aufgenommen, von der viele Kinder später als Missionare in aller Welt tätig waren und das Lied mitnahmen. Die Verbreitung des Liedes nahm ihren Lauf ...

Doch die Urheber waren zu diesem Zeitpunkt in Vergessenheit geraten. Erst 1854 erreichte eine Anfrage der Königlich-Preußischen Hofkapelle in Berlin das Benediktinerstift St. Peter, wer der Verfasser von "Stille Nacht" sei – vermutet wurde, dass es von Michael Haydn komponiert worden war.

Einer von Grubers Söhnen, der dort zur Schule ging, erfuhr zufällig von der Anfrage. In seiner daraufhin verfassten "Authentischen Veranlassung" beschrieb Gruber, wie es zu dem Lied kam.

Strophe 6: Und was dann geschah ...

1914, Erster Weltkrieg, Westfront. Britische Soldaten vernehmen in ihren Schützengräben Gesang. Es waren die Deutschen, die gemeinsam "Stille Nacht! Heilige Nacht!" sangen und danach Kerzen an den Schützengräben aufstellten. Was dann folgte, ging als "Weihnachtsfrieden" in die Geschichtsbücher ein. Zum Entsetzen der Vorgesetzten näherten sich einander rund 100.000 Mann. Briten und Deutsche. Niemand schoss. Es wurde Fußball gespielt, und es kam zu Verbrüderungen und einem spontanen Weihnachtsgottesdienst – ein Friede, der nur kurz währte, aber der Melodie des Liedes geschuldet war.

In mehr als 300 Sprachen und Dialekten wird das Lied heute gesungen. Nicht nur als Weihnachtslied – in China gilt es beispielsweise als Wiegenlied. Selbst die Aborigines singen es. Für viele ist "Stille Nacht! Heilige Nacht!" daher viel mehr als ein Weihnachtslied. Es ist ein Friedenslied. Daran konnten auch der Zweite Weltkrieg, in dem es naturgemäß zweckentfremdet wurde, aber auch der Kitsch mit diversen Verfilmungen (auch mit Grubers Enkel Felix in der Rolle als Franz Xaver Gruber) und absurde Devotionalien nichts ändern.

Die Erforschung des 2011 zum immateriellen Welterbe erhobenen Liedes durch die "Stille-Nacht-Gesellschaft" hat viele Irrtümer im Laufe der Jahre widerlegen können. So waren es keine Mäuse, die die Orgel in Oberndorf damals beschädigt hatten, sodass das Lied mit Gitarre gespielt worden sei. Es wurde schlicht für Gitarrenbegleitung geschrieben.

Auch ob beides, Text und Melodie, zu Weihnachten 1818 geschrieben wurde, konnte 1995 aufgeklärt werden. In diesem Jahr entdeckte die Oberösterreicherin Renate Ebeling-Winkler zufällig ein Autograph von Joseph Mohr, das zwischen 1820 und 1825 geschrieben wurde. Auf dem von Mohr geschriebenen Blatt steht: "Melodie von Fr. Xav. Gruber". Und: "Text von Joseph Mohr m.p. Coadjutor 1816" (manu propia, lat. eigenhändig, Hilfspriester, Anm.).

Ob der Kopf von Mohr aber tatsächlich in der Kapelle von Oberndorf eingemauert wurde, bleibt ein Rätsel. Da es von Mohr kein Bild gab, wurde sein Schädel – nachdem seine Grabstelle am Friedhof Wagrain ausgemacht wurde – exhumiert, um eine Büste anzufertigen. Der Schädel wurde allerdings nicht zurückgegeben, sondern soll in der Kapelle in Oberndorf eingemauert worden sein. Jener Kapelle, die anstelle der bei einem Hochwasser 1899 schwer beschädigten und später abgerissenen Kirche St. Nikola errichtet wurde. Dort, wo vor 200 Jahren zum ersten Mal das Lied "Stille Nacht! Heilige Nacht!" gesungen wurde. Sechs Strophen für Hoffnung, Zuversicht und Frieden. 

Die Kirche St. Nikola von Oberndorf Bild: Salzburgtourismus

Das besterforschte Lied der Welt

UNESCO erklärte das Lied zum immateriellen Kulturerbe.

Die Stille-Nacht-Gesellschaft wurde vor 46 Jahren gegründet – als Nachwehe der Feier zum 150. Jubiläum. Obmann Michael Neureiter wuchs in jenem Haus in Hallein auf, in dem Franz Xaver Gruber bis zu seinem Tod gelebt hatte und wo sein Nachlass Grundstock des heutigen Museums in Hallein ist. Der Sitz der Gesellschaft, auf deren Betreiben das Lied zum immateriellen Welterbe ernannt wurde, befindet sich mittlerweile in Oberndorf.

Mitglieder hat der gemeinnützige Verein auf der ganzen Welt, weltweit wird auch geforscht – und immer wieder Neues entdeckt. Wie vor zwei Jahren, als der Druck aus Steyr aufgetaucht ist.

 

 

 

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1  Kommentar
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lentio (2.769 Kommentare)
am 24.12.2018 21:16

Schönes Lied, sehr schön auch dass der Vater seine Soldatenzeit selbstständig verkürzt hat und desertiert ist...

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