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22 Stunden unter der Erde

Von Martin Dunst, 30. Juni 2015, 00:05 Uhr
Die Rettungsaktion läuft. Bild: OÖN/wa

Tunneleinsturz am 30. Juni 1992 in Lambach. Fünf Arbeiter werden verschüttet. Die Rettungsmaßnahmen laufen zäh an, es dauert fast einen ganzen Tag lang, bis das Quintett unverletzt wieder ans Tageslicht gelangt.

  • Tunneleinsturz am 30. Juni 1992 in Lambach. Fünf Arbeiter werden verschüttet.
  • Die Rettungsmaßnahmen laufen zäh an, es dauert fast einen ganzen Tag lang, bis das Quintett unverletzt wieder ans Tageslicht gelangt.

22 Stunden unter der Erde

Eine enorme Druckwelle, dann geht das Licht aus. Fünf Männer der Baufirma Alpine sind 30 Meter unter den Maisfeldern von Lambach gefangen. Ein Teil des halbfertigen Eisenbahntunnels ist eingestürzt. Das Bauwerk soll auf der Westbahnstrecke zwei Minuten Zeitgewinn bringen.

Doch das ist den Männern, die tief unter der Erde festsitzen, gleichgültig. Viel wichtiger ist: Ein Belüftungsschacht ist intakt geblieben. Die Verschütteten können über diese Nabelschnur unter anderem mit Würsteln, Mineralwasser und Zigaretten versorgt werden. Es beginnen bange und lange Stunden des Wartens für die Bauarbeiter, die aus der Steiermark, Salzburg und Osttirol stammen.

Die Rettungsarbeiten verlaufen anfangs nicht nach Wunsch. Da immer wieder Erdreich nachrutscht, geht bei der Rettungsgrube nichts weiter. Die Verantwortlichen müssen dafür viel Kritik einstecken. Nach endlos scheinenden 22 Stunden kehrt das Quintett schließlich doch wohlbehalten an die Oberfläche zurück. Die Freude ist groß, täuscht aber nicht darüber hinweg, dass hier viel Glück und wohl auch eine Portion Dilettantismus im Spiel war.

In den folgenden Tagen wurden viele, teils unangenehme Fragen nach Verantwortung, ausreichenden Sicherheitsmaßnahmen und dem Auslöser für das Tunnelunglück gestellt. „Es war eine geologische Schwachstelle im Boden, die während des Vortriebs nicht erkannt werden konnte“, sagt der technische Vorstand der Hochleistungs-Strecken AG, Georg-Michael Vavrovsky. Auch eine parlamentarische Anfrage an den damaligen Verkehrsminister Viktor Klima (SP) brachte keine restlose Aufklärung des Unglücks. Anrainer machten sich große Sorgen um die Sicherheit ihrer Anwesen, wollten eine Ablöse ihrer Grundstücke erzwingen. Und wie reagierten die fünf Geretteten? „Jetzt trinken wir einen Schluck Bier, rasten uns etwas aus, und am Montag wird wieder in die Hände gespuckt.“

Nachgefragt...

Die fünf Männer überstanden die Wartezeit unter Tage gut. Bild: OÖN/wa

Nachgefragt bei ...Kurt Derler (62), Verschütteter
 

  1. Welche Erinnerungen haben Sie an das Unglück?
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    Kurt Derler, 62

    Kurt Derler wurde verschüttet.

    Ich war im Vortrieb, als hinter mir eine Druckwelle einsetzte. Ab diesem Zeitpunkt war alles stockfinster. Zum Glück konnten wir uns mit den Baugeräten etwas Licht machen. Nach drei bis vier Stunden nahmen wir über die Betonspritzleitung Kontakt mit unseren Rettern auf. Die Verschütteten waren bis zur Rettung immer zusammen. Ich kann nicht sagen, dass ich große Angst hatte. Denn ich zweifelte keine Sekunde an meiner Rettung.
  2. Wie erging es Ihnen in den Wochen und Monaten nach dem Tunneleinsturz?

