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Kopfhörer #76: Sarah singt, weil sie ein Lied hat

Von Reinhold Gruber, 10. Jänner 2022, 12:17 Uhr
Fühlt sich in ihrer Muttersprache jetzt ganz zu Hause: Sarah Straub. Bild: Thomas Melcher

Sie kommt aus Bayern und redet „Tacheles“. Das war bei Sarah Straub nicht immer so. Lange versteckte sie sich hinter der englischen Sprache. Warum, das erklärt sie im Interview.

Auf die Minute pünktlich zu sein, ist eine Gabe. Wenn diese Pünktlichkeit dann noch gepaart ist mit früher Morgenstunde, dann denkt man automatisch über die vorgefasste Meinung nach, dass Künstler als nachtaktive Lebewesen erst zu späterer Tageszeit ansprechbar wären. Vom Naturell sei sie eher chaotisch, sagt die 35-jährige Sarah Straub am Beginn des Gespräches mit den OÖNachrichten. „Pünktlichkeit bedeutet dann, dass mein Gegenüber weiß: Ich bin durchaus bemüht.“

OÖNachrichten: Sie sagen, dass Sie sich lange Zeit hinter der englischen Sprache versteckt haben und somit Ihrer Muttersprache aus dem Weg gegangen sind. Das kann man angesichts der Qualität Ihrer Lieder in Deutsch nicht ganz verstehen. Warum haben Sie sich also versteckt?

Sarah Straub: Das ist eine gute Frage. Wenn man nicht in seiner Muttersprache singt, bedeutet es schon von vorneherein eine gewisse Distanz zu den eigenen Texten. Jetzt auf Deutsch bin ich immer hunderttausend Prozent in den Liedern und das ist eine ganz neue Erfahrung für mich. Auch für das Publikum, weil alles viel intensiver ist. Schon die ersten Konzerte mit dem Album „Tacheles“ waren unfassbar geil, weil man die Leute mitnimmt auf eine emotionale Achterbahnfahrt.

OÖNachrichten: Hätte Sie sich also schon früher trauen können?

Sarah Straub: Dass es gedauert hat lag auch daran, dass ich einen großen Respekt vor der deutschen Sprache habe. Ich fand es früher schwer, gute Texte zu schreiben. Es gibt so tolle Leute, wie etwa Konstantin Wecker, die so poetisch schreiben können. Das habe ich mir früher einfach nicht zugetraut. Da hat mich Wecker auch erst anstupsen und mir Vertrauen geben müssen, dass ich mich getraut habe.

OÖNachrichten: War diese Auseinandersetzung mit Konstantin Wecker und seinen Liedern, die Sie auch interpretiert haben, wichtig für Ihren Schritt, weil man in der intensiven Beschäftigung auch den Menschen dahinter kennenlernt?

Sarah Straub: Absolut. Man hat von allem viel mehr. Die Lieder sind jetzt so viel echter und authentischer. Ich habe den Konstantin in den Jahren, die wir uns jetzt kennen, quasi studiert. Ich habe genau beobachtet, wie er das macht. Ich habe schon so viele Konzerte mit ihm zusammen gespielt und ich kaufe ihm jeden Abend jedes Wort ab. Das ist, glaube ich, sein Geheimnis. Er meint das jeden Abend genauso wie in dem Moment, wo er es geschrieben hat. Das finde ich wahnsinnig spannend.

Als Psychologin ist Sarah Straub auch Buchautorin. Bild: Peter Neher

OÖNachrichten: Wo haben Sie dann Ihre Selbstsicherheit bekommen? Als Sie gemerkt haben, dass der erste Text funktioniert hat?

Sarah Straub: Ja. Ich habe einfach einmal angefangen und immer mit Konstantin Rücksprache gehalten. Wenn er es für gut befunden hat, habe ich weitergemacht. Jetzt merke ich, wenn ich es singe, dass ich es mir selbst glaube. Jetzt weiß ich, das es richtig so ist. In der Interaktion mit dem Publikum merke ich, dass sie mir das auch abkaufen. Wir haben alle einen super Abend, weil wir uns so fallen lassen können in die Lieder. Das ist  ein Unterschied wie Tag und Nacht zu den englischen Songs. Die sind auch schön und die Leute haben es auch genossen. Aber das Singen in Deutsch ist jetzt eine ganz andere Hausnummer.

