Lade Inhalte...
  • NEWSLETTER
  • ABO / EPAPER
  • Lade Login-Box ...
    Anmeldung
    Bitte E-Mail-Adresse eingeben
    Bitte geben Sie Ihre E-Mail-Adresse oder Ihren nachrichten.at Benutzernamen ein.

gemerkt
merken
teilen

Von Narziss und Narzisse

16. Mai 2020, 00:04 Uhr
Von Narziss und Narzisse
Will die Narzissen nicht missen: der Grünauer Märchenerzähler Helmut Wittmann.

Als Narziss wird ein Mensch bezeichnet, bei dem sich alles nur um sich selbst dreht. Was das mit der Narzisse zu tun hat, erzählt Helmut Wittmann mit einer Sage aus dem antiken Griechenland

Nymphen sind feenhafte Naturgeister. Sie sind liebreizend, aber mitunter auch leichtfertig. So ließ sich vor Zeiten eine Wassernymphe namens Leiriope mit dem Flussgott Kephissos ein. Das Liebesspiel blieb nicht ohne Folgen: Die Nymphe wurde schwanger und setzte einen Sohn in die Welt. Den nannte sie Narziss. Um den kleinen Narziss drehte sich jetzt alles. Seine Mutter vergötterte ihn ganz und gar. Ja, sie war selig vor Verzückung, wenn sie nur seinen Namen aussprach – Narziss!

Bei ihren Nymphen-Freundinnen war es nicht anders. Der Kleine war ihr Herzallerliebstes, ihr Ein und Alles – so schön, so lieb, so gescheit. Der weise Seher Teiresias aber prophezeite: Der Knabe wird nur ein langes und gutes Leben haben, solange er sich selber nicht erkennt. Solange er sich also nicht selbst in einem Spiegel sieht. Teiresias war berühmt dafür, dass er in seinen Sprüchen unfehlbar war. Aber die Zeit verging, und kein Mensch dachte mehr an seinen Spruch. Alle aber sprachen davon, wie gut, wie liebreizend und wie gescheit der Narziss war. Der Knabe wuchs heran und glaubte das mit der Zeit natürlich auch selber. Er hörte es ja Tag für Tag von allen, also war es für ihn ganz selbstverständlich – so und nicht anders! Es priesen ja nicht nur die Nymphen seine Vorzüge in den höchsten Tönen. Sogar die Fische und auch die anderen Lebewesen sangen das hohe Lied vom Narziss.

Der Fluch der Medusa

So hörte das auch die alte Medusa. Die Medusa war früher selber so schön gewesen wie keine andere. Dann aber hatte sie die Göttin Athene in einem ihrer Tempel beim Liebesspiel mit Poseidon, dem Meeresgott, überrascht. Das ärgerte die Athene derart, dass sie die Medusa in ein abgrundtief hässliches Ungeheuer verwandelte: in eine Bestie, die am Kopf statt Haaren Schlangen hatte. Aus ihrem Maul ragten lange Schweinshauer. Sie hatte einen Schuppenpanzer, bronzene Arme, glühende Augen und eine Zunge, die weit aus ihrem Maul hing.

Auch die Medusa hatte einen Sohn. Der aber war keine Schönheit. Nein, er war ganz das Gegenteil vom Narziss. Umso mehr ärgerte sich die Medusa, wie sie jetzt hörte, dass alle nur in höchsten Tönen vom Narziss redeten. In ihr stieg ein gewaltiger Neid auf. Ja, ihr Hass auf den Narziss war schließlich so groß, dass sie ihn verfluchte: "Narziss, so wie mir meine Schönheit Verderben brachte, so soll auch dir deine Schönheit Unglück bringen", rief sie aus, "sobald du dein Spiegelbild siehst, wird das dein Verderben sein."

Den Fluch hörten die Fische. Die erzählten gleich der Leiriope davon. Die Nymphe überlegte nicht lange. Als fürsorgliche Mutter ließ sie alle Spiegel vernichten. Die Scherben wurden in den Fluss geworfen. Jetzt war der Leiriope leichter. Der Narziss wuchs also wohlbehütet und hochgepriesen heran zu einem stolzen Jüngling. Einmal war er auf der Jagd. Da sah ihn die Nymphe Echo – und verliebte sich auf der Stelle in ihn.

