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Kopfhörer #37: Musik-Tipps zum Wochenende

Von Reinhold Gruber   06.Februar 2021

Jim Kroft „OST – A Conversation With America“ (Radicalis)

Man könnte von klugem Timing sprechen oder einfach auch davon, dass der britische Regisseur und Musiker Jim Kroft früh genug erkannt hat, wohin sich die USA in Teilen ihrer Gesellschaft hin bewegen. „A Conversation With America“ ist die Musik zu einem Dokumentarfilm, der sich mit dem wachsenden Populismus im Land der unbegrenzten Möglichkeiten auseinander setzt.

„Manchmal braucht es einen Fremden, der uns daran erinnert, wer wir sind“, steht auf dem Plakat zum Film, der 2016, also während jener US-Wahl entstand, die mit dem Mann, dessen Namen wir nicht nennen, einen Präsidenten ins Weiße Haus brachte, der vier Jahre später eine Vielzahl von ersten Mals produzierte und das ohnedies gespaltene Land noch tiefer spaltete.

Drei Monate lang war Kroft unterwegs, um in seinem Road-Movie das Bild eines anderen Amerika zu zeichnen. Sein Porträt setzt sich aus vielen Stimmen zusammen, die von Menschen in Motels, Fabriken, Obdachlosenunterkünften, Hinterhof-Kneipen, auf Protesten, in kleinen Familienunternehmen, ländlichen Gemeinden und auf den Straßen diverser US-Metropolen stammen. 

Die Musik dazu passt, zeigt Kroft auch als gut beobachtenden Songwriter, der es versteht, das amerikanische Leben auch musikalisch in Szene zu setzen und dazu in den Texten vieles von dem zu reflektieren, was er während seiner Reise 2016 zu sehen und zu hören bekam. In der Kombination ergibt das Sehens- wie Hörenswertes aus dem Herzen der USA.

James Yorkston and The Second Hand Orchestra „The Wide, Wide River“ (Domino)

Szenen einer Freundschaft könnte auch auf dem Cover des neuen Albums von Songwriter James Yorkston stehen, das er zusammen mit seinem Freund Karl-Jonas Winqvist, Leiter von The Second Hand Orchestra, eingespielt hat. Die acht Songs passen auf beruhigende Art gut in die Winterzeit, wo man etwas Wärme durchaus vertragen kann. 

Feiner Folk-Pop, der vor allem im Titelsong herausragend zur Geltung kommt. Lieder über verflossene Lieben, das Alter und verlorene Freunde eignen sich ideal zu einem Zwischenstopp im Schaukelstuhl, Kopfhörer auf, Augen zu und Bilder entstehen lassen. Sehr schön.

Zayn „Nobody Is Listening“ (RCA)

Sechs Jahre nach seinem Abschied von One Direction verliert sich der Brite Zayn Malik auf seinem dritten Solo-Album ganz in seiner Welt. In der ist viel Platz für Gedanken über das Leben und das Lieben, für das Gefühl, von niemandem gehört zu werden, und dann doch auch wieder zu spüren, dass sich da Menschen ans eigene Herz annähern.

Das lässige „Better“, das introvertierte, fast wehklagende „Outside“ und vor allem das kaum mehr aus dem Ohr zu bringende „Windowsill“ machen klar, dass auch Zayn Malik wie Kollege Harry Styles großes Potenzial hat, um großartige Popsongs in die Welt zu setzen.

Karwendel „Für den Moment“ (Backseat)

Die Lieder von Sebastian Król alias Karwendel bürsten sich gegen den Strich. Musikalisch fein arrangiert, nutzt der Hamburger Songwriter die Mittel der Sprache zu einer Momentaufnahme seiner Gedankenwelt, die sich offenbar momentan viel um die Endlichkeit des Lebens dreht.

In „Einzige Welt“ geht es darum, dass einem beim Sterben niemand tröstet, weil man das nur mit sich selbst ausmachen kann. Und am Ende spricht „Zusammen“ das Fehlen von Menschen an, die einfach gehen, sterben. Von einer „eigensinnigen Zeitlosigkeit“ seien seine Lieder geprägt, heißt es im Beipacktext. Man könnte es auch so sagen: Hier singt ein Mann, der mit der Sprache spielt, dabei aber nicht verklausuliert. 

Wie heißt es in „Zusammen“? „Es kommt die Zeit, da Geliebte gehen, und es fällt schwer in ihrem Fehlen etwas Gutes zu sehen“. Auch so kann man über Abschied schreiben.

Barry Gibb „Greenfields – The Gibb Brothers Songbook Vol. 1 (Capitol)

Zuletzt noch ein Blick ins Musikarchiv. Die Fähigkeit, ihre Stimmen in große Höhen zu schrauben, hat gepaart mit ihren Qualitäten als Musiker und Songschreiber dazu geführt, dass die Bee Gees auf ewig ihren Platz in der Pop-Historie haben werden. Wie großartig die Songs der Brüder Gibb waren, erkennt man dann am besten, wenn man schon nach ein paar Takten weiß, wie der erste Satz beginnt. 

Nun war es den singenden Brüder nicht vergönnt, gemeinsam alt zu werden. Die Zwillingsbrüde Robin (2012) und Maurice (2003) sind schon gestorben, womit nur mehr Barry Gibb übrig ist, um das Erbe zu verwalten. Der 76-Jährige tut das auf „Greenfields“ auf beste Weise. Er hat sich jede Menge Musiker ins Studio geholt, um die Lieder der Briten im Duett nicht nur in Erinnerung zu rufen, sondern ihnen auch einen etwas anderen Touch zu geben. 

Von „Words“ über „ Too Much Heaven“ und „How Deep Is Your Life“ bis „Jive Talkin‘“ und „To Love Somebody“ breitet sich da Musikgeschichte zum Neu- und Wiederentdecken vor einem auf. Sehr gelungene Retrospektive, der dem Titel folgend nicht mit Vol. 1 Schluss ist.

Und ganz zum Ende noch ein paar Empfehlungen in aller Kürze aus allen möglichen Stilecken.

Bow Anderson „New Wave EP“ (Polydor): Die in London lebende Schottin spielt mit ihrer leicht rauchigen Stimme das Potential von Pop im Retro-Style auf „Island“ grandios aus. Auch „Sweater“ hat Hitcharakter und wenn sie Tears For Fears covert („Everybody Wants To Rule The World“), dann tut sie das auf eigene Art und mit gebotener Ehrfurcht vor dem Original, ohne einfach abzukupfern.

Anual AA & Ozuna „Los Dioses“ (Aura Music): Wenn zwei Stars der Latino-Szene gemeinsame Sache machen, dann kann die Sonne aufgehen, aber muss es nicht zwangsläufig. Zur Party-Glückseligkeit für Abstinenzler können „Nena Buena“ und „Municiones“ beitragen.

NEOV „Picture Of A Good Life“ (Clouds Hill): Finnischer Indie-Rock mit hohem Erzählfaktor und musikalischer Tiefe. Für Träumer und solche, die es noch werden wollen.

Sleafords Mods „Spare Ribs“ (Rough Trade):  Die Briten räumen mit ihren Landsleuten auf. Brexit hin, Johnson her – es gehört gesagt, was gesagt werden muss und gerade wenn es unbequem ist. Das Punk-Rock-Duo ist dafür Garant!

Rhye „Home“ (Concorde): Gewohnt ruhige Töne schlägt das Duo Rhye an. Das reißt nicht vom Hocker, kuschelt sich aber gemütlich aufs Sofa. 

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