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Präzedenzfall "Handke"

Von Peter Grubmüller, 28. Dezember 2019, 00:04 Uhr
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Bildergalerie Rückblick: Das Kulturjahr 2019 in Bildern
Bild: OÖN

Warum Werk und Künstler nicht zu trennen sind. Ein Jahresrückblick von Peter Grubmüller (OÖN-Ressortleiter Kultur).

Die Welt hatte wegen haarsträubender Indiskretion und finanzieller Vorteilsnahme der Schwedischen Akademie ein Jahr lang ohne Literatur-Nobelpreis auskommen müssen – und dann rollte Peter Handke heran. "Hurra, ein Österreicher!", schrien die einen. "Bitte nicht der", raunzten die anderen. Die Mehrheit beider Gruppen einte, dass sie nie etwas von Handke gelesen hatte.

Jahresrückblick Kultur

Als dann Sasa Stanisic bei der Verleihung des Deutschen Buchpreises für seinen Roman "Herkunft" sagte, es erschüttere ihn, "dass so was prämiert wird", sprach er nicht von seiner Literatur, sondern von Handke als Gesamtkunstwerk. Stanisic war einst aus Bosnien vor jenen Gräueltaten der Serben geflüchtet, bei denen sich Handke weder in Interviews noch in seinen Büchern vorstellen konnte, dass sie jemals geschehen waren. Vom serbischen Präsidenten Slobodan Milosevic ließ er sich einen "Gefälligkeitspass" ausstellen – wie Handke das Dokument nannte, das er parallel zu seinem österreichischen Reisepass spazieren führte. Er habe das Papier gebraucht, weil er in serbischen Hotels billiger absteigen wollte.

Ehe das Kriegsverbrechertribunal in Den Haag ein Urteil wegen Völkermordes sprechen konnte, starb Milosevic. Bei dessen Begräbnis 2006 hielt Handke eine Rede. Warum interessiert uns Handkes Zuordnung von Gut und Böse im Balkan-Krieg? Weil die Haltung des Schriftstellers ihre Legitimation aus den gleichen Wurzeln zieht wie seine Literatur. Sie entsteht aus einem Privatissimum, das auch die stärkeren von Handkes Texten stark gemacht hat.

Der Schriftsteller nahm den Zerfall des Vielvölkerstaates ob der slowenischen Wurzeln seiner verehrten Mutter persönlich. In dem Essay "Abschied des Träumers vom Neunten Land" beschreibt Handke die Unabhängigkeitserklärung und Hinwendung Sloweniens zum Westen als einzigen, von außen induzierten Verrat an der glanzvollen Idee des "großen und widerständigen" Jugoslawien. Es ging Handke nie ums Ganze, es ging ihm um eine imaginierte Heimat und rief Slowenien zur Projektionsfläche neoromantischer Utopien aus. Insofern ist Handke der Präzedenzfall für die Begründung, warum Kunst nie unabhängig von ihrem Schöpfer bewertet werden kann. Und Serbien stand für Handke eben als letzte Bastion eines erträumten Jugoslawien, obwohl über serbische Täter und deren Untaten ausreichende Fakten auf dem Tisch liegen.

Handkes Kritiker fühlten sich ob des Nobelpreises zum Feldzug beflügelt. Und seine Advokaten haben sich erst recht verrannt. Handkes Literatur kann eben nicht zum unantastbaren Kunstwerk erklärt werden. Genauso wenig wie die Arbeiten aller Künstler, die mit politischer Grundierung werken. Kunst kann ihre Relevanz nur dann beanspruchen, wenn sie sich nicht hinter einem Unfehlbarkeitsanspruch verschanzt. Es ist das Verdienst der Schwedischen Akademie, dass sie diese Diskussion angezettelt hat. Ob der Nobelpreis für Handke ein weiteres Verdienst ist, kann jeder für sich bewerten. Die Voraussetzung dafür ist, Literatur zu lesen.

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Autor
Peter Grubmüller
Ressortleiter Kultur
Peter Grubmüller

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6  Kommentare
6  Kommentare
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( Kommentare)
am 29.12.2019 18:33

Aber selbstverständlich,
kann man das Schaffen eines Literaten, wie das jedes anderen Künstlers
nicht von seiner Person trennen !

Die Werke Schillers ohne seine Einstellung zur Freiheit sind undenkbar,

Goethes Liebesgedichte und sein Werther
ohne seine Liebesabenteuer ohne Seele und unvorstellbar,

Heines Sehnsucht in seinen Schriften nach dem Vaterland
ohne sein persönliches Schicksal unglaubwürdig.

Gleiches gilt für die Bilder von Klimt bezüglich Attersee, usw., usf....

Ja, sogar die Fäkalkunst eines Otto Mühl
ist nur Ausdruck seiner Persönlichkeit.

Warum also sollte gerade das Genie Handke eine Ausnahme sein ?
Da wäre er dann natürlich in keiner Weise mehr authentisch !

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hochhaus (1.821 Kommentare)
am 28.12.2019 13:40

Langsam glaube ich, dass heutzutage nicht die Leistung eines "Künstlers" zählt, sondern
- sein Polarisieren in großer Überheblichkeit (Handke),
- eine Botschaft (Conchita Wurst beim Esc) oder
- totales Gehirnchaos (Elfriede Jelinek).

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Harbachoed-Karl (17.883 Kommentare)
am 28.12.2019 19:06

es könnte auch ein spiegelbildliche Projektion sein: Das Polarisieren bei dir,
die vermutete Botschaft in dir,
das totale Gehirnchaos auch irgendwo.

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( Kommentare)
am 28.12.2019 12:53

So ein preistraeger sollte auch eine weiße Weste haben. Das ist eine verhoehnung der Bosnier. Wenn es ein anderer waere, wuerden die Linken schon wieder auf die Barrikaden gehen.

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( Kommentare)
am 28.12.2019 11:34

Dass Handke bei Milosevic' begräbnis eine rede hielt. peinlich, aber literarisch belanglos. dass Handke in zumindest 2 büchern position bezieht für verbrecherische Serben, ist literarisch von belang. daher gilt der Nobelpreis auch diesen werken. peinlich?

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( Kommentare)
am 28.12.2019 11:30

"warum Kunst nie unabhängig von ihrem Schöpfer bewertet werden kann" objection, your honor. verstehen vermutlich ja, bewerten sicher nein. wird Der Ring des Nibelungen durch den antisemitismus Wagners entwertet? welchen wert haben die angeblichen pädophilen neigungen Bruckners für seine symphonien? (ich bin kein Wagnerianer.)

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