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Vereint oder immer noch geteilt?

Von Christine Zeiner   03.Oktober 2015

  • Gibt es sie, die blühenden Landschaften, die der deutsche Kanzler Helmut Kohl nach der Wiedervereinigung versprach?
  • Vor 25 Jahren, am 3. Oktober 1990, wurde die deutsche Einheit staatsrechtlich „vollendet“, das Zusammenwachsen von Ost und West begann. Doch sind alle Mauern eingerissen?
  • Eine Analyse von Christine Zeiner aus Berlin.

Analyse

Wie viele wünschen sich die DDR zurück? Die Umfragen sind immer ein Knüller, zumindest auf den ersten Blick. Mal sehnt sich jeder vierte, mal jeder neunte, mal jeder fünfte Ostdeutsche nach dem alten Staat. Sind also Ost- und Westdeutschland immer noch nicht „zusammengewachsen“?

Fragt man im Freundes- und Bekanntenkreis, scheint das Thema weitgehend erledigt zu sein. „Wenn ich das schon höre, ob wir zusammengewachsen sind“, sagt ein Mann, Anfang vierzig, gebürtiger Ostberliner. Er selbst lebe heute in Kreuzberg, einst Westberlin, und „Angie, die Ostfrau aus Templin, jettet zu Obama nach Washington.“

Ein anderer erinnert sich, dass man früher – vor und eine Zeitlang nach der Wende – das Bild im Kopf hatte vom materiell rückständigen „Ossi“, der nicht so ganz auf der Höhe der Zeit sei. Das habe sich aber mittlerweile natürlich geändert.

Und eine Bekannte aus Westdeutschland sagt, als sie vor 15 Jahren in Magdeburg zu arbeiten begonnen habe, sei man ihr mitunter mit offener Ablehnung begegnet: Als „Wessi“ sei man auf den schönen Schein fixiert, nicht auf menschliche Werte. Solche Erfahrungen mache sie heute kaum noch.

"Einheitsmännchen": Mehr als 1000 kleine Männchen in den Farben Grün, Schwarz, Rot und Gelb als Kunstinstallation anlässlich der 25-Jahr-Feierlichkeiten in Frankfurt/Main.    

„Es gibt noch viel zu tun“

„Meine Bilanz nach 25 Jahren Aufbau Ost ist positiv“, sagt auch die Ostbeauftragte der Bundesregierung, Iris Gleicke, und nennt dafür vor allem Wirtschaftsdaten. Die DDR habe sich 1990 in einem „desolaten“ Zustand befunden, weite Teile des Wohnungsbestandes seien sanierungsbedürftig, die Umweltverschmutzung enorm und die Wirtschaft nicht wettbewerbsfähig gewesen. Das alles habe sich verbessert. „Es gibt aber immer noch viel zu tun“, sagt die Staatssekretärin. Der Rückstand zum Westen bleibt laut dem Bericht zum „Stand der deutschen Einheit“. Konkret heißt das: Die Arbeitslosenquote erreichte in Ostdeutschland im vergangenen Jahr zwar einen „neuen historischen Tiefstand“. Allerdings ist der Wert mit 9,8 Prozent immer noch deutlich höher als mit 5,9 Prozent im Westen. Auch die Wirtschaftskraft hat sich – gemessen am Bruttoinlandsprodukt – positiv entwickelt, befindet sich aber nach wie vor ein Drittel unter dem Wert der elf alten Bundesländer. Die Arbeitsproduktivität liegt in den fünf neuen Bundesländern heute bei 71 Prozent des westdeutschen Niveaus.

Auch die Steuerkraft bleibt deutlich zurück – selbst im Vergleich mit finanzschwachen westdeutschen Ländern betrage sie nur 61 Prozent. Laut Bundesregierung ist Ostdeutschland „flächendeckend“ strukturschwach, auch „Leuchttürme“ wie Dresden und Leipzig hinken im Vergleich hinterher. Es fehlen demnach große Unternehmen und Konzernzentralen mit Forschungsabteilungen. Innovationen und Produktivität seien im Vergleich zu Westdeutschland gering.

Das Symbol der Einheit: das Brandenburger Tor. Die Mauer wird abgetragen, 20. Februar 1990.

