Lade Inhalte...
  • NEWSLETTER
  • ABO / EPAPER
  • Lade Login-Box ...
    Anmeldung
    Bitte E-Mail-Adresse eingeben
    Bitte geben Sie Ihre E-Mail-Adresse oder Ihren nachrichten.at Benutzernamen ein.

Die Polit-Schmiede im Sauwald

Von Markus Staudinger und Michael Schäfl   24.April 2019

Einer der Ihren beging vor wenigen Tagen ein rundes Jubiläum: Am Montag vergangener Woche (15. April) feierte Altlandeshauptmann Josef Ratzenböck (VP) wie berichtet seinen 90. Geburtstag. Der große Festakt zu diesem Anlass findet heute im Linzer Landhaus statt.

Ratzenböck ist wohl der bekannteste, aber lange nicht der einzige Politiker, den die Marktgemeinde Neukirchen am Walde mit ihren derzeit rund 1600 Einwohnern hervorgebracht hat.

Schon vor Ratzenböcks Geburt machte eine Politikerin auf sich aufmerksam, die ebenfalls in Neukirchen am Walde geboren worden war: Marie Beutlmayr. Die SP-Politikerin zog nach der Wahl vom 18. Mai 1919 als erste Frau in den oberösterreichischen Landtag.

In einem von Martina Gugglberger gestalteten Vortrag erinnerte das Katholische Bildungswerk Neukirchen unlängst an die Pionierin aus dem Hausruckviertel: Beutlmayr, geboren im Februar 1870, stammte aus ärmlichen Verhältnissen. Die Mutter war Landarbeiterin, der Vater kümmerte sich nicht um die Kinder. Es folgten Stationen als Haushaltsgehilfin in Wien und Naglerin im Linzer Dampfsägewerk. Sie war auch Mitbegründerin des Linzer Arbeiterinnenbildungsvereins und übernahm 1893 dessen Vorsitz.

1919 bleibt die damals 49-jährige Beutlmayr lange Zeit die einzige Frau unter den insgesamt 72 Abgeordneten des oberösterreichischen Landtags. Erst 1925 folgt mit Ferdinanda Flossmann (ebenfalls SP) eine zweite Mandatarin.

"Marie Beutlmayr war eine energische Rednerin und an den Wochenenden in ganz Oberösterreich unterwegs, um die Forderungen der sozialdemokratischen Frauenorganisationen zu verbreiten", sagt Gugglberger, Professorin am Institut für Neuere Geschichte und Zeitgeschichte der JKU.

Der Wirtsbua als Landeschef

Bis an die Landesspitze schaffte es in der Zweiten Republik dann Josef Ratzenböck. Gerne erzählt man sich in Neukirchen die Anekdote, als der junge Jusstudent Anfang der 1950er Jahre gemeinsam mit Freunden im Gastgarten die neue Republik Stauding ausrief. Die entstandene Unruhe rückte Neukirchen am Walde über Nacht ins Rampenlicht der Medienwelt (siehe untenstehender Artikel).

Josef Ratzenböcks Eltern waren Gastwirte in Neukirchen. Eindrücklich sind seine Erinnerungen an den Einmarsch der NS-Truppen im März 1938, die er im Vorjahr den OÖN schilderte. "Mein Vater hat bei Schuschniggs Abschiedsrede geweint. Ich habe ihn weder vorher noch nachher wieder weinen sehen."

Als Landeshauptmann prägte Josef Ratzenböck von 1977 bis 1995 das Land.

Der "eiserne Franz"

Ebenfalls 1977 wurde mit Franz Ruhaltinger ein Neukirchner Voest-Betriebsratschef. In Zeiten der Verstaatlichten Industrie eine mächtige Position. In der Voest vertrat Ruhaltinger die Interessen von 70.000 Mitarbeitern. Sein Wort hatte in der SPÖ Gewicht. Von 1979 bis 1990 saß der "eiserne Franz", wie er auch genannt wurde, im Nationalrat. "Ich habe ausgeteilt. Ich habe eingesteckt" – so beschrieb sich der Ende 2014 verstorbene Ruhaltinger in seiner Autobiografie "Vom Armenschüler zum Arbeiterführer". Die Freundschaft zu Ratzenböck hielt trotz gegensätzlicher politischer Ausrichtung. "Wir telefonieren mindestens einmal im Monat", sagte Ratzenböck den OÖN ein Jahr vor Ruhaltingers Tod.

"Ein gutes Biotop für Politiker"

"In und um Neukirchen – das scheint ein gutes Biotop für Politiker zu sein", sagt Franz Hiesl. Der langjährige Landeshauptmann-Stellvertreter und Weggefährte des ehemaligen Landeshauptmanns Josef Pühringer stammt aus der Nachbargemeinde Eschenau.

