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Er war ein Kind aus Favoriten

Von Lutz Maurer, 19. Jänner 2019, 00:04 Uhr
Er war ein Kind aus Favoriten
„Es jubelten die Hohe Warte, der Prater und das Stadion, wenn er den Gegner lächelnd narrte und zog ihm flinken Laufs davon“, dichtete Friedrich Torberg über den bewunderten Matthias Sindelar. Bild: Votava

Sie nannten ihn "Papierener". Vor 80 Jahren starb Matthias Sindelar, Ikone des österreichischen Fußball-Wunderteams. Lutz Maurer, der einst ein TV-Porträt über den Einzigartigen drehte, blickt zurück.

Vor vielen Jahren trugen mich drei Tage wie eine Zeitmaschine in die Vergangenheit. Den ersten verbrachte ich in einem Favoritner Wirtshaus, Stammlokal freundlicher alter Herren; den zweiten mit Friedrich Torberg in einem Café, den dritten mit Attila Hörbiger im Wiener Stadion. Alle Gespräche aber drehten sich nur um einen Mann, die Ikone des legendären Fußball-Wunderteams!

Die liebenswerten alten Herren in Favoriten waren die letzten noch lebenden Mitspieler Sindelars gewesen. Nur wenigen Großen des Sports wurden literarische Denkmäler gesetzt. Friedrich Torberg, in seiner Jugend Wasserballspieler und zeit seines Lebens Fußballnarr, widmete Sindelar berührende Verse; Attila Hörbiger, der kaum ein Match des Wunderteams ausgelassen hatte, las sie für mein TV-Porträt.

Vor 80 Jahren, in den Mittagsstunden des 23. Jänner 1939, brach die Polizei in der Wiener Annagasse die Wohnung einer als abgängig gemeldeten Kellnerin auf, fand neben der sterbenden Frau einen Toten – Sindelar! 15.000 fassungslose Fußballfreunde pilgerten Tage später zum Begräbnis ihres Idols in einem Ehrengrab auf dem Zentralfriedhof. Die Todesursache wurde nie ganz geklärt; wilde Gerüchte machten die Runde, oder war es doch nur ein schadhafter Kamin? Die Akten der Polizei verbrannten in den letzten Kriegstagen.

Wer war dieser Mann, dessen Name noch immer ein Synonym für ästhetisch-körperlose Fußballkunst ist? Wer war "Motzl", wie ihn die Freunde riefen? "Papierener" nannten ihn die Fans wegen seiner schmächtigen Figur.

Sindelar wurde am 10. Februar 1903 im mährischen Kozlau geboren. 1906 kam die Familie nach Wien. Sein Vater fand in den Ziegelwerken im Süden der Stadt Arbeit, fiel 1917 im Krieg. Die Witwe musste vier Kinder allein durchbringen. Auf einer der zahlreichen "Gstettn" Favoritens fiel der mit einem "Fetznlaberl" jonglierende Schlosserlehrling Sindelar einem Talentesucher des renommierten ASV Hertha auf. Jahre später landete das Talent dann bei dem Verein, dem er sein Leben lang die Treue halten sollte: dem Wiener Amateur-Sportverein, der sich 1926 den Namen Austria gab. Dort fiel der junge Mann trotz manch herber Kritik sofort auf. 1924, ein Spiel gegen die Vienna: "Sindelar kämpfte nicht, gab einige hübsche Tricks zum Besten, bemühte sich aber niemals um den Ball, wurde ihm dieser nicht vor die Füße serviert" – so lautete das Urteil eines Latein- und Griechischprofessors, dem im selben Jahr ein neues Medium, das Radio, zu ungeahnter Popularität verhelfen sollte: Willy Schmieger, der "Urvater" aller Fußball-Radiokommentatoren.

Sindelar war schon 28, hatte es aber erst auf acht Spiele im Nationalteam gebracht, als am 16. Mai 1931 im Match gegen Schottland auf der Hohen Warte vor 60.000 Besuchern die Geburtsstunde des Wunderteams schlug.

"Das Wunderteam hieß ja auch Schmieranski-Team, wie Verbandskapitän Hugo Meisl die Journalisten ein wenig verächtlich nannte", erinnerte sich Friedrich Torberg. "Die schlugen ihm eine Aufstellung vor, die er auch akzeptierte. Das 5:0 auf der Hohen Warte war der Beginn einer einmaligen Siegesserie. Das Spiel habe ich nicht gesehen, wohl aber das folgende 5:0 gegen Deutschland und das 8:2 gegen Ungarn, von dem wir heute noch träumen, die größte ,Schraufn’, die Ungarn je erlitt!" Torbergs Augen strahlten, und in seiner Stimme klang noch etwas vom Jubel der Massen nach, der dem Hattrick Sindelars gegolten hatte.

