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Kunst und Kultur nach 9/11

Von Lukas Luger, 09. September 2011, 00:04 Uhr
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Bildergalerie In Gedenken an den 11. September 2001
Bild: Reuters

Die Kunst ist der Seismograph gesellschaftlicher Umstürze. Besonders in Zeiten der Katastrophe drängt man Literaten, Musikern und Filmemachern die Verantwortung auf, stellvertretend für die Masse als politisch-moralische Instanz Stellung zu beziehen.

Die Kunst ist der Seismograph gesellschaftlicher Umstürze. Besonders in Zeiten der Katastrophe drängt man Literaten, Musikern und Filmemachern die Verantwortung auf, stellvertretend für die Masse als politisch-moralische Instanz Stellung zu beziehen. Im Falle der Anschläge vom 11. September 2001 hat die Kunst versagt.

Eigentlich sollen die Künstler das Grauen emotional fassbar und das Unvorstellbare durch Überhöhung und Verfremdung erfahrbar machen, in einen historischen Kontext setzen. So wie es in der Geschichte der Kunst immer wieder geschah: von Pablo Picassos „Guernica“ bis hin zu Coppolas Vietnam-Epos „Apocalypse Now“.

Bei „9/11“, wie die Amerikaner den Schreckenstag nennen, ist eine kritische und anspruchsvolle Aufarbeitung bis heute weitgehend ausgeblieben. Es scheint, als ob die Künstler ein Jahrzehnt danach immer noch nach der adäquaten Sprache suchen, um das Entsetzliche zu verarbeiten. Die Anschläge auf das World Trade Center – eine Katastrophe, zu wirkungsmächtig für die Kunst?

Natürlich gab es immer wieder Versuche der künstlerischen Aufarbeitung. Zuerst meldeten sich die Musiker zu Wort. Denn jede Katastrophe braucht ihren Soundtrack, identitätsstiftende Lieder, die sich für Benefizkonzerte genauso eignen wie zur Untermalung berührender Fotostrecken. Songs, die den Zusammenhalt einer verwundeten Nation stärken. Patriotisch und gewaltbereit, machte die konservative US-Countryszene in Gestalt von Toby Keith und Dolly Parton die Kunst zum Ventil des aufgestauten Hasses.

Er werde für das Recht auf Freiheit kämpfen, versicherte auch Paul McCartney in seinem am Tag nach dem Terrorakt geschriebenen Song „Freedom“. Ein von patriotischem Zorn getragenes Lied, das klang wie eine vertonte Version all jener Floskeln, die den „Krieg gegen die zivilisierte Welt“ und den „Untergang des Abendlandes“ heraufbeschwören. Ein Song, der ohne Wirkung blieb. Wenige Wochen später nahm der Ex-Beatle das Lied nach negativen Publikumsreaktionen wieder aus dem Tourneeprogramm. Denn wenn der erste Schock verflogen und die Wut dem Wunsch zu verstehen gewichen ist, reichen martialische Parolen nicht länger aus.

Einzig Bruce Springsteen fand einen Weg, sich emotional angemessen dem Thema zu nähern, weil er begriff, dass weder mit Betroffenheitskitsch noch zornigem Pathos der Katastrophe beizukommen ist. Mit dem stillen Meisterwerk „The Rising“ widmete er ein ganzes Album der Auferstehung New Yorks aus den Ruinen, irgendwo zwischen Verzweiflung, Gottvertrauen und der vagen Hoffnung auf Frieden.

