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Wo Hitler und Bach in die Windeln machten

Von Christian Schacherreiter   02.März 2019

Ludwig Laher wundert sich – und das aus gutem Grund. Wie kommt es, fragt er, dass den Geburtshäusern von Persönlichkeiten aus Politik und Kultur eine geradezu "magische Aura" angedichtet wird? Insbesondere dann, wenn der Geburtsort nur für wenige Wochen auch Wohn- und Aufenthaltsort der jeweiligen Person war.

Selbst dann, wenn nachgewiesen wird, dass es sich um einen Irrtum handelt, dass also die Wiege woanders stand, wird am Mythos des "Geburtshauses" hartnäckig festgehalten. So zum Beispiel im Fall von Johann Sebastian Bach. Der Meister wurde höchstwahrscheinlich nicht in jenem Eisenacher Gebäude geboren, über dessen Eingang immer noch zu lesen ist: "Johann Sebastian Bach wurde am 21. März 1685 in diesem Hause geboren".

In Braunau wiederum wäre man sicher erleichtert, würde sich das Hitler-Geburtshaus als bloße Fiktion erweisen. Laher erläutert klug und sachlich, warum es zwar schwierig ist, für dieses Haus eine politisch überzeugende Lösung zu finden, er vermisst aber auch "eine selbstbewusste Strategie" der Verantwortlichen. Die politischen Skrupel, die Braunau quälen, kennt man im niederösterreichischen Dorf Texing nicht. Dort steht das Geburtshaus von Engelbert Dollfuß, und Texing huldigt ganz ungeniert dem "großen Bundeskanzler" Österreichs, ohne dessen problematische Rolle in den dreißiger Jahren auch nur zu erwähnen.

Das gegenteilige Problem wie Braunau hat die Stadt Ulm. Es ist zwar sicher, dass Albert Einstein in Ulm das Licht der Welt erblickte. Dummerweise ist aber vom Haus in der Bahnhofstraße, das 1944 durch einen Bombenangriff zerstört wurde, fast nichts erhalten. Fast! Bei Bauarbeiten im Jahr 2016 wurden Teile einer Kellermauer gefunden, die zu Einsteins Geburtshaus gehörten. Obwohl Klein-Albert mit diesen Ziegeln rein gar nichts zu tun hatte, wurden sie sorgfältig geborgen und konserviert. Die Pläne und Maßnahmen, die rund um diese paar Mauerbrocken angedacht werden, haben das Zeug zur Groteske.

Ludwig Laher gelingt es, die lächerlichen Seiten des Phänomens "Geburtshaus" zu zeigen. Er banalisiert aber das Thema nicht. In überzeugenden Reflexionen geht er den starken Mythen auf den Grund, den Orte und Umstände der Geburt auslösen. Nicht ohne Grund steht die Krippe von Bethlehem im Zentrum einer weltweit erfolgreichen heilsgeschichtlichen Erzählung.

"Wo nur die Wiege stand" ist ein ebenso unterhaltsamer wie informativer Essay. Nur Ludwig Lahers unzähmbare Leidenschaft für Attributhäufungen und für opulente Satzkonstruktionen stört bisweilen das schöne Lesevergnügen.

 

Ludwig Laher: "Wo nur die Wiege stand. Über die Anziehungskraft früh verlassener Geburtsorte", Otto Müller Verlag, 100 Seiten, 17 Euro

Wo Hitler und Bach in die Windeln machten
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28. März 2024