OÖNachrichten: Es gab immer Phasen, wo die deutsche Sprache mehr oder weniger angesagt war -  auch in der Popmusik. Momentan ist es so, dass Deutsch wieder „in“ ist. Hilft das ein wenig, wenn man spürt, dass wir in einer Zeit leben, wo sich die Menschen wieder auf etwas einlassen wollen, verstehen und eine Verbindung mit Künstlern herstellen wollen?

Sarah Straub: Ich habe jetzt nicht auf einen Zeitgeist geachtet, aber es spielt mir in die Karten. Es ist eine großartige Entwicklung, dass die Leute wieder Geschichten hören wollen. Die klassischen Liedermacher wie Konstantin Wecker, Reinhard Mey oder Hannes Wader – die waren immer da, auch in Zeiten, als die englische Sprache für die Leute populärer war. Aber es ist richtig: Heute haben wir wieder ein größeres Publikum und das ist eine schöne Entwicklung.

OÖNachrichten: Es steckt wahnsinnig viel Lebenslust in Ihren Liedern, aber auch viel Nachdenklichkeit und Anstöße, sich selbst ein wenig zu hinterfragen und zu reflektieren, was wir als Gesellschaft gut brauchen könnten. Sie sprechen in ihrer Muttersprache kompromisslos an, was sie bewegt. Wie sehr mussten Sie sich selbst dafür öffnen?

Sarah Straub: Für mich war das ein großer Befreiungsschlag. Ich habe auch gemerkt, wie sehr ich das gebraucht habe für mich. Es gibt ja Themen, die mich wahnsinnig beschäftigen im Alltag. Zum Beispiel das Thema Demenz. Ich habe meine Großmutter gepflegt und war damals völlig überfordert. Ich begleite jetzt Demenzpatienten und ihre Familien als Psychologin in meinem zweiten Beruf und da habe ich das Lied „Schwalben“ geschrieben, weil ich eben immer mitbekomme, wie hilflos und unsichtbar pflegende Angehörige in unserer Gesellschaft sind. Wie dieses Thema immer noch tabuisiert wird, wie man zu wenig über Demenz spricht. Die Leute wollen nichts damit zu tun haben, bis es dann soweit ist und dann sind sie völlig überfordert. Wir als Künstler haben fast schon die Pflicht, so unangenehme Themen auch anzusprechen, weil wir sie in die Schönheit der Musik verpacken können und damit wird es leichter erträglich. Man kann die Leute mitnehmen, einmal darüber nachzudenken und gleichzeitig haben wir immer noch die Poesie, die Musik, die aus auffängt und uns nicht völlig depressiv zurücklässt. Das hoffe ich zumindest.

OÖNachrichten: Wer lächelt hat mehr vom Leben. Sie lächeln vom Cover des Albums „Tacheles“ und fordern im ersten Lied auch gleich dazu auf, nämlich nicht darauf zu vergessen, zu lächeln. Kommt diese Erkenntnis aus dem tiefsten Inneren Ihrer Person?

Sarah Straub: Ich bin ja der Meinung, dass wir eine bessere Welt hätten, wenn wir alle liebevoll, respektvoll und mit einem Lächeln miteinander umgehen würden. Ich merke das auch. Wenn mich eine fremde Person auf der Straße anlächelt, dann macht es etwas mit mir. Ich freue mich. Wie schön ist das doch! Deswegen gehe ich auch so durch die Welt. Ich bin zu jedem freundlich und schenke jedem ein Lächeln und da muss viel passieren, dass das verschwindet. Das schafft auch eine Nähe zwischen den Menschen. Ich bin schon grundsätzlich melancholisch und ich bin das auch gerne, aber dieses Lächeln baut mich immer auf. Man spürt: Wenn man immer lächelt, dann lächelt irgendwann das Innere mit, selbst, wenn man es am Anfang vielleicht nur ein bisserl erzwingt. Das ist eine Lebenseinstellung, die ich mir bewahren möchte, weil ich glaube, dass uns wir die Welt damit besser machen. Wir haben so eine Ellbogengesellschaft, sind so leistungsorientiert. Wir dürfen nicht vergessen, dass wir auch eine Gemeinschaft von Menschen sind, die zusammenhalten müssen. Da gehört es auch dazu, dass man die Nächstenliebe im klassischen Sinn praktiziert.