Seine politische Karriere begann Hiesl, als er 1973 die Ortsgruppe Neukirchen/Eschenau der Jungen ÖVP gründete. Gastredner war – der damalige VP-Landesparteisekretär Josef Ratzenböck. Er schickte Hiesl bald darauf als Bezirksparteisekretär nach Perg, wo Hiesl bis heute lebt. Die Verbundenheit zum Sauwald aber blieb.

Ebenfalls in einem Nachbarort von Neukirchen – in Natternbach – ist der prägende Landeshauptmann der Ersten Republik, der Christlich-Soziale Johann Nepomuk Hauser, aufgewachsen.

Die Dichte, in der der Sauwald Politiker hervorgebracht hat, ist bemerkenswert. Um billigen Kalauern vorzubeugen, sei der Name der Region noch erklärt: Er hat nichts mit den gleichnamigen Tieren zu tun, sondern ist eine Kurzform von "Passauer Wald".

Berühmte Neukirchner

Marie Beutlmayr, die 1870 geborene Polit-Pionierin, war eine der wichtigsten Politikerinnen Oberösterreichs. Sie starb 1948.

1927 geboren, war Franz Ruhaltinger eine zentrale Figur der Gewerkschaftsbewegung. Bis zu seinem Tod 2014 verband ihn eine Freundschaft mit Ratzenböck.

Josef Ratzenböck feierte vor Kurzem seinen 90. Geburtstag. Von 1977 bis 1995 lenkte er als Landeshauptmann die Geschicke Oberösterreichs.

Franz Hiesl, 1952 in der Neukirchner Nachbargemeinde Eschenau geboren, bildete mit Landeshauptmann Josef Pühringer ein ikonisches Polit-Duo.

 Als Ratzenböck Justizminister der „Republik Stauding“ wurde

Im Wirtshaus nahm alles seinen Anfang: Im Juni 1952 feierten die Neukirchner das 75. Bestandsjubiläum ihres Musikvereins. Man traf sich im Gastgarten des Gasthofs Berghamer. Bei ausgelassener Stimmung wurde diskutiert, wie man die Welt verbessern könne. Anfangs noch scherzhaft, hatte wenige Augenblicke später unter Birnbäumen und Hollerstauden die neue Republik Stauding das Licht der Welt erblickt.

„Der Name für unsere neue Republik war schnell gefunden, weil Birnbaming nicht gut geklungen hätte“, erklärte „Staatspräsident“ Max Lang, seines Zeichens Inhaber der örtlichen Auto-Werkstätte. Die demokratische Verfassung war rasch ausgeschnapst und die ersten Minister ernannt. Justizminister war niemand Geringerer als der spätere Landeshauptmann Josef Ratzenböck. Obwohl die Staatsbürger der Republik auch Regierungsmitglieder waren, umfasste sie anfangs bloß 20 Personen.

Nicht jeder war würdig, das Hoheitsabzeichen, einen Spatzenfuß, am Halsband zu tragen. Was für die meisten wie ein Faschingsscherz klang, hatte eine Mission: Die Staudinger wollten die Verständigung und Vereinigung der Menschen mit Humor vorantreiben. Bald wurde die österreichische Gendarmerie auf die Republik in der Republik aufmerksam. Staatspräsident Lang wurde der „Geheimbündelei“ bezichtigt und verhört, jedoch nicht ernst genommen. Doch die Staudinger wollten ernst genommen werden. Deshalb verfasste der Justizminister eine Protestnote an den Außenminister der Republik Österreich: „Zur Vermeidung etwaiger Differenzen zwischen den beiden Staaten ersucht die Regierung der Republik Stauding den Herrn Außenminister der Republik Österreich sich künftig in allen Angelegenheiten an den Herrn Justizminister der Republik Stauding, Josef Ratzenböck, zu wenden.“ Am 15. August berichteten sogar die „London Times“ und die „New York Times“ über „The Minister’s Council, the Republic of Stauding“.

Nachdem sich unter Anleitung des Staudinger Unterrichtsministers Hermann Polz, späterer Langzeit-Chefredakteur der OÖN, in Wien bereits die erste Stauding-Kolonie herausgebildet hatte, bereitete man in Österreich einen Geheimbündelei-Prozess vor. Die Staudinger wurden regelmäßig verhört und wollten aus dem drohenden Prozess ein Publicity-Ereignis machen, um ihrer Botschaft noch mehr Öffentlichkeit zu verschaffen. Auf Seiten der Republik Österreich ahnte man dies und ließ deshalb im Februar 1953 die Anklage fallen.

Den Staudingern war ihre große Bühne genommen. So schnell, wie die junge Republik entstanden war, legten sie sie auch wieder ad acta. Die in der Freizeit geführten Regierungsgeschäfte waren ohnehin zu anstrengend und zeitraubend. So wurde aus der Neukirchner Polit-Utopie die Lieblingsanekdote der Einheimischen.

copyright  2024
28. März 2024