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Kopfhörer #52: Ein Outing, das unter die Haut geht

Von Reinhold Gruber   07.Juni 2021

In ruhiger, entspannter Art erzählt Allison Russell auf „Outside Child“ ihre Geschichte. Vordergründig. Denn die Geschichte ist eine, die aufwühlt, zu Herzen geht und irgendwie auch wütend macht. Denn es ist eine Geschichte, über die normalerweise der Mantel des Schweigens gehüllt wird.

Die Kanadierin, Gründungsmitglied der Frauen-Supergroup Our Native Daughters, thematisiert auf ihrem Solo-Debüt das Thema sexueller Missbrauch. Die Songwriterin und Sängerin wurde in ihrer Kindheit von ihrem Adoptivvater über zehn Jahre lang missbraucht.

„Vater benutzte mich wie eine Ehefrau, Mutter hat die Augen verschlossen“, singt sie in „4th Day Prayer“. „Er raubte mir meinen Körper, Geist und Stolz, jede Nacht.“ Dass sie nun davon erzählt, von diesem Trauma ihrer Kindheit, sei Teil ihrer Heilung, sagt Russell. „Ich denke, wir müssen anfangen, darüber zu sprechen, wenn wir etwas ändern wollen.“

„Outside Child“ erzählt von diesem Ausgeliefertsein, von diesem Verlust an unbeschwertem Aufwachsen, das sie nie erlebt hat, vom Weglaufen von zu Hause und ihrem Leben als Obdachlose in Montreal. Es ist erstaunlich, wie Russell über diese Zeit singt, zwischen Blues und Americana ihre Songs ansiedelt, mal kraftvoll, mal verletzlich, immer berührend, das Unvorstellbare aussprechend. „Ja, Mama, ja, Papa, ihr hattet eure Chance, aber jetzt ist es zu spät“, singt sie in „The Hunters“.

„Nightflyer“, „Persephone“ – würde man den Text völlig ausblenden, wäre man geneigt, von wunderbar leichten Songs zu schreiben, die rein musikalisch Wetter machen. Wenn man ihr aber intensiv zuhört, was sie singt, dann verliert sich schnell dieses angenehme Gefühl, weil es schwer auszuhalten ist, sich vorzustellen, was Russell durchmachen musste.

„Outside Child“ ist thematisch wie musikalisch ein wichtiges Album. Das Schöne ist, dass Russell, selbstbewusst und charmant, ihr Glück gefunden hat, mit ihrem Mann, dem Musiker JT Nero, und einer siebenjährigen Tochter, der sie die Kindheit bieten kann, die ihr selbst verwehrt geblieben ist.

Wie sagt sie treffend: „Indem ich meine eigene Geschichte erzähle, möchte ich anderen Betroffenen Mut machen. Ich hoffe sehr, dass vor allem junge Menschen, die gerade Ähnliches erleben wie ich damals, meine Lieder hören und ich ihnen damit helfe. Wir sind nicht die Summe unserer Narben, wir sind viel mehr als das.“ Mehr gibt es dazu nicht zu sagen. Ein durch und durch bemerkenswertes Album, das unverblümt an- und ausspricht, was viele nicht hören wollen.

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25. April 2024