OÖNachrichten: Wer lächelt, wird auch angreifbar, und wer lächelt kann auch enttäuscht werden. Für die Freundlichkeit bezahlt man manchmal auch. Nehmen Sie das dann auch in Kauf?

Sarah Straub: Es gibt schon Menschen, die sehr verletzend sein können, die das ausnutzen, wenn man nett ist. Ich könnte nie konfrontativ sein, weil das liegt mir einfach nicht, ich muss mich dann selbst schützen, indem ich Distanz zu solchen Leuten halte. Ich schaue, dass ich Leute um mich schare, die genauso liebevoll mit mir umgehen wollen wie ich mit ihnen. Das ist nicht immer ganz einfach. Ich falle schon regelmäßig auf die Schnauze, weil mich irgendjemand verarscht. Dafür habe ich aber „Lass es raus“ geschrieben (lacht), um es dann ab und zu auf der Bühne jenen Menschen einmal imaginär zu sagen, dass sie oder er eine arme Sau ist.

OÖNachrichten: „Lass es raus“ thematisiert auch das Thema Sein und Schein, dieses besondere Wesen besonderer Wesen. Nervt es Sie offensichtlich offensichtlich, wenn Menschen blenden, heucheln und sich wichtig machen?

Sarah Straub: Ja.

OÖNachrichten: Die gibt es ja in den kreativen Berufen sehr häufig...

Sarah Straub: Voll und das ist schwer auszuhalten, weil man muss ein Gespür dafür kriegen, wer jetzt einer von den Guten ist und wer ist einer von den Schwätzern (lacht). Das dauert oftmals ein wenig, bis man das herauskriegt.

OÖNachrichten: Haben Sie eine gute Menschenkenntnis?

Sarah Straub: Ich glaube schon, ich habe ja Psychologie studiert.

OÖNachrichten: Wie sehr ist die Psychologin in Ihnen am Wort, wenn Sie Lieder schreiben?

Sarah Straub: Ich bin mein größter Kritiker. Mein innerer Psychologe ist sehr stark. Ich hinterfrage mich jeden Tag. Ich kämpfe schon viel mit mir selbst. Ich rede mir immer ein, dass es vielleicht auch daran liegt, wenn man künstlerisch tätig ist, dann gehört es dazu, dass man halt auch selbstkritisch ist, viel reflektiert, weil man dann nah bei sich selbst ist und das dann auch beim Schreiben hilft. Ich merke schon, wenn ich morgens aufstehe: Heute ist ein guter Tag, heute ist kein guter Tag. Dann muss ich meinen inneren Psychologen herausholen, der mich dann aufbaut (lacht).

OÖNachrichten: „Tacheles“ nennen Sie ihr erstes Mini-Album, mit dem Sie jetzt auf dem Weg sind. Wie viele weitere Mini-Alben haben Sie schon in ihrem Kopf bzw. schon zu Papier gebracht?

Sarah Straub: Mit den Liedern, die ich habe, hätte ich ein normales Album veröffentlichen können, aber „Tacheles“ wollte ich schon 2020 veröffentlichen, doch dann kam Corona und dann habe ich mich ohne Konzerte nicht getraut, es zu tun. Ich habe gewusst, ich verdiene kein Geld. So eine CD-Produktion kostet viel Geld und ich muss viel live spielen, um das zu refinanzieren. Jetzt nach einem Jahr konnte ich nicht mehr warten, weil ich sie veröffentlichen wollte, da sie schon so lange in der Schublade liegen und man entwickelt sich auch weiter. Bei manchen Liedern denke ich mir, dass ich sie jetzt schon wieder anders erzählen würde. Deswegen musste das jetzt einfach raus. Ich habe natürlich ganz viele andere Lieder, die bald veröffentlicht werden sollten.