Die Nymphe Echo aber hatte ein Problem. Zeus, der Gott aller Götter, hatte ihr vor Zeiten ange-schafft, sie solle Hera, seiner Frau, Geschichten erzählen. So war seine Frau beschäftigt, und er, Zeus, hatte Zeit für Liebesabenteuer mit anderen Frauen. Die Nymphe Echo tat, wie es ihr gesagt worden war. Zu ihrem Unglück entdeckte Hera den Plan. Wen wundert’s, dass sie furchtbar empört war! Gleich stellte sie die Nymphe Echo zur Rede. Die verteidigte sich: Sie hatte ja nur einen Befehl ausgeführt. Das besänftigte die Hera aber ganz und gar nicht: "Hör zu", sagte sie zur Nymphe: "Du führst also nur Befehle aus!? Dann sollst du auch künftig nur mehr das wiederholen können, was dir gesagt wird." Das war der Fluch!

Die arme Bergnymphe Echo

So war es also von da an. Und das war das Problem der armen Bergnymphe Echo. Jetzt sah sie den Narziss und war verliebt in ihn. Aber wie sollte sie ihm sagen, wie gern sie ihn hatte? Sie schlich ihm durchs Unterholz nach und überlegte hin und her: Was tun? Da bemerkte sie der Narziss und rief: "Ist wer da?" "Da! Da!" kam von der Echo zurück. "Na, dann – komm!", rief Narziss. "Komm! Komm!" "Warum meidest du mich?", fragte er. "Meidest du mich? Meidest du mich?", "Lass uns doch da zusammenkommen!" "Da zusammenkommen! Da zusammenkommen!", wiederholte die Nymphe Echo. Mit ausgestreckten Armen ging sie durch den Wald auf den Narziss zu.

Und jetzt scheiden sich die Geister: Manche sagen, dass sie Narziss abwies. Er war enttäuscht von ihr, als er sie sah, und verschmähte sie.

Ein anderer Erzählstrang berichtet aber, dass sich die zwei fanden. Ein Narziss und eine wunderschöne Frau, die alles wiederholt, was er sagt, das passt ja wohl nicht schlecht zusammen.

Die beiden waren also glücklich miteinander und wollten heiraten. In der Nacht vor der Hochzeit wünschte sich die Nymphe vom Narziss, er möchte ihr doch für den Brautkranz von unten am Fluss Blüten der Traubenkirschen holen. Die würden ihr besonders gut gefallen. Das machte der Narziss gerne für sie. Wie er aber im Mondschein die Blüten pflückte, da schaute er ins Wasser – und sah sein Spiegelbild. Ach, war das schön! Auf der Stelle vergaß er alles um sich herum. Glückselig betrachtete er nur mehr sein Spiegelbild. Ja, er war nicht mehr wegzubringen vom Flussufer. Vergessen waren die Braut und die Hochzeit, die Mutter, der Vater sowieso, da war nur mehr er, der Narziss – und sein Spiegelbild. Es heißt, er blieb dort, starr versunken in die Betrachtung des eigenen Spiegelbilds. Mit der Zeit schlug er Wurzeln. Und irgendwann wurde er zur Blume – eben zur Narzisse.

Wunderschön blüht die Narzisse auf den Bergwiesen. Sie betört auch mit ihrem Duft. Pflückt man sie aber und nimmt sie mit ins Haus, dann ist sie zwar schön anzuschauen, ihr Duft aber, der ist im Raum schnell zu viel des Guten. Er macht auf Dauer keine Freude, sondern Kopfweh.

Helmut Wittmann ist seit 30 Jahren Märchenerzähler von Beruf. Im Verlag Tyrolia erschien von ihm in Zusammenarbeit mit seiner Frau Ursula und Tochter Heidemarie die Sammlung "Das Geschenk der zwölf Monate – Märchen, Bräuche und Rezepte im Jahreskreis" www.maerchenerzaehler.at

mehr aus Kultur

Song Contest: Ein "Schlampen"-Lied spaltet Spanien

Klimts "Fräulein Lieser" wurde um 35 Millionen Euro versteigert

Franz Welser-Möst, der Weltstar ganz nah

Komödie „Alles in bester Ordnung“: Wenn das "Lieber aufheben" überhand nimmt

Lädt

info Mit dem Klick auf das Icon fügen Sie das Schlagwort zu Ihren Themen hinzu.

info Mit dem Klick auf das Icon öffnen Sie Ihre "meine Themen" Seite. Sie haben von 15 Schlagworten gespeichert und müssten Schlagworte entfernen.

info Mit dem Klick auf das Icon entfernen Sie das Schlagwort aus Ihren Themen.

Fügen Sie das Thema zu Ihren Themen hinzu.

0  Kommentare
0  Kommentare
Die Kommentarfunktion steht von 22 bis 6 Uhr nicht zur Verfügung.
Zu diesem Thema wurden noch keine Kommentare geschrieben.
Neueste zuerst Älteste zuerst Beste Bewertung
Aktuelle Meldungen