 

Am kläglichsten scheiterte der Film. Die umstrittene Behauptung des Komponisten Karlheinz Stockhausen, dass „9/11“ aus ästhetischer Sicht das größte Kunstwerk aller Zeiten sei, traf den wunden Punkt der Cineasten. Die Bilder der einstürzenden Twin Towers gehören zweifellos zu den einprägendsten, die jemals zu sehen waren. Abseits von Heldenkitsch wie in Oliver Stones „World Trade Center“, Paul Greengrass’ dokumentarisch angehauchtem Drama „Flug 93“ und den plumpen Bush-Attacken Michael Moores („Fahrenheit 9/11“) fand Hollywood keinen Weg, der brutalen Kraft der Bilder aus der Realität etwas Ebenbürtiges entgegenzusetzen. Die Ohnmacht der Filmindustrie gegenüber der Wucht des Schreckens bekam auch ein Superheld zu spüren. Gleich nach den Anschlägen verschwand aus dem Trailer zu „Spiderman“ jene Szene, in der sich ein Hubschrauber zwischen den Türmen des World Trade Center im Spinnennetz verfängt. Das Kino kapitulierte vor der Wirklichkeit.

Ebenfalls an ihre Grenzen stieß die Literatur. Selbst große Autoren wie Ian McEwan („Saturday“) oder John Updike („Terrorist“) rückten die Anschläge in ihren Büchern bewusst an die Peripherie und reflektierten mehr über die eigene Sprachlosigkeit im Angesicht der Katastrophe als über das Ereignis als solches. Als einzig „richtiger 9/11-Roman“ gilt Jonathan Safran Foers wunderbares Buch „Extrem laut und unglaublich nah“, in dem ein Kind als Ich-Erzähler durch ein surreal wirkendes Post-9/11-New York taumelt.

Was bleibt also von der künstlerischen Reaktion auf die September-Anschläge? Zum einen eine starke Politisierung der Kunstszene als Antwort auf die Politik der Bush-Administration in den Jahren bis 2008. Die Diskussionen um die kritischen Äußerungen der texanischen Country-Band „Dixie Chicks“ gegenüber George W. Bush sind dafür ein exemplarisches Beispiel. Der Sager von Sängerin Natalie Maines, man schäme sich, aus demselben Bundesstaat wie der US-Präsident zu stammen, zog eine für die US-Kunstszene enorm ergiebige Debatte um das Recht auf freie Meinungsäußerung und die politische Verantwortung der Kulturschaffenden nach sich.

Als Folge des 11. September ist überdies ein erstarktes Interesse am islamischen Kulturraum feststellbar. Positiv im Sinne von einer Flut an Romanen, Filmen und Ausstellungen aus und über die Region, negativ im Sinne der Beschwörung einer vermeintlichen Bedrohung des „Westens“ durch den Islam. Der bärtige Terrorist hat den kommunistischen Spion als Lieblingsbösewicht in TV, Film und Krimi abgelöst.

 

Der Umgang der Kunstszene mit den Terroranschlägen an sich ist auch zehn Jahre später zurückhaltend. Und geht trotz der Heftigkeit, mit der das Ereignis in unsere Lebenswelt eingebrochen ist, oft nicht über Anspielungen und künstlerisch wenig ergiebige Provokationen hinaus. Hier hat die Kunst versagt.

Geduld ist gefragt. Bis zur Aufarbeitung des Vietnam-Traumas ließ sich die Kunstszene mehr als eine Dekade Zeit, zwischen dem Ausbruch von AIDS und der künstlerischen Thematisierung der tödlichen Immunschwächekrankheit vergingen 15 Jahre.

Noch sind die Wunden, die „9/11“ geschlagen hat, offen, die Bilder des Schreckens eingebrannt und die Trauer um die Verlorenen unmittelbarer Schmerz. Noch ist dieser Tag nicht in der Vergangenheit angekommen und die Realität zu überwältigend für eine tiefgehende Reproduktion durch die Kunst. Noch.

 

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1  Kommentar
1  Kommentar
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( Kommentare)
am 09.09.2011 14:36

Gerade habe ich einen Artikel über einen politischen Künstler gelesen, der sich die Medienbilder zu 9/11 angeeignet hat. Lohnt sich!
http://www.schirn-magazin.de/kontext/jonathan-horowitz-politische-kunst-nach-911/

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