OÖNachrichten: Es ist interessant, dass Sie Lieder schon ein Jahr nach der Entstehung anders schreiben würden. Ist das auch das Werk der Psychologin?

Sarah Straub: Ja, wahrscheinlich. Man sagt dann ja immer, dass man sich weiter entwickelt und dann passen bestimmte Sachen nicht mehr. „Weltenlauf“ etwa ist ein Liebeskummer-Lied, das meinem Gemütszustand vor einem Jahr entspricht, aber das ich jetzt nicht so fühle.

OÖNachrichten: Aber das Gefühl von Liebeskummer wird immer richtig sein, weil es so gefühlt wurde...

Sarah Straub: Ja, ich fühle es, wenn ich singe, aber jetzt würde ich schon wieder neue Geschichten erzählen wollen.

Zur Musik:

Sarah Straub „Tacheles“ (Sturm und Klang)

Vergiss nicht zu lächeln, wenn du fällst, halt den Kopf über Wasser und atme, du weißt ganz genau, was dich am Leben hält. Eine Ode an die Kraft der Lächelns steht am Beginn ihres aktuellen Albums „Tacheles“, mit dem Sarah Straub ihr Innerstes nach außen kehrt, sich traut und glücklicherweise ins deutsche Fach gewechselt ist. Die sieben Songs, darunter „Die Tage grau“ zusammen mit ihrem Förderer und Bestärker Konstantin Wecker, sind getragen von den Gefühlen und Erfahrungen einer Frau, die sich öffnet, ausspricht, was sie fühlt, was sie mag und worauf sie verzichten kann. Wie sie mit unverschämt eingängiger Melodie allen Blendern und Heuchlern, Schleimern und Drückebergern zu verstehen gibt, was sie wirklich sind, ist direkt und unverblümt, vor allem ehrlich. Ich liebe das Leben, singt sie in „Da bist nur du“, und das spürt man. Musikalisch zwischen Ballade und Pop-Song angesiedelt, trifft sie nicht nur die Töne, sondern auch die Stimmungen und kann in nachdenklichen Momenten große Gefühle auslösen („Schwalben“). Wenn sie mit Stimme und Klavier ihre Liebesgeschichte erzählt, dann ist das großes Kino („Wir gehören zusammen“).

Sarah Straub (Mitte) mit ihren Musikerkolleginnen Miriam Hanika und Tamara Banez Bild: Sturm & Klang

Hanika Straub Banez „Sie, du und ich“ (Sturm & Klang)

Zusammen mit Tamara Banz und Miriam Hanika hat Sarah Straub ein künstlerisches Drei-Frauen-Haus zusammengeführt, das kreativ unterschiedlicher nicht sein könnte, aber doch auf dem Label von Konstantin Wecker ein gemeinsames Zuhause gefunden hat. Auf ihrem Album „Sie, du und ich“ hat Politisches genauso seinen Platz wie Gefühlvolles und wenn die drei Frauen mit „Ich liebe diese Hure“ und „Die weiße Rose“ Klassiker von Wecker interpretieren, dann ist das auch wahrhaftig und echt. Die drei Künstlerinnen verzichten auf große Effekte und sind genau deshalb von berührender und kraftvoller Schönheit. Nachzuhören ist dies auch auf ihren Liedern „Wurzeln und Flügeln“ oder „Das Spiel“.

Buchtipp:

Aus ihren Erfahrungen im Umgang mit der Demenzerkrankung ihrer Großmutter hat Sarah Straub nicht nur ein Lied, sondern auch ein Buch geschrieben. „Wie meine Großmutter ihr Ich verlor“ heißt das Buch, in dem die Psychologin und die als Enkelin direkt Betroffene in feinfühliger Herangehensweise beschreibt, wie es ist, wenn man mit dem Herzen fühlt, aber mit dem Kopf denken muss. Es ist eine Orientierungshilfe für Betroffene. Eine Lesung bringt Straub am 30. Jänner nach Wels, wo sie von 10 bis 12 Uhr im Schloss Puchberg gastieren wird.

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Autor
Reinhold Gruber
Lokalredakteur Linz
Reinhold Gruber
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