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Wo es nur so wimmelt

Von Helmut Atteneder, 07. November 2020, 00:04 Uhr
Wo es nur so wimmelt
„Das Kind, das ich anspreche, bin wahrscheinlich ich selber.“ Bild: Theobald

Rotraut Susanne Berners Wimmelbücher spiegeln das Leben wider. Ihre fünf Bücher sind mittlerweile in 24 Ländern mehr als drei Millionen Mal verkauft worden.

Mit ihren Wimmelbilderbüchern trifft die deutsche Autorin und Grafikerin Rotraut Susanne Berner offenbar Geschmack und Zeitgeist von Kleinkindern und Eltern. Warum sie anfangs gar keine Freude mit der Wimmelbuch-Idee ihres Verlages hatte, woraus die 72-Jährige ihre Ideen schöpft und warum es sicher keinen sechsten Wimmelbuchband geben wird.

OÖNachrichten: Frau Berner, Ihre Wimmelbücher sind ein Welterfolg geworden. Gab es eine Initialzündung?

Rotraut Berner: Die Idee kam von meinem Verlag. Ich habe mich anfangs dagegen gewehrt, weil ich keine Sachbuch-Zeichnerin bin, sondern eher von der Literatur her komme. Ich wusste, was da arbeitstechnisch auf mich zukommen wird. Dann hatte ich die Idee, eine Erzählung über ein ganzes Jahr hin zu machen. Ich habe schon als Kind sehr gern wortlose Geschichten angeschaut. Das hat auch viel mit Autonomie zu tun. Ein Kind bekommt ja Geschichten vorgelesen, aber ein Buch allein anzuschauen, ist ein ganz anderes Erlebnis.

Es lässt viel Spielraum für die Fantasie.

Es gibt bei den Wimmelbüchern keine Hierarchie. Man kann irgendwo mit den Augen anfangen. Und man hat den Vorteil, dass kleine Kinder einfach nur zeigen. Wenn sie eine Katze sehen, machen sie miau. Dann entsteht mit der Entwicklung des Kindes im Lauf der Jahre die Möglichkeit, das Buch noch einmal anders zu sehen, selber die Geschichten zu entdecken.

Welche Reaktionen gab es auf diese neue Idee?

Anfangs hatten es die Bücher schwer. Gerade eben auch deshalb, weil sie wortlos waren. Das ist jetzt schon 17 Jahre her, und damals gab es große Zweifel am Sinn von wortlosen Büchern. Die Pädagogen haben gesagt, da lernt man ja nichts. Warum sie dann Gott sei Dank so eine Kurve gekriegt haben, hängt damit zusammen: Kinder haben diese Bücher sofort verstanden, im Gegensatz zu den Erwachsenen. Die haben das gar nicht gecheckt. Das Beste, was einem bei Büchern passieren kann, ist, dass es über Mundpropaganda geht. Und das ist dann passiert.

War es eine Genugtuung für Sie, dass die Bücher von der Zielgruppe, also den Kindern, angenommen worden sind?

Natürlich ist es ja so, dass die Erwachsenen die Bücher kaufen. Ich habe das ja nicht mit einer pädagogischen Absicht gemacht, sondern ich bin meinem eigenen Instinkt gefolgt. Was ich gerne hatte, oder was ich gerne gehabt hätte als Kind. Und ich habe da auch Dinge eingebaut, die mir und offensichtlich anderen Spaß gemacht haben.

Was zum Beispiel?

Diese Nonnengeschichte, da werde ich oft gefragt, warum ich die genommen habe. Das kommt einfach daher, dass ich einmal in einem Atelier gearbeitet habe, wo im Nachbarhaus ein Kinderhort war, der von Nonnen geleitet wurde. Die sind mir sozusagen übers Papier gelaufen.

Was war am Anfang der rote Faden?

Als ich das Winterbuch gemacht habe, hatte ich am Anfang keine Ahnung, welche Personen vorkommen und wie die miteinander verbandelt sind. Ich habe für jedes Buch ein richtiges Drehbuch geschrieben, mit einer Haupthandlung. Im Herbstbuch ist das zum Beispiel der Laternenumzug. Im Vordergrund ist immer die Straße, und die ist die Bühne, auf der die Protagonisten von links nach rechts gehen.

Was war Ihre zeichnerische Intention?

Ich habe mir auch die Freiheit genommen, mich zeichnerisch überhaupt nicht an der Realität zu orientieren. Das wurde mir auch von einigen akademisch orientierten Kritikern um die Ohren gehaut. Weil ich keine wirkliche Perspektive habe und die Größenverhältnisse oft nicht stimmen. Das interessiert mich aber generell bei meiner Arbeit nicht so. Mir ist wichtig, dass die Bilder sehr deutlich lesbar sein sollten. Die Figuren überschneiden sich auch kaum, es gibt immer einen klaren Blick auf die Situation. Auch die Häuser sind eher Kulissen, die da so reingeschoben werden.

Ihr Winterwimmelbuch hat in den USA einen kleinen Skandal verursacht.

