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Triebtäter, Günstlinge und Wirbellose

Von Peter Grubmüller   12.Juli 2019

In kaum einem Theaterstück kommen dem Publikum Opportunismus absolutistischer Regimes, katastrophaler Zynismus, Konkurrenzkämpfe unter Kollegen und Beliebigkeit von Beziehungen so tragikomisch nahe wie bei Felix Mitterers "In der Löwengrube". Und wenn dann noch Regisseur Joachim Rathke ein handverlesenes Ensemble zusammentrommelt und mit diesem Text das 25-jährige Bestehen seines theaterSPECTACELS Wilhering in der Scheune des Stifts zelebriert, dann kann wie bei der Premiere am Mittwoch ein dramatisches Sommerereignis entstehen. Nach zweieinhalb Stunden (mit Pause) erhob sich das Publikum und jubelte dem angereisten Felix Mitterer, Regie und Schauspielern zu.

"In der Löwengrube" ist in Szenen verwandelte Zeitgeschichte: Das Spiel rankt sich um den jüdischen Schauspieler Leo Reuss, der sich im Dritten Reich als zünftige Bühnen-Naturgewalt und Bauer Kaspar Brandhofer aus den Pinzgauer Bergen ausgab. 1936 sprach Brandhofer/Reuss bei Max Reinhardt in Salzburg vor. Der von so viel Begabung hingerissene Intendant vermittelte die Entdeckung an die Josefstadt nach Wien und wurde von Propagandaminister Goebbels für seine Leistung in Schnitzlers "Fräulein Else" mit Lob überflutet. Der Schwindel flog auf, 1937 floh Reuss in die USA, wo er in Hollywood häufig ausgerechnet als Nazi-Scherge besetzt wurde. 1946 starb Reuss im Alter von 55 Jahren in Manila, wo er zur Unterhaltung der Truppen auftrat.

Mit dem Gift der Feinde

Mitterer nennt seinen aus Wien vertriebenen Schauspieler Arthur Kirsch, der seine Angst zur Idee umkehrt und als erblondeter Tiroler Bergbauer Benedikt Höllrigl und mit Vollbart zurückkehrt. Dem ehemaligen Landestheater-Schauspieler Sven Kaschte gelingt eine fulminante Kirsch/Höllrigl-Verwandlung. Er wuchtet den breitbeinigen Tiroler Edel-Arier mit angeberischer Selbstverständlichkeit auf die kahle, mit liebevollen Theater-Andeutungen ausgestattete Bühne (Bühne/Kostüme: Kurt Pint). Mit der Attitüde eines Herrenmenschen von Gottes Gnaden nimmt er mit dem Gift seiner Feinde Rache an Antisemiten aus Leidenschaft und Wirbellosen.

Er ist Beobachter und Agitator in einer Person. Seine ehemalige Frau (unerschütterlich edel: Hemma Clementi) hat sich im Handel um den Diven-Status an einen Partei-Günstling (souverän: Matthias Hack) verschenkt. Andreas Pühringer ist groß als fahrig bis besonnen der Bühne verpflichteter Theaterdirektor Meisel. Die fein überdachten Dialog-Nuancen ziehen das Publikum mitten ins Geschehen, ohne zu zerren.

Alfred Rauch ist ein glänzender Profiteur und Rollen-Neider Polacek, über den die Retourkutsche der Denunzierung brettert. Harald Bodingbauer hält als beflissener Bühnenmeister Eder nicht nur den Schnürboden zusammen. Jakob Hofbauer wird wegen zu gleichförmiger Brüllerei als nationalsozialistischer Triebtäter Strassky die Luft zur Steigerung bald dünn. Nora Dirisamer gestaltet aus der Halbjüdin Olga Sternberg eine feine Mischung aus Zerbrechlichkeit und Mut. Rudi Mühllehner vermeidet es als Goebbels schlau, ein Double des hinkenden Teufels zu markieren, stattdessen gestaltet er einen eigenen Dämon. Christian Bauers Auftritt als realer Höllrigl ist der Schlüssel zum elegant-humorvollen Ausgang aus dieser lebensmüden Maskerade. Das theaterSPECTACEL triumphiert in seinem Jubiläumsjahr.

Fazit: Ein Schauspieler-, Regie- und Text-Glücksfall und eine rare Verführung zu sinnstiftendem Theater mit politischer Dauerrelevanz.

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25. April 2024