Reisefreiheit und die eigenen Grenzen

Bis 2019 bekommen die ostdeutschen Länder derzeit im Rahmen des „Solidarpakts II“ Finanzhilfen. Staatssekretärin Gleicke tritt darüber hinaus für eine Sonderförderung strukturschwacher Regionen ein – in Ost und West. Wie „das Ding“ dann heiße, sei ihr letztlich egal. „Alle Länder und Kommunen“ sollen ihre Aufgaben erfüllen können. Und was sagt die Ostbeauftragte der Bundesregierung abgesehen von den Finanzen? Was etwa heißt es in ihren Augen, dass nach eigenen Angaben 27 Prozent der Westdeutschen noch nie in den neuen Bundesländern gewesen seien und 18 Prozent der Ostdeutschen noch nie in den alten? Natürlich werbe man dafür, dass sich Westdeutsche auch mal Eisenach, Leipzig und Schwerin ansehen, antwortete die aus Thüringen stammende Sozialdemokratin. „Reisefreiheit bedeutet aber, dass die Menschen selbst entscheiden können, wohin sie fahren. Dafür haben wir gekämpft, dafür haben wir die Mauer eingerissen.“

Ein westdeutscher Freund fragt sich indes, ob die Reise-Umfrage viel über das Verhältnis von Ost- und Westdeutschland aussagt: „Wie viele ,Wessi’-Franken waren denn noch nicht im ,Wessi’-Ruhrgebiet und umgekehrt?“ Mentalitätsunterschiede gebe es schließlich auch unter den Westdeutschen – und unter den Ostdeutschen vermutlich auch.

Im Lauf der Zeit

25 Jahre deutsche Einheit
 

  • 1945: Ende II. Weltkrieg, Siegermächte teilen Deutschland und Berlin in vier Besatzungszonen
     
  • 23. Mai 1949: Gründung der Bundesrepublik Deutschland (BRD) aus amerikanischer, englischer und französischer Besatzungszone und Westberlin
  • Oktober 1949: Gründung der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) aus sowjetischer Besatzungszone und Ostberlin
     
  • 1952: Die DDR errichtet eine Sperrzone an der Grenze zur BRD
     
  • 1961: DDR beginnt Bau der Berliner Mauer nach der Flucht von knapp drei Mio. Bürgern über die bis dahin offenen Grenzen.
     
  • September 1989: 50.000 DDR-Bürger flüchten über die ungarisch-österreichische Grenze in die BRD
     
  • 9. November 1989: Fall der Berliner Mauer, Öffnung weiterer DDR-Grenzübergänge
     
  • 3. Oktober 1990: Vollzug der Wiedervereinigung

 

 

Lesestoff

Buchtipps

 

Terror gegen Kinder

 Kerstin Gueffroy war als Kind „schwierig“. Das reichte in der DDR, um in das menschenverachtende System der Heime und Jugendwerkhöfe eingewiesen zu werden. Gueffroys Schicksal – Einzelhaft, Dunkelzelle, Demütigung – steht stellvertretend für ein unmenschliches System, das selbst Kinder drangsalierte. Ein aufrüttelndes Buch! 
Die Hölle von Torgau: Kerstin Gueffroy, Orell Füssli, 224 S., 20,60 Euro

Kinder als Spitzel

Die Staatssicherheit, der bis zum Mauerfall allgegenwärtige Überwachungsapparat der DDR, hat sogar Kinder als Spitzel eingesetzt – Angela Marquardt wurde als 15-Jährige angeworben. Die spätere Bundestagsabgeordnete (für die Linkspartei PDS) erzählt in diesem Buch schonungslos ihre ungewöhnliche Lebensgeschichte. 
Vater, Mutter, Stasi: Angela Marquardt, Kiepenheuer & Witsch, 234 Seiten, 15,50 Euro.

Die Mehrheit schwieg

Wie konnte die DDR, der real vegetierende Sozialismus deutscher Prägung, 40 Jahre lang überleben? Es waren Millionen Mitläufer, die das möglich machten. Und es war das Schweigen der Mehrheit. Dabei gab es durchaus Möglichkeiten, passiven Widerstand zu leisten – wie dieses Buch eindrucksvoll zeigt.    (schuh)
Die Schuld der Mitläufer: Roman Grafe (Hg.), Pantheon Verlag, 204 Seiten, 15,40 Euro

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28. März 2024