Ja, der Vertrag mit einem amerikanischen Verlag war schon unterschriftsreif. Da hat der Verleger gemeint, ich solle doch den kaum sichtbaren Penis einer Statue wegretuschieren. Er war gar nicht besonders prüde, aber es gibt in den USA evangelikale Kirchen, die einen "Index" herausgeben. Da hat er befürchtet, er kommt mit meinem Buch drauf, und hat das aus vorauseilendem Gehorsam verlangt. Eine Änderung kam für mich aber nicht in Frage, mir war das zu verlogen. Ich habe ihm scherzhaft vorgeschlagen, ich könnte einen schwarzen Balken drüber malen. Das wollte er doch nicht. Wenig später klappte es mit einem Verlag in San Francisco.

Welche Kindheit hatten Sie?

Ich bin in den späten 1940ern auf dem Land aufgewachsen. Die Liebe zur Natur bildet sich in vielem, was ich mache, ab. Damals gab es kein Fernsehen, und die Verhältnisse waren prekär. Also, was haben Kinder damals gemacht? Wir haben draußen gespielt. Und wenn schlechtes Wetter war, haben wir drinnen das gemacht, was zur Verfügung gestanden ist. Lesen, basteln, malen und spielen. Diese analogen Beschäftigungen haben heute natürlich eine starke Konkurrenz durch die Medien bekommen. Ich habe in meiner Kindheit sehr viel gezeichnet und gelesen. Die Art der Zeichnungen, die ich mache, orientiert sich an der klassischen Bilderbuchillustration der 1950er-Jahre.

Altmodisch im besten Sinn?

Würde ich gar nicht sagen. Kinder scheren sich nicht darum. Das, was derzeit modern genannt und am Computer gemacht wird, orientiert sich total an der Technik der 1950er- und 60er-Jahre. Ich habe auch schon zwei Bücher am Computer gemacht, aber ich arbeite meist analog. Ich möchte hinterher Originale haben. Ich finde es befremdlich, wenn ich Bilder mache, die es nicht gibt.

Haben Sie selber Kinder, die Ihre Bücher als Erste "lektoriert" haben?

Ich habe keine Kinder. Es hat sich nicht ergeben, ich hatte ein sehr wildes, lebendiges Leben, mit vielen Begegnungen. Da gab es irgendwie keinen Raum für Kinder.

Bedauern Sie das heute?

Ich bedaure es nicht. Es gibt Theorien, wer Kinder besser ansprechen kann: Menschen mit Kindern oder Menschen ohne Kinder. Ich halte davon nicht viel. Man hat natürlich einen anderen Blick auf Kinder, wenn man welche hat. Aber ob das ein besserer, ein schlechterer oder ein sinnvollerer Blick ist, weiß ich nicht. Das Kind, das ich anspreche, bin wahrscheinlich ich selber.

Sind Ihnen bei all der Wimmelei inhaltliche Fehler passiert?

Wir haben einmal einen Neudruck gemacht und alles korrigiert, weil es tatsächlich viele kleine Fehler gegeben hat. Die meisten wurden von den Kindern entdeckt. Die schönste Geschichte ist im Winterbuch, da hat Lene einen Handschuh auf dem Küchentisch vergessen. Und dann läuft sie runter, und irgendwann hatte sie plötzlich diesen Handschuh wieder an.

Wird es ein sechstes Wimmelbuch geben?

Das halte ich für Krampf. Ich wollte alle Jahreszeiten und das Nachtwimmelbuch, damit ist das Projekt für mich abgeschlossen, zum Leidwesen meines Verlages.

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In Wimmlingen tut sich immer was. Manfred geht gerne laufen, Elke kauft mit ihrem Hund Lenzo einen Weihnachtsbaum, Yvonne geht in ihre Konzertprobe, und Andrea hat verschlafen und verpasst den Bus. Im Hintergrund pirscht sich ein Fuchs an, die Feuerwehr fährt zu einem Einsatz, und die Stadt baut einen Kindergarten. Eigentlich sind es belanglose Alltagsdinge von gut 80 „Wimmlingern“, die Rotraut Susanne Berner im Jahr 2003 mit dem Winter-Wimmelbuch zu zeichnen begonnen hat. Sie lassen Bilder im Kopf entstehen und regen so die Fantasie an. Fünf Ausgaben hat die 72-Jährige im Gerstenberg Verlag veröffentlicht – die vier Jahreszeiten und ein Nachtwimmelbuch.

In 24 Ländern wurden die Wimmelbücher bereits verkauft – mehr als drei Millionen Mal. Die Grafikerin, Illustratorin und Kinderbuchautorin hat bisher rund 100 Bücher veröffentlicht, darunter die „Karlchen“-Serie. Berners Werk erhielt zahlreiche Auszeichnungen, darunter vier Mal den deutschen Jugendliteraturpreis und den Hans-Christian-Andersen-Preis. Als Väter der Wimmelbilder gelten Hieronymus Bosch und Pieter Bruegel der Ältere.

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Autor
Helmut Atteneder
Redakteur Kultur
Helmut Atteneder
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