    Ich war nur drei Tage zuhause. Am vierten Tag hatte ich Nachtschicht. Das ist wichtig im Tunnelbau. Wenn etwas passiert, musst du möglichst schnell weitermachen. Sonst bekommt man Angst. Psychologische Betreuung gab es damals noch keine. Vor zwei Jahren ging ich in Pension. Jetzt genieße ein Rentnerdasein mit meiner Familie.
  3. Wie reagieren Sie auf Grubenunglücke wie 1998 in Lassing oder vor fünf Jahren in Chile?

    Obwohl ich selbst Steirer bin und mich die Katastrophe in Lassing daher sehr bewegt hat, ging mir das Unglück in Chile noch etwas näher, weil meine Firmenkollegen damals den Rettungsschacht gebohrt haben.

Originalbericht

Auf der Baggerschaufel ans Licht Bild: OÖN/wa

"Würstel und Zigaretten durch Rohr geschossen"

Am 2. Juli 1992 erschien in den OÖNachrichten unter dem Titel "Mineure müssen mit so was rechnen" ein großer Artikel über den Tunneneinsturz in Lambach. Lesen Sie hier den Originaltext: 

Zum großen Glück blieb der kleine Belüftungsschacht beim Erdeinbruch im Tunnel unbeschädigt. So konnten die Verschütteten gestern mit Zigaretten und Würsteln versorgt werden, die man mit Preßluft durch ein Rohr schoß. Mineralwasser hatten sie selber angeblich noch genug. Sie saßen ruhig, versuchten zu schlafen, um möglichst wenig körperliche Energie zu verbrauchen, und hatten Sprechverbindung.

Da das Belüftungsrohrblech den Schall leitet, können sich die Rettungsmannschaften mit ihnen verständigen. Der eingeschlossene Sepp Edler: "Wir haben den Einsturz nicht gehört, sondern erst die Lage erfaßt, als wir zurückkommen wollten. AberMineure müssen halt mit so was rechnen. Wir sind unverletzt, uns geht's gut, nur die Luft wird immer schlechter."

Die Verschütteten sind Peter Schitter (28) aus Mariapfarr im Salzburger Land, Hubert Leo (26) aus Virgen in Osttirol, Georg Frischmann (30) aus Oberhofen im Inntal sowie die beiden Steirer Peter Derler (38) aus St. Jakob-Breitenau und Sepp Edler (29) aus Maria Lankowitz. Über die Familienverhältnisse der lebendig begrabenen Männer konnte die Baufirma gestern keine Angaben machen, wie viele verheiratet sind oder Kinder haben, schien auch in den Personalunterlagen nicht auf.

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Bericht auf der Titelseite

Lesen Sie hier den Originalbericht auf der Titelseite der OÖNachrichten vom 2. Juni 1992.

Experten nahmen gestern an, daß die Luft mindestens für zwei Tage reichen müßte. Die Geborgenen hätten aber nur noch Stunden ausgehalten.

Die Rettungsaktion lief von oben ab. Das sei erfolgversprechender, als von innen den Schutt wegzuräumen, hieß es. So gruben Bagger in der Lambacher Ortschaft Ziegelstadl einen Krater aus. Auf dem strohbedeckten Feld des Bauernhofes Zobl, 300 Meter nördlich der Kalvarienbergkirche.

Zu Mittag war man auf 15 Meter Tiefe. Doch dann ging mit dieser Methode nichts mehr weiter. Das Erdreich rutschte immer wieder nach. Da ein Gewitter angesagt war und Bagger nicht in einer Schlammwüste buddeln können, entschloß man sich zu einer zweiten Bohrung weiter westlich, diesmal in Brunnenbauweise. Doch allein die Vorbereitungen dafür dauerten ewig.

