Sex sells! - auch ganz klassisch
Die Klassik buhlt auf der Bühne und in neuen Medien mit viel Haut um jüngeres Publikum: Notwendiges Facelift oder gar Blasphemie?
Möge das Vorspiel beginnen. Lola Astanova, usbekische Konzertpianistin, betritt die Szenerie. Da steht ein Flügel. Auf dem Hocker sitzt der kroatische Cellist Stjepan Hauser. Astanova tänzelt in Highheels an ihm vorbei, streicht ihm lasziv über die Schulter. Dann setzt sich die Lieblingspianistin des aktuellen amerikanischen Präsidenten hin und beginnt mit maximaler Beinfreiheit und freizügigem Dekolleté zu spielen. Beethovens wunderbare Mondscheinsonate verkommt hier beinahe zum Slapstick-Beiwerk eines gefühlt im nächsten Augenblick zur Kopulation übergehenden Musikerduos. Mehr als 33 Millionen Mal wurde dieses gut vier Minuten dauernde Video auf der Plattform YouTube bereits angeklickt.
Sex sells – als neues Credo in der klassischen Musik? Die Fachwelt ist gespalten. Rudolf Buchbinder, Wiener Pianist von Gottes Gnaden: "Gegen die Waffen einer Frau sind wir Männer machtlos. Sie dürfen aber nicht vergessen, dass all die jungen Damen auch fantastisch Klavier spielen." In der Kultur habe sich im Laufe der Zeit vieles gewandelt, sie bewege sich weg vom Feuilleton und hin zur Klatschspalte: "Wenn über das Kleid der Sängerin mehr geschrieben wird als über ihre Stimme, dann wird’s problematisch", sagt der Doyen in der Welt der Pianisten.
Die nackten Verkaufszahlen auf dem klassischen Musikmarkt spiegeln keine erfolgreiche Mehr-Haut-Marketingstrategie. Der Anteil der klassischen Musik an den gesamten Verkaufserlösen in Österreich liegt bei knapp unter fünf Prozent. Drei Viertel der Klassik-Klientel – großteils älter als 40 Jahre – präferiert nach wie vor haptische Tonträger wie CD, Vinyl oder DVD.
"Musik wichtiger als Dekolleté"
"Österreich ist im Klassik-Genre im Vergleich zu anderen Ländern überproportional gut. Das hat mit der jahrhundertelangen kulturellen Prägung zu tun. Wien ist so etwas wie die Wiege der klassischen Musik", sagt Clemens Trautmann, Präsident des Klassiklabels "Deutsche Grammophon". Allerdings, so Trautmann, gebe es unter dieser relativ stabilen Oberfläche "tektonische" Verschiebungen hin zu digitalen Produkten oder Streaming. Einen ähnlich hohen Anteil an Freunden der klassischen Musik gibt es nur noch in Japan. "Das Neujahrskonzert schafft es jedes Jahr in die Top Ten der Albumcharts. Das ist weltweit einzigartig", bestätigt Franz Medwenitsch, Geschäftsführer des Verbandes der österreichischen Musikwirtschaft.
Die Wucht der neuen Medien nutzt auch die virtuose georgische Pianistin Khatia Buniatishvili. Ein Auftritt der 32-Jährigen mit dem Israel Philharmonic Orchestra unter Zubin Mehta am 18. September 2017 löste allerdings einen veritablen Shitstorm aus. Sexistische und hässliche Kommentare – nicht über die Klavierkunst Buniatishvilis, sondern ihren ausufernd tiefen Kleidausschnitt – zwangen YouTube, die Kommentarfunktion zu sperren. Buniatishvilis Kommentar: "Ich verstehe die Aufregung um mein Äußeres nicht. Meine Musik ist viel wichtiger als mein Dekolleté."
Über die potenziell verkaufsfördernde Wirkung von attraktiven Künstlern weiß auch der Linzer Konzertveranstalter Simon Ertl (Klassik am Dom) zu berichten: "Die Qualität der Künstler wird immer besser, und da kommt es halt auch darauf an, wie man sich präsentiert, um sich mit einem i-Tüpfelchen abzuheben." Sänger wie Juan Diego Florez oder Jonas Kaufmann seien eben begnadete Sänger – "und sie schauen auch gut aus". Allerdings, so der Konzertveranstalter: "Nur Marketing ohne dementsprechenden künstlerischen Konnex geht sicher nicht."