Weihevolle Fußball-Tradition

Vielleicht lag es aber auch am Ambiente des Interview-Ortes. Wir drehten in einem ehemaligen Kaffeehaus in Favoriten, laut Torberg "die Kornkammer des Wiener Fußballs". Es war ein Lokal mit weihevoller Fußball-Tradition, doch wie so viele andere Kaffeehäuser nach dem Krieg entweiht. Ein Pelzhändler hatte es als Lager gekauft, aber glücklicherweise nicht umgebaut. Es gab noch die Sitzecken, ebenso – in eine Ecke gerückt – die Marmortischchen. Am Pult der einstigen Sitzkassierin lehnte Torberg, in Zigarettenrauch gehüllt, unzählige Tassen schwarzen Kaffees trinkend, die wir ihm aus einem nahen Espresso bringen ließen. Wir befanden uns im einstigen Café Sindelar.

"Was hat Sindelars Faszination ausgemacht", wollte ich wissen. "Das ist eine gewaltige Frage", sagte Torberg, "lassen Sie mich noch eine Zigarette rauchen, damit ich nachdenken kann!" Nach dieser Kunstpause: "Es war sein Einfallsreichtum! Sindelar war ein brillanter Techniker, vor allem hatte er ungeheure Einfälle. Er ist auf Sachen draufgekommen, die nie wieder einer konnte. Das sag ich in vollem Bewusstsein und in voller Kenntnis des Umstandes, dass damals anders gespielt wurde; langsamer, ich möchte fast sagen behäbiger, dass die Spieler mehr Zeit hatten, Einfälle zu entwickeln und in die Tat umzusetzen. Einer meiner Freunde, ein Theaternarr, hat einmal gesagt, er gehe immer zum Austria-Match, weil es ihn interessiere, wie Sindelar die Rolle des Mittelstürmers auffasse."

1932 brachte im Wembley-Stadion ein knappes 3:4 gegen Lehrmeister England dem Wunderteam und Sindelar – er schoss ein Tor – mehr Anerkennung als so mancher Sieg. 1933 endeten mit einem 1:2 in Prag die glanzvollen Jahre. 14 von 18 Spielen hatte das Team gewonnen, Sindelar 14 der 60 Tore geschossen. Mit der Austria sicherte er sich zweimal den Mitropa-Cup, Vorläufer des Europacups. Goldene Fußballjahre in einer politisch und wirtschaftlich düsteren Zeit ...

Die Armut der Kinderjahre prägte Sindelar. Ein Schrebergarten brachte ihm erstes kleinbürgerliches Glück. Für die Zeit nach dem Fußball arbeitete er als Abteilungsleiter eines Sportgeschäfts, brachte es zum Besitz eines kleinen Delikatessenladens, schließlich zum Cafetier.

Werbeverträge boten zusätzliches Geld. " Es schmeckt dem Sindelar Fru-Fru ganz wunderbar", verkündeten die Plakatwände. Seine Fans trugen Sindelar-Kappen und bewunderten ihr Idol als Filmstar in einem Lustspiel aus dem Fußball-Milieu.

Gscherter aus der Provinz

1936 verlor Österreich trotz zwei Sindelar-Toren 3:5 gegen Ungarn; die Fans nahmen es gelassen hin. Trotzdem war es ein denkwürdiges Match: Zum ersten Mal stand "ein Gscherter aus der Provinz", wie die Wiener abschätzig meinten, im Nationalteam: ein Linzer, Franz Fuchsberger vom SV Urfahr, der im selben Jahr im österreichischen Amateurteam bei den Olympischen Spielen in Berlin bereits Silber gewonnen hatte.

Nach dem Anschluss 1938 versuchte Sepp Herberger, Deutschlands Nationaltrainer, Sindelar für die großdeutsche Mannschaft zu gewinnen, erhielt aber einen Korb. "Ich nehme an, dass er aus politischen Gründen nicht mehr im Team spielen wollte, obgleich er noch immer ein gefeierter Star war."

Elf Monate später war Sindelar tot, erlosch der Stern, dem Friedrich Torberg – bereits im Exil – sein wehmütiges "Auf den Tod eines Fußballspielers" gewidmet hat ...

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