"Wir konnten das nicht ahnen"

Hier setzte generell die Kritik ein. "Quasi mit Spielzeuggeräten hat man die Bergung begonnen. Da hätte von Anfang an eine ganze Löffelbaggerflotte hergehört. Es war dilettantisch", schimpften Leute vom Fach. Darauf der technische Vorstand der Hochleistungsstrecken-AG, Montaningenieur Dr. Georg-Michael Vavrovsky: "Wir konnten nicht ahnen, daß das Erdreich immer wieder nachrutscht."

Und wie konnte das ganze Unglück überhaupt passieren? Angeblich haben ja Geologen vor Beginn des Tunnelbaus genügend probegebohrt. "Es war eine geologische Schwachstelle im Boden, die während des Vortriebs nicht erkannt werden konnte", lautet die Formulierung, auf die sich Vavrovsky zurückzieht. Alles andere müsse man der Ursachenforschung überlassen, die nach der Rettung der Verschütteten einsetzt.

Die geologische Bundesanstalt in Wien erklärt, man habe gewußt, daß sich im Bereich des Westportals eine Schottermassebewegung abzeichnet. Mit einer "schlauchartigen Verwitterung des Kieses". Daher waren Vorkehrungsmaßnahmen notwendig. Und die Anstalt ist überzeugt, daß diese auch getroffen wurden. Der Tunnelbau war ihrer Ansicht nach jedenfalls verantwortbar.

Anders dachten von jeher die Anrainer, deren Häuser über der Röhre stehen. Renate Zizler: "Wenn wir Bedenken anmeldeten, hat man uns immer lächelnd abgewimmelt. Es war eine Gnade, wenn sich einer von den hohen Herren herabließ, um uns etwas zu erklären. Die Nordseite unseres Hauses wird bald über dem Tunnel liegen." Aber es kann eh nix passieren, hat man den Leuten stets versichert. Und die Bahn werde für etwaige Schäden aufkommen.

Anrainer haben jetzt große Angst

Die Vertikalanrainer des Tunnels haben jetzt große Angst, daß sie einmal samt ihren Häusern abstürzen. Der Lambacher Bürgermeister Friedrich Ilk will nicht zulassen, daß Bürger seiner Gemeinde verschluckt werden: "Auf jeden Fall muß das Gelände jetzt vor dem Weiterbau noch einmal untersucht werden. Da laß ich nicht locker."

Fast zwangsläufig geschah am gestrigen Nachmittag, was bei Unglücksfällen immer passiert: Ganze Scharen von Schaulustigen setzten sich zur Unglücksstelle in Bewegung. Schließlich wurden 30 Gendarmerieschüler an Ort und Stelle beordert, um die Neugierigen auf Abstand von der Rettungsaktion zu halten, die ohnehin schon schwierig genug war.

Tunnel bringt Bahn zwei Minuten Gewinn

Der 1410 Meter lange Lambacher Bahntunnel ist Kernstück der 3,9 Kilometer langen Bahnumfahrung für Lambach, die von der HochleistungsstreÍken-AG gebaut wird.

Die Umfahrung beginnt östlich des Lambacher Bahnhofes und endet westlich der Haltestelle Lambach-Markt. Sie wird den Hochgeschwindigkeitszügen eine Zeitersparnis von zwei Minuten bringen und soll erlauben, daß sie mit 200 Stundenkilometern dahindonnern. Die bisherige Strecke wird nur um 300 Meter verkürzt. Die Kosten werden bei geschätzten 490 Millionen liegen, die Fertigstellung des Bauloses Lambach war für 1994 geplant. Ob dieser Termin nach dem Tunneleinsturz gehalten werden kann, steht noch nicht fest.

Bisher wurde der Tunnel täglich um fünf bis sieben Meter vorangetrieben. Abgelöst werden mußten für den Bau fünf Hektar Grund und zwei Häuser. Gegen das Projekt hatte es Widerstände von Anrainern gegeben. Der Bau der Röhre erfolgte in der sogenannten österreichischen Tunnelbauweise, die als Vortriebssystem bereits weltweit angewendet wird.

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