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Verwüstung in Poesie verwandelt

Von Peter Grubmüller   19.August 2019

Liliom ist ein Dreckskerl aus dem Vorstadt-Milieu. Auf diese Bewertung sollte man sich verständigen können, denn wer seine Frau schlägt, hat keinen besseren Nachruf verdient. Vielleicht hat gerade deshalb das von Ferenc Molnár (1878–1952) erdichtete und 1909 in Budapest uraufgeführte Drama gleichen Namens Karriere gemacht. Die Mehrzahl aller Inszenierungen bedient den Kanon einer männlicher Entschuldigungs- und Entschuldungswelt, die sich bei Gewalt selbst so bequem mit einem Reflex auf Demütigungen oder mit dem Ventil für schwer zu artikulierende Gefühle herausredet. Bei den Salzburger Festspielen hat der ungarische Regisseur Kornél Mundruczó auf der Halleiner Perner-Insel die einzig richtige Erkenntnis aus dem Stück gezogen: Er nimmt diesen Liliom und drischt mit ihm so lange auf das üble Patriarchat ein, bis der widerwärtige Held wie ein Äffchen über die von Frauen geführte Springschnur hüpft. Es sind jene Frauen, die unter ökonomischer Not, häuslicher Gewalt und der Abkanzelung durch den dummen Volksmund noch viel mehr gelitten und trotzdem nicht die Nerven verloren haben. Am Samstag fand die wuchtig beklatschte Premiere mit dem Ensemble des Thalia Theaters Hamburg statt.

Poetische Rückschau

Mundruczó konzipiert das Stück als Rückschau. Liliom hat sich nach dem gemeinsam mit dem Gauner Fiscur (Tilo Werner) geplanten, aber gescheiterten Raubüberfall auf den Fabrikskassier Linzmann bereits das Leben genommen und muss nun zur eigenen Erlösung vor dem Jüngsten Gericht Formulare ausfüllen. Auch dafür ist er zu blöd. Die Idee, dass im Himmel nicht nur haarsträubende Bürokratie herrscht, sondern auch ein Anti-Aggressions-Training für prügelnde Männer angeboten wird, ist ein humorvoller Schlenkerer in dieser Oper in Moll. Es wird "Schwanensee" getanzt, Tüteneis gerecht verteilt – und Liliom soll hundert Mal an die metallene Himmelspforte schreiben: "Ich bin Teil des repressiven Patriarchats."

Als hoffnungsloser Depp darf er nach 16 Jahren trotzdem wieder auf die Erde, wo der gescheiterte Ringelspiel-Ausrufer erstmals seiner Tochter Luise begegnet, die er mit der gedemütigten Julie (famos: Maja Schöne) gezeugt hat. Mundruczó hat diese Tochter mit der vom Down-Syndrom betroffenen Schauspielerin Paula Karolina Stolze besetzt. Das Mädchen platzt in diese wuchernde Unbarmherzigkeit wie ein Engel aus einer besseren Welt. Gleichsam göttlich, aber ohne die Figuren aus ihrer Verantwortung zu entlassen, stellt Mundruczó zwei riesige Roboterarme (Bühne: Monika Pormale) auf die Bühne, die Erinnerungen ohne sichtbares menschliches Zutun so bedrohlich wie bruchstückhaft zum Bühnenbild rekonstruieren. Ein herausragender Kunstgriff – und als das Publikum am Ende applaudiert, verneigen sich auch die Roboter.

Jörg Pohl rackert sich bis zur Erschöpfung durch seine großartige Liliom-Darstellung. Er trägt die zwei Stunden, in denen sich das Plädoyer gegen jede Art von gesellschaftlicher Verwüstung in Poesie verwandelt.

Fazit: Kornél Mundruczó zeigt, welche Funktion Theater in der Gegenwart übernehmen muss – und mit welchen Mitteln die Bedeutung von Stoffen an Plausibilität gewinnt. Ein großer Abend!

Salzburger Festspiele: "Liliom" – Vorstadtlegende in sieben Bildern, von Ferenc Molnár, für die deutsche Bühne bearbeitet von Alfred Polgar, mit Texten von Kata Wéber, Regie: Kornél Mundruczó, Premiere: 17. August, Perner-Insel, Hallein.

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