Wenn die Chinesen Rügen kaufen...
Die 1968er-Legende F.C. Delius liest im Posthof aus seinem neuen Roman.
Für literaturnahe Achtundsechziger ist Friedrich Christian Delius eine Art Legende. Der 1943 geborene Autor gehörte in den Sechzigern und Siebzigern zu den jungen Wilden der deutschen Autorenszene. Er war Lektor bei den profilierten linken Verlagen Wagenbach und Rotbuch. Auf sein Buch "Unsere Siemens-Welt" (1972) reagierte der Konzern mit einer Klage.
Kritische Zeitgenossenschaft, stilistische Souveränität, pointierter Humor und Selbstironie kennzeichnen viele Werke von Delius, so auch seinen jüngsten Tagebuch-Roman "Wenn die Chinesen Rügen kaufen, dann denkt an mich". Ein 63-jähriger Wirtschaftsjournalist mit dem aussagekräftigen Spitznamen "Kassandra" verliert seinen Arbeitsplatz bei einer großen Tageszeitung. Die Kündigung erfolgt zwar auf "sozialverträgliche" Weise, als fließender Übergang in die Rente. Existenziell ist er nicht bedroht, aber die Kränkung sitzt tief, denn "Kassandra" weiß: Der Grund für seine Verabschiedung in den Ruhestand sind seine unerwünschten Ansichten, über Angela Merkel, die "meistüberschätzte Kanzlerin", oder über die chinesische Politik, diesen "stalinistischen Kapitalismus". Man kann davon ausgehen, dass der Journalist auch das Sprachrohr des Autors ist.
Nach seiner "Freisetzung" denkt "Kassandra" darüber nach, wie er weitermachen könnte, denn leben ohne zu schreiben, das geht gar nicht. So entscheidet er sich für ein Tagebuch. Ganz ohne Leser will er aber nicht bleiben.
Angesprochen wird die Nichte Lena, eine neunzehnjährige Abiturientin, die das Tagebuch des Onkels vielleicht in zwanzig Jahren lesen wird, als Dokument aus der "prächinesischen Epoche". Man kann dieser fiktiven Lena nur wünschen, dass sie an diesem Werk ebenso viel Vergnügen finden wird wie der heutige Leser.
Friedrich Christian Delius: "Wenn die Chinesen Rügen kaufen, dann denkt an mich." Roman, Rowohlt, 250 Seiten, 20,60 Euro
OÖN Bewertung:
Lesung mit F.C. Delius, Posthof Linz, Samstag, 29. Februar, 20 Uhr