Ertl kennt auch aktuell die praktischen Auswirkungen: Das Konzert des deutschen Stargeigers David Garrett am 25. Juli auf dem Linzer Domplatz war im Nu ausverkauft. Auch das spontan ausgeschriebene Zusatzkonzert am 24. Juli verkauft sich bestens. "Natürlich ist bei solchen Auftritten der Anteil des weiblichen Publikums höher. Das liegt in der Natur der Sache", sagt Ertl.
Bei der Deutschen Grammophon stellt man seit Beginn der 2000er-Jahre bei Labels und Veranstaltern eine Tendenz fest, Künstler mit einem sehr magazinartigen und popkulturellen Look zu präsentieren. Präsident Clemens Trautmann: "Wir stehen grundsätzlich dafür, dass Substanz und Authentizität wichtiger sind als die visuelle Oberfläche. Wenn unsere Künstler besonders expressiv auftreten, dann wollen wir diese Persönlichkeiten natürlich auch authentisch abbilden. Yuja Wang spielt auf allerhöchstem künstlerischen Niveau, wie jeder weiß. Zugleich ist es Teil ihrer Persönlichkeit, sich durch Mode auszudrücken. Damit kann Yuja vielleicht tatsächlich zwei Welten vereinen."
Minikleid und Highheels
Die 33-jährige chinesische Pianistin, die in den USA lebt, gehört zu den Weltstars ihres Genres. In einer Doku vom Juli 2012 spielt sie in Dresden Rachmaninows drittes Klavierkonzert. Zum Niederknien und in einem hinreißenden roten Minikleid mit schwarzen Highheels. Zur Kleiderwahl sagt sie: "Wenn ich das hier trage, habe ich gleich viel bessere Laune. Rot und Schwarz, das ist sehr kontrastreich. So wie dieses Stück von Rachmaninow."
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Interessanter Artikel, interessante Kommentare. Nun sind wir zwei Jahre weiter und selbst Facebook hat in einer internen Studie festgestellt, wie schädlich die Egomanie dieser Frauen auf die weiblichen Jugend wirkt! Ein Drittel hat ein gestörtes Selbstbild! Viele haben Essstörungen! Immer mehr glauben, dem schlechten Vorbild dieser Frauen folgen zu müssen, um anerkannt und erfolgreich zu werden. "Schönheits"operationen boomen, weil Prominente wie diese Frauen versteckte Werbung dafür machen. Junge Frauen fühlen sich unter Druck, die Brüste vergrößern und die Lippen aufspritzen zu lassen. Und warum? Weil Frauen wie die beschriebenen genauso skrupellos auf Sex sells setzen, wie früher Männer, die Künstlerinnen aller Coleur dazu gezwungen haben. Nur, dass die Auswirkungen wegen der Reichweite und weil es von Frauen kommt heutzutage viel verheerender sind!
Das Leben ist ungerecht. Als Frau darfst Du Haut zeigen, Männer müssen sich nach wie vor im Frack einen runterschwitzen. Gutgebaute Exemplare in Ruderleiberl und Short vortreten!
Nicht ganz taufrisch für Fans knackiger Blasmusik: https://youtu.be/Kq4OtRsdXls (-8
aber bitte nicht gleich alle nackt auf die Bühne lassen, manche sind wirklich angezogen schöner😁
Eine Frechheit, das darf es doch nicht geben, musikalisch talentiert und dann auch noch schön und sexy! .......(Scherz)......
Ist wohl eine unbedankte Werbeeinschaltung hier ... Jetzt gibt's gleich noch mehr Fans.
Nun werden endlich die Herren der Schöpfung wieder mit Freude fürs Theater zu begeistern sein
Bei den Nachrichten ist das auch so: Viele Frauen kaufen diese nur deswegen, weil der Vitus Mostdipf so sexy ist.
weshalb sonst, etwa gar wegen des Informationsgehalts?
Wer Khatia Buniatishvili und ihr Waldkonzert jemals sah, wird die grossartige Künstlerin wohl kaum auf ihr Dekollete' reduzieren🎹 Warum die Aufregung - jede Pralinen-, Wäsche- oder sonstige Werbung nutzt einen gewissen Erotikeffekt, warum also nicht auch junge Künstlerinnen von Weltformat!?🤔
Danke! Sehr treffend!